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Politik

Türkei: Putsch als Ausrede für Repression

Daniel Heinrich
8. November 2016

Die Türkei schießt scharf gegen Deutschland. Berlin hatte ungewöhnlich harsch kritisiert, dass Ankara Journalisten und Oppositionelle inhaftiert. Jüngstes Beispiel ist die Festnahme von "Cumhuriyet"-Redakteuren.

Türkei Kurden demonstrieren in Istambul
Bild: picture-alliance/dpa/S. Suna

Aydin Engin schockiert so leicht nichts mehr. Der stellvertretende Chefredakteur der türkischen Tageszeitung "Cumhuriyet" ist 76 Jahre alt, er arbeitet seit knapp 50 Jahren als Journalist in der Türkei. Er hat alle Militärputsche des Landes seit 1960 miterlebt. In der vergangenen Woche wurden die Redaktionsräume des Blattes gestürmt, Engin zusammen mit acht weiteren führenden Kollegen festgenommen.

Nach der Freilassung ins Büro: Vollblutjournalist EnginBild: DW/K. Akyol

Der erfahrene Redakteur ist nicht überrascht: "Ehrlich gesagt haben wir nicht einmal zu hoffen gewagt, dass sie uns in Ruhe lassen", so Engin gegenüber der DW: "Allerdings hätten wir nie gedacht, dass es ein solch primitiver, dummer Angriff sein würde." Er und ein weiterer Kollege hatten Glück: Sie sind inzwischen aus "Altersgründen" wieder aus der Haft entlassen worden.

Das Vorgehen gegen die "Cumhuriyet", die zu den ältesten Tageszeitschriften des Landes zählt, ist nur der neueste Schlag der Behörden gegen kritische Presseorgane im Land. Seit dem gescheiterten Putsch Mitte Juli haben sie mehr als 170 Medienhäuser geschlossen, hunderte kritische Websites abgeschaltet, tausende Journalisten haben ihren Job verloren.       

Scharmützel zwischen Ankara und Berlin

Das immer härtere Durchgreifen der türkischen Behörden hat inzwischen auch auf offizieller Ebene zunehmend deutlichere Töne zur Folge. Michael Roth ist Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt in Berlin: "Was derzeit in der Türkei geschieht, hat mit unserem Verständnis von europäischen Werten, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie  und Medienfreiheit nichts zu tun." Roth wendet sich direkt an die Bürger der Türkei: "Deutschland ist ein weltoffenes Land und steht allen politisch Verfolgten im Grundsatz offen. Sie können in Deutschland Asyl beantragen. Das gilt dezidiert nicht nur für Journalisten."

In Ankara reagiert man pikiert auf die Worte des deutschen Top-Diplomaten. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu wirft der Bundesrepublik nur wenige Stunden nach den Aussagen Roths vor, Anhänger der Gülen-Bewegung mit "offenen Armen" zu empfangen. Das sind schwere Vorwürfe, denn die Regierung in Ankara macht den islamischen Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch im Juli verantwortlich.

Leser und Oppositionelle protestieren vor dem "Cumhuriyet"-Gebäude gegen die Festnahme von MitarbeiternBild: DW/K. Akyol

Christoph Ramm arbeitet als Türkei-Experte an der Universität Bern. Gegenüber der DW rückt er die Anschuldigungen aus Ankara zurecht: "Im Falle der Gülen-Bewegung ist das Problem, dass die türkische Seite bisher überhaupt keine Beweise nach Deutschland geschickt hat." Diese wären aber notwendig, um gegen mutmaßliche Gülen-Anhänger ermitteln zu können.

Türkei ist "Gefängnis für Journalisten"

Noch zeigt sich die türkische Regierung gegenüber vermeintlichen Putschisten im Ausland noch zurückhaltend. Sie hat bisher keine Auslieferungsanträge gestellt. In der Türkei selbst sind dagegen längst alle Dämme gebrochen. Der Verhaftungswelle sind seit Mitte Juli 35.000 Menschen zum Opfer gefallen. Auch die Organisation Reporter ohne Grenzen erhebt schwere Vorwürfe gegen die türkischen Behörden und nennt das Land ein "Gefängnis für Journalisten". Nach Angaben der Organisation sind derzeit 140 Journalisten inhaftiert, auf dem Index der Pressefreiheit liegt die Türkei inzwischen auf Rang 151 von 180 Ländern. Auch die unabhängige Institution selbst ist betroffen.

Aus Sicht von Aydin Engin verfolgt die türkische Regierung derzeit nur ein Ziel: "Unsere Regierung spricht vom Putsch als 'Geschenk Gottes'. Sie nutzt die jetzige Situation aus, um alle oppositionellen Stimmen zum Schweigen zu bringen, anstatt wirklich gegen die Putschisten vorzugehen." Die Razzia bei der "Cumhuriyet" aber sei "ein Schritt zu viel".

Engin setzt dieser Tage auf die türkische Zivilgesellschaft. Die Szenen, die sich in den vergangenen Tagen vor dem Gebäude der Zeitung abspielen, geben ihm Anlass zur Hoffnung: Seit Tagen harren hunderte Menschen vor dem Gebäude aus, halten Wache, veranstalten Konzerte, bringen ihre Solidarität mit dem Blatt und ihren Redakteuren zum Ausdruck. Die Regierung hat den Protest noch nicht zum Schweigen gebracht.

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