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Politik

Türkei: Kurdenpartei HDP droht das Aus

Daniel Derya Bellut | Hilal Köylü
27. Februar 2021

Die HDP ist gefährlich für die Macht Erdogans. Willkürliche Verhaftungen und eine Brandmarkung als "politischer Arm der Terrorgruppe PKK" konnten ihre Erfolge bislang nicht schmälern. Doch nun droht ein Parteiverbot.

Türkei | HDP Partei | Zentrale in Istanbul
Die Parteizentrale der prokurdischen HDP in IstanbulBild: Lars Berg/imago images

Die prokurdische Partei HDP war bei vergangenen Wahlen in der Türkei schon mehrfach das Zünglein an der Waage. Besonders bei den Kommunalwahlen im März 2019 erwies sie  sich einmal mehr als "Königsmacher": Die HDP-Parteiführung verzichtete in einigen Städten auf eigene Kandidaten und rief stattdessen ihre Wähler dazu auf, dem Kandidaten der ebenfalls oppositionellen CHP ihre Stimme zu geben. Ohne kurdische Rückendeckung wäre der Wahlsieg der CHP in einigen türkischen Städten nicht denkbar gewesen. So führte ein geschickter Schachzug der Partei etwa in den Millionenstädten Ankara und Istanbul zur ersten Wahlniederlage des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und seiner Regierungspartei AKP.

Doch die Finte, die ihrem Oppositionspartner so sehr nutzte, sollte sich für die HDP selbst in den kommenden Monaten und Jahren bis heute schwer rächen. Die türkische Regierung erhöhte seither stetig den Druck auf die linksgerichtete Partei: In den meisten der 65 Provinzen, in denen die HDP einen Wahlsieg errungen hatte, wurden deren Bürgermeister und Gemeindevorstände mittlerweile entlassen und durch Zwangsverwalter aus Ankara ersetzt. Der Partei sind nur sechs kleine Gemeinden verblieben. Viele der Geschassten befinden sich seit Monaten in Untersuchungshaft, darunter auch die ehemaligen Vorsitzenden der Partei Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag.

Die ehemaligen Vorsitzenden der Partei, Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag sitzen mittlerweile in HaftBild: Reuters/M. Sezer

Verhaftungswelle trotz dürftiger Beweislast

Vorgeworfen werden der HDP meist Verbindungen zur verbotenen Terrormiliz PKK. Erst in der vergangenen Woche bezeichnete der türkische Innenminister Süleyman Soylu die HDP und ihre Mitglieder als "offizielle Handlanger von Terroristen" und sprach ihr das Existenzrecht ab. "Eine Partei, die die PKK nicht als terroristische Organisation definiert und sich nicht von ihr distanziert, kann keine politische Partei dieses Landes sein", so Soylu. Kurz zuvor ließ er mehr als 700 Provinz- und Bezirksvorsitzende der Kurdenpartei in Gewahrsam nehmen. Vorausgegangen war ein Vorfall im kurdischen Nordirak, bei dem 13 türkische Geiseln tot in einer Gebirgshöhle gefunden wurden – obwohl der Regierung bei der Geiselbefreiung Fehler unterlaufen sind, macht die Regierung die Kurdenpartei für das Geiseldrama verantwortlich. 

Um zu beweisen, dass die HDP eine "Terroristen-Partei" ist, veröffentlichte der Innenminister Fotos, die die HDP-Co-Vorsitzende Pervin Buldan zusammen mit dem PKK-Oberkommandeur Murat Karayilan zeigen. Viele Experten sehen darin jedoch einen Täuschungsversuch: Die Fotos entstanden zwischen 2013 und 2015 - in einem Zeitraum, in dem die HDP offilziell mit der Terrormiliz verhandelte. Die türkische Regierung und PKK-Vertreter arbeiteten damals gemeinsam an einem Friedensprozess, der jedoch scheiterte.

Mit zahlreichen Verhaftungen und Absetzungen von HDP-Politikern ging die türkische Justiz zuletzt gegen die prokurdische Partei vorBild: DHA

Vahap Coskun war bei den Verhandlungen eines der Mitglieder im so genannten "Rat der Weisen", der die Regierung damals beriet. Der Jurist berichtete der DW, dass die Regierung sich in diesem Friedensprozess selbst stark engagiert hatte. "Es besteht kein Zweifel daran, dass Erdogan sowohl während seiner Zeit als Ministerpräsident als auch während seiner Präsidentschaft direkt daran beteiligt und zu jeder Zeit informiert war", garantiert Coskun.

HDP-Parteiverbot Teil einer Wahltaktik?

Trotz der dürftigen Beweislage werden von Seiten der türkischen Regierung Forderungen nach einem Parteiverbot lauter. Insbesondere der ultranationalen MHP und Bündnispartner Erdogans, Devlet Bahceli, drängt darauf.

Für Professor Berk Esen von der Sabanci-Universität handelt es sich dabei jedoch in erste Linie um Wahltaktik: "Die guten Wahlergebnisse der HDP sind dafür verantwortlich, dass die islamisch-konservative AKP seit den Parlamentswahlen 2015 keine absolute Mehrheit mehr holen konnte". Daher versuche die Regierung, die Oppositionspartei mit allen Mitteln unter die 10-Prozent-Hürde zu drücken, so der Politologe.

Zudem sei die Forderung nach einem Verbot ein Anzeichen dafür, dass die MHP selbst in einer Krise stecke. "Die jüngsten Prognosen zeigen, dass die MHP zurzeit die 10-Prozent-Schwelle nicht überschreiten würde". Die Nationalisten versuchten nun, die AKP auf ihre Linie zu bringen und durch einen radikaleren Kurs alternative Koalitionspartner auszustechen, sagt Esen. In der türkischen Öffentlichkeit wird spekuliert, ob Erdogans AKP den jetzigen Koalitionspartner durch die ebenfalls ultranationalistische IYI-Partei austauschen könnte.

Politikwissenschaftler Berk Esen Bild: Privat

Spaltung der Opposition?

Viele türkische Beobachter, darunter auch Esen, sind der Auffassung, dass die Regierung zudem versucht, die Opposition durch die Kriminalisierung der HDP zu spalten. Das Kalkül: Im vereinten Oppositionsblock reihen sich die republikanische CHP und die ultranationale IYI-Partei ein, die eine patriotisch bis nationalistische Wählerschaft hinter sich scharen. Eine zu kurdenfreundliche Politik und die Zusammenarbeit mit der HDP, die von der Regierung als "terroristisch" gebrandmarkt wird, könnte die Stammwählerschaft beider Parteien abschrecken.

Überraschenderweise hielten sich Erdogan und seine AKP bei der Frage um ein HDP-Parteiverbot bedeckt. Grund könnte sein, dass der türkische Präsident als Pragmatiker gilt: Wer Freund ist und wer Feind, das wechselt je nach Stimmung und politischer Lage. Besonders die Kurden wurden bei Erdogans politischen Manövern häufig als Spielball missbraucht  - durch das gänzliche Verschwinden ihrer politischen Vertretung im Parlament würde ihm ein strategisches Mittel abhanden kommen.

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