Türkei: Mehr als 120 Festnahmen in Stadtverwaltung von Izmir
1. Juli 2025
In der türkischen Oppositionshochburg Izmir sind laut Berichten mehr als 120 Mitarbeiter der Stadtverwaltung festgenommen worden, darunter der frühere Bürgermeister Tunc Soyer und zahlreiche ranghohe Mitarbeiter. Ihnen werde Korruption vorgeworfen, schrieb der Vize-Chef der Oppositionspartei CHP, Murat Bakan, im Onlinedienst X.
Insgesamt seien 157 Haftbefehle ausgestellt worden, melden der Sender NTV und die Zeitung "Cumhuriyet". Auch der CHP-Provinzvorsitzende Senol Aslanoglu soll sich unter den Festgenommenen befinden. Iszmir, die drittgrößte Stadt der Türkei nach Istanbul und Ankara, gilt als eine der wichtigsten Hochburgen der sozialdemokratischen CHP. Die Stadt hat sowohl wirtschaftlich als auch politisch starkes Gewicht.
Vermeintliche Mohammed-Karikatur
Behörden und Justiz gehen auch verstärkt gegen Medien vor, denen sie eine Nähe zur Opposition unterstellen oder die sich anderweitig gegen die Regierungslinie stellen. In Istanbul waren am Montag mehrere Mitarbeiter eines der führenden Satiremagazine der Türkei, "Leman", festgenommen worden. Innenminister Ali Yerlikaya erklärte, es gehe um "Verunglimpfung" religiöser Werte.
Anlass ist die Veröffentlichung einer vermeintlichen Karikatur des Propheten Mohammed. "Leman"-Chefredakteur Tuncay Akgün sagte dagegen der Nachrichtenagentur AFP, das Bild sei falsch interpretiert worden. Es stelle "keine Karikatur des Propheten Mohammed" dar. Das Vorgehen der Justiz gegen das Magazin sei "unglaublich schockierend, aber nicht sehr überraschend".
Zehn Tage Sendeverbot
Erst am Donnerstag hatte die Medienaufsichtsbehörde RTÜK ein zehntägiges Sendeverbot gegen den Fernsehsender Halk TV verhängt. Begründet wurde dies mit angeblicher "Aufstachelung zum Hass". Ein Gast des Senders hatte in einem Interview erklärt, die Türkei werde "nicht religiöser, sondern sektenartiger". Halk TV gilt als CHP-freundlich. Die Organisation Reporter ohne Grenzen verurteilte das Sendeverbot und äußerte die Befürchtung, mittelfristig könnten Nachrichtensender, welche der Opposition nahestünden, zur Schließung gezwungen werden.
Für diesen Dienstag hat die CHP zu einer Protestkundgebung vor dem Istanbuler Rathaus aufgerufen. Sie will damit an den Beginn der Untersuchungshaft für den abgesetzten Bürgermeister von Istanbul, Ekrem Imamoglu, erinnern, der seit 100 Tagen wegen Korruptionsvorwürfen in Untersuchungshaft sitzt. Vor einer Woche wurde wegen angeblicher Beleidigung zweier Staatsanwälte während eines Gerichtstermins eine weitere Anklage gegen Imamoglu erhoben. Der potenzielle Herausforderer von Präsident Recep Tayyip Erdogan weist die Anschuldigungen zurück.
Verfahren gegen CHP-Spitze vertagt
Ein Gericht in Ankara vertagte unterdessen ein Verfahren gegen die CHP, in dem Parteichef Özgür Özel, Imamoglu und weiteren Parteivertretern laut Medienberichten mehrjährige Haftstrafen und ein Verbot der politischen Betätigung drohen. Die Richter könnten das Ergebnis der CHP-Vorstandswahlen auf dem Parteitag im November 2023 für nichtig erklären. Damals war Özel zum Nachfolger des langjährigen Vorsitzenden Kemal Kilicdaroglu bestimmt worden. Die Staatsanwaltschaft hatte im Februar Ermittlungen wegen angeblichen Stimmenkaufs eingeleitet. Die CHP spricht von einem politisch motivierten Prozess.
Der nächste Verhandlungstermin ist nun für September angesetzt, was mit einer Überprüfung der Zuständigkeit begründet wurde. Özel kritisierte die Vertagung im Onlinedienst X. Die Maßnahme ziele darauf ab, "unsere Partei zum Gegenstand von Debatten zu machen, unseren Weg zur Macht zu beenden und unsere Kampfbereitschaft zu brechen", erklärte der Parteichef, der am Samstag noch auf dem Parteitag der SPD - der deutschen Schwesterpartei der CHP - eine Rede gehalten hatte.
Breitseite nach Wahlerfolgen
Wenige Monate nach Özels Amtsantritt war der CHP im März 2024 bei den Kommunalwahlen ein überwältigender Sieg gelungen. Die wichtigste Oppositionspartei sicherte sich nicht nur erneut die Kontrolle über Großstädte wie Istanbul und Ankara, sondern gewann sogar in Provinzen, die zuvor als Hochburgen der islamisch-konservativen AKP von Präsident Erdogan gegolten hatten. Seit diesem Erfolg stehen die CHP und ihre Vertreter zunehmend im Visier von Ermittlungen. Bei darauffolgenden Massenprotesten gegen das Vorgehen der Justiz wurden Tausende Menschen festgenommen.
jj/se (dpa, afp, rtr)