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Politik

Kurdische Politiker auf der Anklagebank

25. April 2021

Im Kobane-Prozess drohen Dutzenden Politikern der türkischen Kurdenpartei HDP drakonische Haftstrafen. Juristen zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Verfahrens und vermuten politische Motive hinter den Anklagen.

Gerichtsgebäude in Sincan nahe Ankara
Gerichtsgebäude in Sincan nahe AnkaraBild: Stringer/AFP

Am Montag beginnt vor dem Staatssicherheitsgericht in Ankara ein Prozess, auf den Dutzende kurdische Politiker sechs Jahre lang warten mussten. Viele von ihnen befinden sich bereits seit Jahren in Untersuchungshaft. Unter den 108 Angeklagten sind auch die ehemaligen Ko-Vorsitzenden Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag sowie viele weitere namhafte Politiker der pro-kurdischen HDP.

Die 3530 Seiten dicke Anklageschrift bezieht sich auf die Geschehnisse, die sich im Oktober 2014 rund um die nordsyrische Stadt Kobane ereigneten. Im syrischen Bürgerkrieg wurde Kobane damals vom "Islamischen Staat" (IS) belagert. Daraufhin riefen kurdische Gruppierungen, darunter auch die HDP, zu Protesten auf; so wurde etwa von der türkischen Regierung eine konsequentere Haltung gegenüber dem IS gefordert. Es blieb jedoch nicht bei friedlichen Demonstrationen. In mehreren Städten Südanatoliens kam es zu  Zwischenfällen, bei denen 37 Menschen ums Leben kamen.

Lebenslange Haftstrafen wegen Twitter-Posts

Versuchter Mord, Totschlag, Plünderungen, Sachbeschädigung oder "Gefährdung der Einheit des Landes" werden den Angeklagten unter anderem zur Last gelegt - insgesamt sind es 29 Straftatbestände. Gefordert werden insgesamt 19.680 Jahre Haft, darunter 38 Mal erschwerte lebenslange Haftbedingungen. Der Hauptvorwurf der Oberstaatsanwaltschaft lautet, dass die angeklagten Politiker in den sozialen Medien zu gewaltsamen Tumulten zwischen dem 6. und 8. Oktober aufgerufen hätten.

Basak Demirtas, die Ehefrau des Angeklagten Selahattin DemirtasBild: Imago Images

Basak Demirtas, Ehefrau des Angeklagten Selahattin Demirtas, zweifelt die Rechtmäßigkeit des Verfahrens an: "Mein Mann hat sich nichts zu Schulden kommen lassen und sich nur für Demokratie und Frieden eingesetzt. Er trägt keine Schuld. Leider sehen wir, dass das Rechtswesen in unserem Land schon lange nicht mehr funktioniert. Daher ist es nicht möglich vorherzusagen, was passieren wird. Egal wie der Prozess ausgeht, wir werden den Kampf fortsetzen", sagte sie der DW.

Juristen kritisieren Anklageschrift

Viele türkische Anwälte äußerten sich skeptisch zur Anklageschrift. So wird häufig kritisiert, dass die Tweets, die von der Staatsanwaltschaft herangezogen werden, von gefälschten oder gekaperten Accounts gepostet wurden - beispielsweise von Nutzern, die sich als der ehemalige Ko-Vorsitzende Demirtas ausgaben.

Ruken Gülagagi, Verteidiger mehrerer HDP-Politiker, sieht den Prozess als "Versuch, die HDP mit der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in Verbindung zu bringen". Oft seien die Vorwürfe, die man den Angeklagten macht, aus der Luft gegriffen. "Eine rein subjektive Anklage ist rechtlich nicht akzeptabel".

Zu Solidaritäts-Demonstrationen für Kobane, hier 2014 in Istanbul, hatten auch HDP-Politiker aufgerufenBild: Ozan Kose/AFP/Getty Images

Ein weiterer Kritikpunkt, der von türkischen Juristen häufig hervorgebracht wird, ist, dass die Anklageschrift auch Aussagen von anonymen Zeugen heranzieht. "Irgendwelche anonyme Zeugen, die im Nachhinein aufgetrieben wurden, irgendwelche Bücher, die in Häusern gefunden wurden, 'Stoppt den Krieg'-Aufrufe auf Twitter. So etwas hat bereits ausgereicht, um als Beweis durchzugehen", kritisiert der Anwalt und HDP-Politiker Kenan Macoglu.

Kobane-Prozess: Gnadenstoß gegen HDP

Es gebe zudem kaum Beweise, dass die Angeklagten irgendetwas mit den Kobane-Geschehnissen zu tun hatten, so Macoglu. "Für einige der derzeit Inhaftierten lautet der alleinige Vorwurf, dass sie Mitglieder der HDP-Führung sind. Nur deshalb werden sie für die Todesfälle (bei den Tumulten) verantwortlich gemacht".

Kritiker sehen den Kobane-Prozess als Versuch, die erfolgreiche Kurdenpartei HDP endgültig in die Schranken zu weisen. "Durch den Prozess wird eine Rechtfertigung dafür geliefert, die HDP-Schließung voranzutreiben", heißt es etwa von Mahsuni Karaman, einem der Anwälte von Demirtas.

Mahsuni Karaman, der Anwälte von DemirtasBild: DW/T. Öğreten

Die Staatsanwaltschaft in Ankara hat zuletzt beim Obersten Gerichtshof der Türkei einen Antrag auf ein Verbot der HDP eingereicht. Zudem will die Staatsanwaltschaft 687 Politiker der Partei mit einem Politikverbot für fünf Jahre belegen lassen - unter ihnen einige führende kurdische Politiker wie die Ko-Vorsitzende Pervin Buldan und die zurzeit inhaftierten Demirtas und Yüksekdag. Die Begründung lautet, dass HDP-Mitglieder mit ihren Aussagen und Handlungen beabsichtigt hätten, die Integrität des Staates zu untergraben und an terroristischen Aktivitäten beteiligt gewesen seien. In fast allen Fällen ist die Beweislast jedoch dürftig und willkürlich.

Aus dem Türkischen adaptiert von Daniel Derya Bellut.

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