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Politik

Türkei: Mehr als 100 "Terroristen" getötet

10. Oktober 2019

Zudem berichten Menschenrechtsaktivisten von inzwischen mehr als 60.000 Menschen, die in Nordsyrien auf der Flucht seien. Der türkische Staatschef Erdogan droht derweil der EU mit einer neuen Flüchtlingswelle.

Menschen fliehen aus der Stad Ras al-Ain (Foto: picture-alliance/dpa/AP)
Menschen fliehen aus der Stadt Ras al-Ain Bild: picture-alliance/dpa/AP

Das türkische Militär hat seine Offensive gegen Kurdenmilizen in Nordsyrien fortgesetzt und dabei mehrere Grenzorte unter Beschuss genommen. Laut offiziellen türkischen Angaben wurden bisher 109 "Terroristen" getötet. Mit "Terroristen" sind die Kämpfer der Kurdenmiliz YPG gemeint. Menschenrechtsaktivisten berichteten, dass mehr als 60.000 Menschen innerhalb von 36 Stunden nach Beginn der Offensive die Flucht ergriffen hätten. Die Orte Ras al-Ain und Al-Darbasija seien fast komplett verlassen.

Laut syrischen Aktivisten wurden seit Beginn der Offensive am Mittwoch mindestens 15 Zivilisten getötet. Auch die Türkei meldete erste Opfer. Vier Menschen, darunter ein neun Monate altes syrisches Baby, seien gestorben, als Mörsergranaten und Raketen in türkischen Bezirken einschlugen, wie aus offiziellen Stellungnahmen hervorging. 70 Menschen hätten Verletzungen erlitten. 

Tall Abjad und Ras al-Ain vorrangige Ziele 

Syrischen Aktivisten zufolge konnten sich die türkischen Truppen in einem Dorf nahe der syrischen Stadt Tall Abjad nahe der Grenze festsetzen. Tall Abjad und das zwei Autostunden östlich gelegene Ras al-Ain sind ein Hauptfokus der Offensive. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete auch von schwerem Artilleriebeschuss im weiter östlich gelegenen Ort Al-Darbasija. Türkische Truppen würden versuchen, den Ort einzunehmen. Die kurdische Nachrichtenseite Hawar und die Syrische Beobachtungsstelle berichteten, dass Kämpfer der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), die von der Kurdenmiliz YPG angeführt werden, nahe der Grenze eine türkische Drohne abgeschossen hätten.

Türkische Panzer im Grenzgebiet zu Syrien Bild: picture-alliance/Zuma Press/Turkish Defense Ministry

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu erklärte inzwischen, die Armeeeinheiten seines Landes würden maximal 30 Kilometer weit auf syrisches Territorium vordringen. In einem Interview des Senders CNN Turk sagte Cavusoglu, die Bedrohung der Türkei höre auf, wenn das entsprechende syrische Gebiet von kurdischen Kämpfern befreit sei. Cavusoglu: "Wenn wir 30 Kilometer tief in die Sicherheitszone gehen, wird der Terror dort beseitigt."

Unterdessen hält die internationale Kritik an der Aktion Ankaras an. Die Verteidigungsminister Deutschlands und Litauens riefen die Türkei auf, eine weitere Destabilisierung im Nahen Osten in Folge der Offensive gegen die Kurden zu unterlassen. Zugleichten warnten Annegret Kramp-Karrenbauer und ihr Amtskollege Raimundas Karoblis vor den Folgen des türkischen Militäreinsatzes für den Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) in Syrien.

