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Schlangestehen für Obst und Gemüse

Engin Karaman
13. Februar 2019

In der Türkei lässt die Inflation die Preise für Obst und Gemüse drastisch steigen. Nun bietet die Regierung in speziellen Verkaufsstellen Lebensmittel günstig an. Doch nicht alle halten das für einen Segen.

Türkei städtisches Verkaufszentrum in Istanbul, Obst & Gemüse
Bild: DW/E. Karaman

Auf dem großen Platz im Istanbuler Stadtteil Kadıköy stehen Hunderte Menschen und warten vor großen Zelten. Die Regierung verkauft hier seit Anfang der Woche Obst und Gemüse zu günstigen Preisen. Kurz nach Sonnenaufgang kommt ein Lastwagen der Stadtverwaltung und liefert Tomaten, Gurken, Spinat und Kartoffeln, Zwiebeln, Auberginen, Paprika und andere Grundnahrungsmittel an. Der Platz wird immer voller, bis zum Abend wollen die Schlangen nicht enden. Doch da sind alle angebotenen Güter bereits unter die Leute gebracht.

Seit Monaten können sich Türken mit geringerem Einkommen und selbst viele Menschen aus dem Mittelstand Grundnahrungsmittel wie Gemüse kaum mehr leisten. Ihnen bleibt nur, für frische Güter stundenlang bei diesen sogenannten staatlich geregelten Verkäufen anzustehen. Mit denen versucht die Regierung, die galoppierende Inflation abzumildern. Die Stadtverwaltung kauft Obst und Gemüse direkt beim Produzenten und liefert es an die Verkaufsstellen. Damit umgeht sie die Zwischenhändler, so dass sie die Waren günstiger anbieten kann.

Zufrieden sind die meisten der Schlangestehenden damit nicht: Die staatlich geregelten Verkäufe sind keine langfristige Lösung, glauben viele, die werde es nur bis zu den Kommunalwahlen am 31. März geben. Das ist Populismus, sagen einige. Die Stände würden für zweieinhalb Monate aufgestellt, hatte der Vorsitzende der Landwirtschaftlichen Kreditgenossenschaft der Türkei, Fahrettin Poyraz, erklärt. Daraufhin fragten viele: "Sind also die Wahlen das Ziel?"

Bild: picture-alliance/dpa/R. Hackenberg

Aber in der Warteschlange stehen auch Anhänger der Regierung, die der Kritik widersprechen. "Erdogan kämpft ganz allein gegen die Inflation. Nur durch ihn werden wir diese Schwierigkeiten überwinden", sagt ein Käufer, der seinen Namen nicht nennen will. "Ihr seid mit nichts zufrieden", schimpft ein anderer. "Wenn ihr so viel zu kritisieren habt, dann kauft hier doch nicht ein."

Lebensmittelpreise als politisches Thema

Die Fakten zur Inflation sind deutlich: Nach Angaben des Türkischen Statistikinstituts (TÜIK) betrug sie im Januar 20,3 Prozent. Den größten jährlichen Preisanstieg verzeichneten mit knapp 31 Prozent Lebensmittel und nicht-alkoholische Getränke. Gemüse war besonders stark betroffen: Die Preise für Paprika stiegen um fast 88 Prozent, für Auberginen um 80 Prozent, für Spinat um 68 Prozent. Gleichzeitig wurde angesichts des "Inflationsmonsters", wie es in der Bevölkerung heißt, der Mindestlohn nur um 26 Prozent angehoben.

So entwickelten sich Obst und Gemüse zum politischen Topthema. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan macht die Zwischenhändler und Geschäfte für die Teuerung verantwortlich. Die Händler ihrerseits verweisen auf steigende Benzinpreise und Nebenkosten. Ihre Ausgaben hätten sich innerhalb des vergangenen Jahres verdoppelt.

Schließlich entschied die Regierung, einen Teil des Verkaufs selber zu regeln. Heute gibt es in Istanbul 50 und in Ankara 15 Plätze, an denen Obst und Gemüse zu niedrigen Preisen verkauft wird.

Bild: DW/E. Karaman

Erinnerung an Lebensmittelmarken

Doch unbegrenzt stehen die günstigen Lebensmittel nicht zur Verfügung: Jede Person darf höchstens drei Kilo Obst und Gemüse kaufen. Das weckt bei vielen Menschen unglückliche Erinnerungen an eine graue Vergangenheit, als in der Türkei bestimmte Nahrungsmittel nur auf Lebensmittelmarken bezogen werden konnten.

Während des Zweiten Weltkriegs sank die Weizenproduktion, so dass Brot rationiert war. Und während der Wirtschaftskrise von 1974 bis 1980 konnten Gas, Zucker und Öl nur mit Marken gekauft werden. Die amtierende Regierung hat die damalige Regulierung oft kritisiert. Dass die nun staatlich geregelten Verkäufe mit den Einschränkungen von damals in Verbindung gebracht werden, kratzt an ihrem Image.

Gereizte Stimmung, wachsende Kritik

Der 60-jährige Süheyl steht in Kadıköy Schlange und fühlt sich zurückversetzt in die Vergangenheit, erzählt er. Doch heute sei es schlimmer: "So etwas wie heute habe ich noch nie erlebt. Früher stand man höchstens für Benzin an. Aber in diesem Ausmaß sehe ich das zum ersten Mal. Sie haben das Volk völlig zerstört. Dass ich in meinem Alter für Gemüse anstehen muss!"

Viele Wartende glauben nicht, dass die Verkäufer schuld an den hohen Preisen sind. Murat, 41 Jahre alt, schlägt vor: "Dann sollen sie doch die Nebenkosten der Verkäufer reduzieren. Die Benzinpreise müssen gesenkt und die staatlichen Subventionen für die Hersteller erhöht werden."

In der Schlange wird viel diskutiert und gestritten. Einige der Anwesenden sehen Anzeichen für eine bevorstehende Wirtschaftskrise. Damit wecken sie den Zorn der Regierungsunterstützer, die das für Schwarzmalerei halten.

Wie angespannt die Atmosphäre auf dem zentralen Platz in Kadıköy ist, zeigt auch die Reaktion auf Pressevertreter. Anfang der Woche wurde ein Journalist, der über die Menschenschlangen berichten wollte, als "Provokateur" beschimpft und von einigen handgreiflich angegangen. Die Menschen wollen nicht gefilmt werden. Auch die Polizisten behalten die Kameras gut im Visier. Doch die Kritik der Wartenden bringen sie nicht zum Verstummen. 

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