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Türkei sägt am eigenen Ast

14. März 2017

Die Attacken Erdogans gegen Deutschland sind riskant. Für die Türkei steht viel auf dem Spiel. Denn sie ist wirtschaftlich weit stärker von Deutschland abhängig als umgekehrt.

Türkei Container im Hafen von Izmir
Bild: picture-alliance/dpa/B. Wüstneck

Mit verbalen Angriffen auf Deutschland hat Recep Tayyip Erdogan eine diplomatische Krise provoziert. Nach Absagen für geplante Wahlkampfauftritte seiner Minister hatte der türkische Präsident der Bundesrepublik "Nazi-Praktiken" und Bundeskanzlerin Angela Merkel Terrorunterstützung vorgeworfen. Auch der Fall des in der Türkei inhaftierten "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel belastet die Stimmung. Dabei kann sich das Land einen Streit mit Deutschland eigentlich nicht leisten - zumindest was die engen Handelsbeziehungen betrifft.

In der Türkei sind die fetten Jahre vorbei. Wuchs die Wirtschaft nach der Finanzkrise um neun Prozent, hat sich das Wachstum seither deutlich abgekühlt. Für 2017 hat die Weltbank ihre Wachstumsprognose auf 2,7 Prozent gesenkt. Investoren sind verunsichert wegen Terroranschlägen und Erdogans zunehmend autoritärer Politik. 

Lira fällt, Preise steigen

Vergangenes Jahr brachen die Direktinvestitionen laut türkischem Wirtschaftsministerium um 31 Prozent ein. Zudem stürzte die Landeswährung Lira ab. Das verteuerte Importe und trieb die Inflation auf mehr als acht Prozent. Das trifft die Türkei hart, da sie viel mehr ein- als ausführt. Auch sonst geht es bergab: Die Wirtschaft schrumpfte im dritten Quartal um 1,8 Prozent, die Arbeitslosigkeit lag zuletzt bei rund 12 Prozent. "Die Wirtschaft kollabiert", warnt die Commerzbank. Doch die Türkei hat auch noch Trümpfe: Eine relativ junge Bevölkerung, starker Konsum, niedrige Schulden und die günstige Lage zwischen Europa und Asien.

Für Deutschland steht die Türkei auf der Liste der Handelspartner nicht sehr weit oben. Unter den deutschen Exportpartnern steht sie auf Platz 15. Im vergangenen Jahr gingen Waren im Wert von knapp 22 Milliarden Euro in die Türkei. Bei den Importen belegt sie Rang 16. Das macht die Türkei zwar zu einem wichtigen Handelspartner - doch andere Länder sind weit bedeutsamer.

In die USA exportierte Deutschland Güter im Wert von fast 107 Milliarden Euro, nach Frankreich von gut 101 Milliarden Euro und nach Großbritannien von 86 Milliarden Euro. Eine Abschottungspolitik unter US-Präsident Donald Trump, ein Rechtsruck in Frankreich bei den nahenden Präsidentschaftswahlen und Verwerfungen mit Großbritannien wegen des geplanten Brexits wären viel gefährlicher.

Geschäftsanfragen halbiert

Die Türkei war ein Hoffnungsland für deutsche Firmen, wenn auch kein führender Markt. Die Autoindustrie hat dem Branchenverband VDA zufolge seit 2009 die Pkw-Exporte in das Land mehr als vervierfacht. Auch der Maschinenbau und die Chemie-Industrie profitierten vom Aufstieg der Türkei. Und für die deutsche Elektroindustrie ist das Land laut Branchenverband ZVEI der siebtwichtigste Investitionsstandort.

Die Chemiebranche etwa, die 2016 Produkte im Wert von drei Milliarden Euro in die Türkei lieferte, ist zumindest alarmiert. "Man muss im Auge haben, dass da nichts anbrennt", sagte Utz Tillmann, Hauptgeschäftsführer beim Branchenverband VCI. Die deutschen Auto-Exporte in die Türkei fielen 2016 schon um zehn Prozent. Und der Maschinenbauverband VMDA befürchtet, das Exportplus von knapp drei Prozent in die Türkei 2016 im neuen Jahr nicht halten zu können. Es gebe eine "Investitionszurückhaltung", so VDMA-Ökonom Friedrich Wagner. Diese sieht auch Volker Treier, Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). 2016 hätten sich die Geschäftsanfragen bei der Deutschen Auslandshandelskammer in der Türkei halbiert.

Verzicht auf den Türkei-Urlaub?

Insgesamt wäre die Türkei von eingefrorenen bilateralen Wirtschaftsbeziehungen stärker betroffen als Deutschland. Die Bundesrepublik ist laut dem Statistikamt Turkstat der größte Abnehmer ihrer Produkte. Waren im Wert von rund 14 Milliarden Dollar gingen 2016 nach Deutschland, weit mehr als nach Großbritannien (11,7) und in den Irak (7,6). Deutschland importiert vor allem Textilien und Nahrungsmittel aus der Türkei. Auch produzieren Hersteller wie Hugo Boss wegen der relativ niedrigen Löhne dort. 

Käme es zu einem Wirtschaftsstreit mit Deutschland, würde die Türkei das gerade bei den Textilausfuhren spüren. Stoffe lassen sich leicht auch aus Südostasien importieren. Bei den deutschen Exporten in die Türkei - viele ausgefeilte Produkte wie Autos, Maschinen und Elektrotechnik - ist Ersatz viel schwieriger. Und die Türkei importiert nur aus China noch mehr Güter als aus Deutschland.

Auch das Ausbleiben der deutschen Urlauber macht der türkischen Wirtschaft zu schaffen. Sorgen um Anschläge halten viele von Reisen ab. Kamen vor zwei Jahren 5,6 Millionen Deutsche in die Türkei, waren es 2016 nur vier Millionen. Die Tourismus-Einnahmen fielen um fast 30 Prozent. Die Linken empfehlen einen Verzicht auf Türkei-Reisen. "Wenn die Bundesregierung mit dem Diktator kuschelt, sollten wir über einen Tourismus-Boykott nachdenken", sagte Parteichefin Katja Kipping.

wen/iw (dpa)

 

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