"Gefahr besteht, dass der IS-Terror erstarkt"

Deutschland und Litauen sind Teil der internationalen Anti-IS-Koalition. "Wir sehen, dass jede weitere Destabilisierung und Belastung der Region dazu führen wird, das zumindest die Gefahr besteht, dass der IS-Terror erstarkt und damit auch die Gefahr des Exportes von Terror und Terroristen auch hier nach Europa gegeben ist", sagte Kramp-Karrenbauer. Eine Lösung müsse nun gefunden werden für die Frage der von Kurden festgesetzten IS-Kämpfer. Karoblis ergänzte allerdings, dass sich die türkische Offensive gegen kurdische Einheiten auch auf legitime Sicherheitsbedenken Ankaras stütze. Wichtig sei jedoch, dass die Maßnahmen nicht exzessiv seien. Er und Kramp-Karrenbauer äußerten sich beim Besuch einer Militärbasis in der litauischen Stadt Rukla.

Der litauische Verteidigungsminister Raimundas Karoblis begrüßt die deutsche Kollegin Annegret Kramp-KarrenbauerBild: picture-alliance/dpa/Zentralbild/M. Skolimowska

Israels Ministerpräsident  Benjamin Netanjahu warnte mit Blick auf die Militäroffensive vor einer ethnischen Säuberung der Kurden "durch die Türkei und ihre Stellvertreter". Israel sei bereit, dem tapferen kurdischen Volk humanitäre Hilfe zu bieten. Die Regierung in Ankara will auf syrischem Territorium entlang der Grenze eine sogenannte Sicherheitszone einrichten und dort bis zu zwei Millionen syrische Flüchtlinge ansiedeln, die derzeit in der Türkei leben.

"Akute Gefahr für die Zivilbevölkerung"

Das iranische Außenministerium verlangte den sofortigen Rückzug der türkischen Truppen aus Nordsyrien. "Diese Operationen sind eine akute Gefahr für die dortige Zivilbevölkerung", so das Ministerium in einer Presseerklärung zur Begründung. Der Iran könne die Sorgen der Türkei bezüglich der Sicherheit ihrer südlichen Grenzen zwar verstehen. Eine Militäroffensive im Norden Syriens sei jedoch die falsche Option für die Lösung der Sicherheitsprobleme, so das Teheraner Ministerium.

Frankreich bestellte unterdessen den türkischen Botschafter ein. Das bestätigten diplomatische Quellen in Paris. Das Land hatte die Militäroffensive zuvor bereits verurteilt. Sie laufe Gefahr, die Sicherheit der Europäer zu gefährden und müsse enden, erklärte  Außenminister Jean-Yves Le Drian. Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte sich erst am Dienstag mit der Kurdenvertreterin Ilham Ahmed getroffen und bekräftigt, dass Frankreich an der Seite der kurdisch geführten Syrisch-Demokratischen Kräfte (SDF) stehe. Bundesaußenminister Heiko Maas wiederholte seine Bedenken in einem Telefonat mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu.

"Dann schicken wir euch 3,6 Millionen Flüchtlinge"

Der türkische Präsident Erdogan auf der AKP-Veranstaltung: "Hey, Europäische Union, reißt Euch zusammen"Bild: picture-alliance/dpa/AA/H. Sagirkaya

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan verwahrte sich indes gegen Kritik an dem Militäreinsatz - vor allem aus der EU. "Hey, Europäische Union, reißt Euch zusammen. Seht, ich sage es noch einmal: Wenn ihr versucht, unsere aktuelle Operation als Besatzung zu bezeichnen, dann haben wir leichtes Spiel. Dann öffnen wir die Türen und schicken euch 3,6 Millionen Flüchtlinge", sagte Erdogan in einer Rede vor Angehörigen seiner Regierungspartei AKP.

Noch an diesem Donnerstag will sich der UN-Sicherheitsrat in New York mit dem Vorgehen der Türkei beschäftigen. Deutschland habe im Auftrag der fünf EU-Mitgliedsländer des Rates - neben Deutschland sind das Polen, Belgien, Frankreich und Großbritannien - beantragt, dass das Thema in einer Sitzung angesprochen werde, hieß es aus Diplomatenkreisen.

sti/uh (afp, dpa)

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