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Politik

Türkei versus Russland: Wettlauf um Syrien

13. Februar 2020

Der türkische Präsident Erdogan deutet in einer Rede an, dass die Türkei in Syrien Einiges vorhat. Aber auch Moskau hat konkrete Vorstellungen. Das Rennen um die Vorherrschaft in Syrien geht in eine neue Runde.

Syrien Konflikte Heimatvertrieben
Bild: Getty Images/AFP/A. Tammawi

Rund um Idlib spitzt sich die Lage immer weiter zu. 700 000 Menschen sind bereits aus der letzten Rebellenhochburg geflohen, und Tag für Tag entschließen sich weitere Menschen zur Flucht. Sie suchen Schutz vor den Bomben mit denen die syrische Armee die Region überzieht.

Fliehen wolle er trotzdem nicht, sagt der Lehrer Abdelkafi Alhamdo einem Reporterteam der DW. Er wolle mit der Flucht bis zum letzten Moment warten. "Ich kann bei dieser Kälte nicht irgendwo im Freien in einem Zelt leben, denn sonst könnte es sein, dass meine Kinder vor meinen Augen sterben."

Die Not der Kinder sei am größten, sagt Joelle Bassoul von der Hilsorganisation "Save the children": "Jeden Tag werden Kinder getötet und verletzt. Heute machen sie ein Drittel aller Opfer aus. Wir sehen also wieder dass Kinder den Preis eines Konflikts zahlen, an dem sie sich nicht beteiligt haben."

Tödliche Scharmützel

Nun könnte sich die Not der Bewohner Idlibs noch einmal verschärfen. Am Mittwoch dieser Woche hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gedroht, türkische Truppen nach Idlib zu schicken.

In seiner Rede bezog sich Erdogan auf mehrere türkisch-syrische Gefechte von Anfang Februar. Dabei waren mehrere türkische Soldaten getötet worden. Zugleich kamen aber auch über 30 syrische Soldaten ums Leben. Und am Montag dieser Woche lieferten sich beide Seiten neue bewaffnete Auseinandersetzungen, bei denen fünf weitere syrische Soldaten starben.

Flucht aus Idlib, 12.2.2020Bild: Getty Images/AFP/R. Al Sayed

Nun richtete Erdogan eine unmissverständliche Warnung an die Regierung in Damaskus: Werde den türkischen Soldaten "auch nur der kleinste Schaden zugefügt, werden wir ab heute die Kräfte des Regimes überall angreifen, ohne an die Grenzen des Sotschi-Abkommens gebunden zu sein", sagte Erdogan am Mittwoch.

Allerdings scheint der türkische Präsident vorerst ein bis Ende Februar befristetes Ultimatum respektieren zu wollen: Bis zu dieser Zeit hatte die Türkei den syrischen Truppen eine Frist eingeräumt, sich aus dem Umfeld der türkischen Stellungen zurückzuziehen. Ansonsten werde die Armee aktiv, warnte Erdogan. Die Regierung habe deshalb in den vergangenen Tagen ihre militärische Präsenz in Idlib "ernsthaft ausgebaut".

Syrische Regierung: Erdogans Pläne "realitätsfremd"

Die syrische Regierung reagierte umgehend. Erdogans Äußerungen seien hohle und leere Erklärungen einer realitätsfremden Person, die die Lage nicht verstehe, erklärte das syrische Außenministerium. Die Armee des Landes werde "Terrororganisationen" in der Region weiterhin bekämpfen.

Die Türkei hat in der vergangenen Woche starke militärische Einheiten in Richtung Idlib in Bewegung gesetzt. Dass Präsident Erdogan aber tatsächlich einen direkten Zusammenstoß mit syrischen Truppen riskieren wolle, scheint zweifelhaft. Denn diese Kämpfe könnten sich leicht zu einer direkten Auseinandersetzung mit der russischen Armee entwickeln, die an der Seite von Assads Truppen ebenfalls an Angriffen auf die Rebellenhochburg beteiligt ist.

Auf einsamem Posten: ein Soldaten der syrischen Armee bei dem Ort Maarat al-NumanBild: picture-alliance/dpa/Sputnik/D. Vinogradov

Weder Russland noch die Türkei seien bereit, rund um Idlib politisch oder mit Blick auf die von ihnen kontrollierten Gebiete zurückzutreten, sagt Tobias Schneider, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Global Public Policy Institute (GPPI) in Berlin, im Gespräch mit der DW. "Es könnte zu einem überschaubaren Zusammenstoß kommen wie im Jahr 2015, als die Türken einen russischen Jet abgeschossen haben. Dann würde man auch sehen, wer als erster zurückweicht."

Türkische Ambitionen und russische Interessen

So groß die Sorge vor einem Zusammenstoß ist, so gewichtig sind auch die Ziele, um die es den beteiligten Akteuren geht. Die Türkei hat offenbar den Anspruch, nicht nur die kurdisch besiedelten Gebiete im Nordosten Syriens, sondern auch weiter südlich unter ihre Kontrolle zu bringen. Es scheint, als gehe Erdogan nicht davon aus, dass die Assad-Regierung jemals wieder das gesamte syrische Staatsgebiet, wie es bis 2011 bestanden hat, zurückerobern wird. Damit hätte Erdogan nicht nur weite Teile der kurdisch besiedelten Gebiete unter seiner Kontrolle; er hätte zugleich auch bewiesen, dass die Türkei eine Macht ist, die nicht davor zurückschreckt, ihre Ansprüche auch militärisch durchzusetzen. 

Die Regierung in Moskau wies Erdogans Drohungen umgehend zurück. Kremlsprecher Dmitri Peskow erklärte, Terroristen würden in Idlib weiter Angriffe auf die syrische Armee und russische Militärbasen verüben. Dabei habe sich die Türkei verpflichtet, die Dschihadisten zu vernichten. Die syrische Armee nehme nicht Zivilisten ins Visier, sondern Extremisten. Moskau und Damaskus warfen dem Westen am Mittwoch zudem anhaltende Unterstützung von Terroristen in Idlib vor. Die syrische Armee habe bei ihrem Vorrücken große Mengen an Kriegsgerät, Waffen und Munition aus teils westlicher Produktion sichergestellt, meldete die russische Agentur Interfax unter Berufung auf russische und syrische Regierungsvertreter. Umso entschlossener demonstrierten sie ihren Willen, die Region Idlib wieder unter ihre Kontrolle zu bekommen.

Syriens unsichere Zukunft

Durch die türkische Offensive könnte der von Assad und Putin vorangetriebene Versuch, die Herrschaft über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen, einen empfindlichen Dämpfer erhalten.

Der verstärkte Einsatz der Türkei könnte einen Versuch darstellen, einen Teil des von Assad erreichten Geländegewinns rückgängig zu machen. Auf diese Weise solle eine bessere Verhandlungsposition erreicht werden, sagt Tobias Schneider vom Berliner Think Tank GPPI. Angesichts der seit dem Militärputsch in der Türkei nicht mehr optimal aufgestellten türkischen Luftwaffe sei der Ausgang des Ansinnens offen. "Ist ein solches Unternehmen möglich, ohne ein glaubwürdiges Bedrohungsszenario gegenüber den Russen zu realisieren?"

Wahrscheinlicher, sagt Schneider, sei eine Fortsetzung des "langsam gemanagten Zusammenbruchs" von Idlib, da Assad weiterhin regelmäßig kleinere Attacken starte, um die von Rebellen gehaltenen Gebiete zu zerstören. Die Zukunft Syriens ist auch im zehnten Kriegsjahr ungewiss.

 

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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