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Warum verbietet die Türkei Kaiserschnitte?

24. April 2025

Das Gesundheitsministerium untersagt geplante Kaiserschnitte in Kliniken. Kritiker sehen darin einen Eingriff in die Selbstbestimmung der Frau und einen weiteren Schritt in Richtung eines konservativen Familienideals.

Eine Frau zeigt auf ihre Kaiserschnittnarbe
In vielen Weltregionen wird bereits die Mehrzahl der Kinder per Kaiserschnitt entbunden Bild: Alexandra Troyan/Zoonar/picture alliance

"In medizinischen Zentren dürfen keine geplanten Kaiserschnitte mehr durchgeführt werden." So heißt es in der am 19. April im türkischen Amtsblatt veröffentlichten Verordnung. Der Beschluss des Gesundheitsministeriums ist eindeutig: Ohne medizinische Notwendigkeit sind Kaiserschnitte künftig untersagt.

Einrichtungen ohne eigene Operationssäle wird zudem verboten, überhaupt eine Geburtseinheit einzurichten. Darüber hinaus schreibt die neue Regelung die digitale Dokumentation von Patientendaten vor und verpflichtet Gesundheitseinrichtungen zu modernen Standards bei Datensicherheit und Transparenz. Regelmäßige Kontrollen sollen sicherstellen, dass medizinische Behandlungen den wissenschaftlichen Leitlinien entsprechen. Diese vom Gesundheitsministerium verschärften Eingriffe in die Geburtshilfe werden in der Türkei seit Tagen kontrovers diskutiert.

Kaiserschnitte weiterhin sehr verbreitet

Regierungsnahe Stimmen argumentieren, die Kaiserschnittraten seien ohnehin rückläufig, wobei dieses Argument nicht durch Zahlen belegt wird. Tatsächlich liegt die Kaiserschnittrate in der Türkei weit über dem Durchschnitt in Europa und den Ländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). 2017 führte das Land die weltweite Statistik an. Laut OECD-Daten lag die Rate im Jahr 2018 bei 51,9 Prozent, 2022 dagegen schon bei 57,2 Prozent.

In Europa ist der Trend deutlich moderater: In Ländern wie Schweden, den Niederlanden oder Frankreich stieg der Anteil nur geringfügig. Der europäische Grundsatz lautet: Kaiserschnitte nur bei medizinischer Notwendigkeit und stets im Dialog zwischen Arzt und Gebärender. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fordert strenge Maßstäbe bei der Einschränkung der Geburtswahl - um das Recht auf körperliche Selbstbestimmung zu schützen.

"Mindestens drei Kinder" - auf natürliche Weise?

Während sich viele Länder für mehr Selbstbestimmung einsetzen, geht die Türkei den entgegengesetzten Weg. Die islamisch-konservative Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan sorgt mit dem neuen Vorstoß für heftige Reaktionen. Seit über 23 Jahren verfolgt sie eine sogenannte "familienfreundliche" Politik, die von vielen Frauenrechtlerinnen als frauenfeindlich kritisiert wird.

Bereits 2008 rief Erdoğan türkische Frauen dazu auf, "mindestens drei Kinder zu bekommen", und sorgte damals wie heute für große Diskussionen. Ziel sei es, so der Staatschef, dem demografischen Wandel und der alternden Bevölkerung entgegenzuwirken. 2012 erklärte Erdoğan außerdem: "Wir wollen eine religiöse Jugend heranziehen", und er hat dieses Ziel seither immer wieder bekräftigt. Mit dem für 2025 ausgerufenen "Jahr der Familie" will die Regierung nun gezielt traditionell-islamische Werte ins Zentrum ihrer Familienpolitik rücken und die Familie als gesellschaftliche Kernzelle stärken.

"Verlasst endlich unser Schlafzimmer!"

Frauenrechtsorganisationen üben deutliche Kritik an der Verordnung. "Die Debatte über den Kaiserschnitt wird mit einem frauenfeindlichen Diskurs und mit Maßnahmen geführt, die darauf abzielen, Frauen zu beschuldigen und Kontrolle über ihre Körper auszuüben. Ein Ansatz, der Frauen zum Gebären zwingt und ihnen vorschreiben will, wie sie als Mütter zu sein haben, stellt einen Angriff auf ihr Recht dar, selbst über ihren Körper, ihre Fruchtbarkeit und ihr Leben zu entscheiden. Die Aufgabe des Staates ist es nicht, Frauen vorzuschreiben, wie sie gebären sollen", erklärt die Frauenrechtsorganisation "Lila Dach" im Gespräch mit der DW.

Canan Güllü, Vorsitzende der Föderation der Frauenvereine der Türkei (TKDF), ist der Ansicht, die Verordnung stelle einen klaren Verstoß gegen die türkische Verfassung, internationale Abkommen und grundlegende Menschenrechte dar. "Die Verfassung garantiert jedem Menschen das Recht auf Leben sowie den Schutz und die Entfaltung seiner körperlichen und seelischen Unversehrtheit", schreibt Güllü in ihrem öffentlichen Pressestatement.

Erdogans Regierung erklärte das Jahr 2025 zum "Jahr der Familie". Auf dem offiziellen Logo sind eine Mutter, ein Vater und ihre drei Kinder zu sehen.Bild: Ministerium für Familie und Soziales

In die Entscheidung über die Art der Geburt einzugreifen, sei ein direkter Angriff auf die körperliche Selbstbestimmung von Frauen und ihr Recht auf Gesundheit. "Zwangsmutterschaft, Zwangsgeburten, Verbote von Kaiserschnitten - all das greift tief in das Selbstbestimmungsrecht von Frauen ein. Wir werden das Recht von Frauen auf körperliche Autonomie verteidigen."

Mit ihrer Kritik reiht sich Güllü in eine wachsende Zahl von Stimmen aus der Zivilgesellschaft und der Frauenbewegung ein, die die Gesundheitspolitik der Regierung als ideologisch motivierten Eingriff werten. Der Staat betrachte Frauen als "Geburtsmaschinen", sagt sie und fordert: "Es reicht - verlasst endlich unser Schlafzimmer!"

Scharfe Kritik auch von der Opposition

Auch die oppositionelle CHP schlägt Alarm. Aylin Nazlıaka, stellvertretende Parteivorsitzende und zuständig für Familien- und Sozialpolitik, warnt vor den Folgen für Frauen in ländlichen Regionen: "In vielen Landkreisen und Dörfern sind medizinische Zentren der einzige Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung. Wenn dort keine geplanten Kaiserschnitte mehr möglich sind, ist das ein massiver Rückschritt für die Sicherheit werdender Mütter."

Ihre Warnung ist deutlich: "Diese Entscheidung gefährdet nicht nur Freiheiten, sondern auch Leben. Die Entscheidung über die Art der Geburt trifft die Frau gemeinsam mit ihrem Arzt. Hände weg von den Körpern der Frauen!"

Mitarbeit: Dilhun Develi

Burak Ünveren Redakteur. Themenschwerpunkte: Türkische Außenpolitik, Deutsch-Türkische Beziehungen.
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