Türkei: Prozess gegen Journalistin eingestellt
28. März 2019Pelin Ünker stand wegen Verleumdung in Istanbul vor Gericht. Kläger war unter anderem Finanzminister und Präsidenten-Schwiegersohn Berat Albayrak. Nun ist das Verfahren gegen die regierungskritische Journalistin eingestellt worden. Grund sei, dass die zeitlichen Vorgaben des Pressegesetzes nicht eingehalten worden seien, sagte der Anwalt der türkischen Reporterin, Abbas Yalcin, der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Die Anklageschrift sei nicht in der vorgeschriebenen Zeit von vier Monaten vorgelegt worden. Eine entsprechende Entscheidung des Gerichts lag der dpa schriftlich vor.
"Ich fühle mich erleichtert", sagte Ünker der Deutschen Welle. Es bleibe aber ein bitterer Beigeschmack. "Mein Job ist es, die Öffentlichkeit zu informieren, das habe ich gemacht." Bei diesen Prozessen gehe es darum, Journalisten einzuschüchtern.
Ünker gehörte zum internationalen Team um die Paradise-Papers-Recherchen. Sie war Hinweisen auf Offshore-Firmen in Malta nachgegangen, die in den Papers im Zusammenhang mit Albayrak auftauchen. In einem ähnlichen Verfahren, den der ehemalige Ministerpräsident Binali Yildirim und seine Söhne angestrengt hatten, war Ünker im Januar bereits verurteilt worden: zu 13 Monaten und 15 Tagen Gefängnis und einer Geldstrafe von rund 1400 Euro.
"Paradise Papers" führen zur Anklage
Auslöser war ein Bericht, den sie im November 2017 in der türkischen Tageszeitung "Cumhuriyet" veröffentlicht hatte. Darin zeigte Ünker auf, dass den Söhnen Yildirims, Erkam und Bülent, Anteile an mehreren maltesischen Firmen gehörten. Die sind zwar nicht zwangsläufig illegal, können aber zur Steuervermeidung genutzt werden. Die Veröffentlichungen wurden der Investigativjournalistin zum Verhängnis: Vater Yildirim verklagte sie wegen Beleidigung und Rufschädigung.
Schon nach dem ersten Urteil, gegen das sie Berufung eingelegt hat, zeigte sich Ünker im DW-Interview vollkommen desillusioniert: "Hier in der Türkei steht man als Journalist immer mit einem Bein im Gefängnis. Ich bin nicht die einzige, viele Reporter machen das Gleiche durch. Wir versuchen, uns davon nicht unterkriegen zu lassen und weiter unseren Job zu machen."
Ünker hat in den vergangenen Monaten auch für die Deutsche Welle berichtet. Christoph Jumpelt, Pressesprecher der DW, macht sich außer im Fall Ünker generell um die Pressefreiheit in der Türkei Sorgen: "Die Entwicklung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei ist schon lange weit mehr als bedenklich. Mit jedem ungerechtfertigten Urteil gegen Journalisten verschärft die türkische Regierung erneut die Einschränkung der Pressefreiheit."
Schlechte Bilanz zur Pressefreiheit
Jumpelt ist mit seinen Bedenken nicht alleine. Aufgrund wiederholten Drangsalierungen gegen Journalisten hatte das Auswärtige Amt in Berlin im vergangenen Jahr ein äußerst negatives Fazit zur Lage der Pressefreiheit in der Türkei gezogen: Auf knapp 40 Seiten listen die Autoren in einem "Lagebericht" auf, dass Reporter für kritische Artikel festgenommen würden und den "festgenommenen Journalisten Misshandlungen im Polizeigewahrsam" drohten.
Hinzu käme, dass seit 2016 etwa 200 Medien per Notstandsdekret geschlossen worden seien. Als häufiger Grund werde angegeben: die vermeintliche Nähe der Medienhäuser zur Bewegung um den islamischen Prediger Fethullah Gülen. Gülen, einst eng mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan verbunden, wird heute von der türkischen Regierung als Drahtzieher des Putschversuches im Sommer 2016 bezeichnet. Seine Anhänger werden streng verfolgt.
Durch das Vorgehen der Behörden hätten insgesamt etwa 3000 Journalisten ihre Anstellung verloren und, "gebrandmarkt als Gülenisten oder PKK-Sympathisanten, keine Aussicht darauf, eine neue zu finden", heißt es beim Auswärtigen Amt in Berlin. Zahlreiche Journalisten säßen zudem aufgrund von konstruierten Anschuldigungen in Haft. Mittlerweile seien etwa 90 Prozent der türkischen Medien personell oder finanziell mit der Regierungspartei AKP verbunden. Die restlichen Medien würden finanziell ausgehungert, beispielsweise indem Anzeigenkunden bedroht würden. Medien, die bislang eher regierungskritisch berichteten, würden sich deshalb immer häufiger selbst zensieren.
Dutzende Verfahren gegen Journalisten anhängig
Pelin Ünker wollte sich nicht selbst zensieren. Die Quittung für ihre kritische Berichterstattung bekam sie dann in Form der Gerichtsverfahren. Bereits während des ersten Prozesses fand sie deutliche Worte: "Das ganze Verfahren ist ein Einschüchterungsversuch. Das geht nicht gegen mich persönlich, hier steht der Journalismus als Ganzes vor Gericht. Die Botschaft ist: 'Wenn du frei berichtest, dann wirst du bestraft.' So steht es mittlerweile um den Journalismus in der Türkei."
Wie akut bedroht die Lage der in der Türkei arbeitenden Journalisten ist, macht nicht zuletzt das International Press Institute (IPI) deutlich. Das in Wien ansässige IPI, gegründet 1950 in New York, ist die älteste Organisation zur Stärkung der Pressefreiheit. In einem Tweet mit dem Titel "Prozesskalender" listet das IPI die Gerichtsverfahren auf, die alleine in der letzten März Woche angesetzt sind. Neben Pelin Ünkers Fall verhandelten die türkischen Gerichte 13 weitere Fälle mit bis zu 13 Angeklagten.
Laut des Komitees zum Schutz von Journalisten (CPJ), einer US-amerikanischen Nichtregierungsorganisation, die sich weltweit für Pressefreiheit und die Menschenrechte von Journalisten einsetzt, befanden sich Ende 2018 noch immer 251 Journalisten in türkischen Gefängnissen. Angesichts dieser Zahlen und Statistiken mag es daher niemanden verwundern, dass die Türkei auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen inzwischen auf Platz 157 von 180 Staaten abgestürzt ist.