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Türkei und EU haben sich festgebissen

Bernd Riegert, zurzeit Newport2. September 2005

Die EU-Außenminister wollen am 3. Oktober als Beginn der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei festgehalten. Die britische EU-Ratspräsidentschaft drängt jedoch Ankara, Zypern anzuerkennen. Bernd Riegert kommentiert.

Noch nie hat sich die erweiterungserfahrene Europäische Union, die von ursprünglich sechs auf inzwischen 25 Mitglieder angewachsen ist, so schwer getan mit einem Erweiterungskandidaten wie mit der Türkei. Noch nie hat ein Kandidatenland sich auch derart sperrig verhalten wie die Türkei. Manchmal könnte man den Eindruck gewinnen, die EU habe sich um die Aufnahme in die Türkei beworben und nicht umgekehrt, frotzelten frustrierte EU-Diplomaten in Newport, wo die EU-Außenminister an ihrem Freitag (2.9.2005) zu Ende gegangenen Treffen das Datum für den Beginn der Beitrittsverhandlungen bestätigten. Die letzten Meter auf dem langen Weg bis zum 3. Oktober werden immer mehr zu einer nervenaufreibenden Geduldsprobe.

Jetzt haben sich die beiden Seiten an der Anwendung der Zollunion zwischen der Türkei und Zypern festgebissen. Der türkische Außenminister Abdullah Gül hat sich in sein nationalistisches Schneckenhaus zurückgezogen und weigert sich, zyprische Schiffe in türkische Häfen einlaufen zu lassen. Das könnte nach türkischer Lesart die indirekte Anerkennung der Republik Zypern bedeuten. Der international anerkannte Staat ist zwar Mitglied der Europäischen Union. Seine staatliche Souveränität und seine völkerrechtlich sonst unumstrittene Legitimität als Vertreter beider Inselhälften wird aber von der Regierung in Ankara nicht akzeptiert, die ihrerseits nur den international isolierten türkisch besetzten Norden anerkennt.

Jetzt rächt sich, dass die EU die zwischen Griechen und Türken geteilte Insel vor Lösung des 30 Jahre alten Zypernkonfliktes aufgenommen hat. Jetzt rächt sich, dass es die zyprischen Griechen waren, die den Wiedervereinigungsplan der Vereinten Nationen abgelehnt haben - während die türkische Seite sich damals erheblich bewegt hatte. Ankara fühlt sich moralisch im Recht. Deutschlands Außenminister Joschka Fischer tat den Streit um die Buchstaben der Zollunion zwar entnervt als Spitzfindigkeiten ab. Doch an diesen scheinbaren Kleinigkeiten könnte der historische Schritt, die Türkei in die EU aufzunehmen, am Ende noch scheitern.

Wieder einmal offenbarte das Außenministertreffen in Wales, dass sich die Mitgliedsstaaten nicht einig sind. Die Minister konnten sich auf keinen der notwendigen Texte für den Beginn der Verhandlungen einigen, die in vier Wochen beginnen sollen. Die EU-Botschafter sollen es nun richten, die Zeit wird knapp. Das Lager der Staaten, die einer Aufnahme der Türkei kritisch gegenüber stehen, wächst innerhalb der EU. Deshalb tat die Türkei nicht gut daran, die EU auch noch mit harter Rhetorik zu provozieren. Abdullah Güls Drohung, die Türkei würde ihren Mitgliedsantrag ganz zurückziehen, falls die EU an ihrer Haltung im Zypernstreit festhalte, wirkt kontraproduktiv.

In den informellen Gesprächen der Minister war viel von Erklärungen, Gegenerklärungen, Paragrafen und internationalen Rechtsnormen die Rede. Das eigentliche Ziel, nämlich die Vision eines in Europa integrierten, muslimisch geprägten und demokratischen Landes in Freiheit und Wohlstand, kam zu kurz. Die EU und ihr Kandidat gehen nicht, wie das bei bisherigen Erweiterungen üblich war, mit weit ausgebreiteten Armen aufeinander zu. Die Türkei und die verschiedenen Fraktionen in der EU belauern sich eher. Misstrauen bestimmt die Szene. Zur Unsicherheit trägt auch der mögliche bevorstehende Wahlsieg der konservativen Opposition aus CDU und CSU in Deutschland bei, der den Gegnern einer türkischen Vollmitgliedschaft in der EU mächtige Verbündete bescheren könnte.

Die Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei beginnen, wenn sie denn überhaupt pünktlich am 3. Oktober starten, unter einem schlechten Stern. Dieses Klima wird sich im Laufe der ohnehin mehrjährigen Verhandlungen ändern müssen. Denn sonst ist es sehr unwahrscheinlich, dass beim späteren Ratifizierungsprozess alle Mitglieder zustimmen werden - zumal teilweise auch Volksabstimmungen vorgesehen sind.

Zur internen Krise der EU um Verfassung und Finanzen, die ja gelöst werden müsste, bevor man mit neuer Energie schon wieder die nächste Erweiterungsrunde einläutet, verloren die Außenminister kein einziges Wort. Auch das kein gutes Signal.