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Politik

Türkei: Wahlkampf hinter Gittern

Daniel Heinrich
13. Juni 2018

Der kurdische Politiker Selahattin Demirtaş tritt bei den Präsidentschaftswahlen in der Türkei an, obwohl er im Gefängnis sitzt. Seine Anhängerschaft ist groß, dennoch werden ihm kaum Chancen eingeräumt.

Türkei Demonstration & Solidarität mit Selahattin Demirtas
Bild: Getty Images/AFP/O. Kose

Eines kann Selahattin Demirtaş niemand mehr nehmen: Der 45-Jährige Frontmann der pro-kurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP) ist der erste Bewerber in der Geschichte der Republik Türkei, der einen Wahlkampf um das Präsidentenamt aus dem Gefängnis heraus organisiert. Obwohl kein Urteil gegen ihn vorliegt sitzt der Menschenrechtsanwalt seit über eineinhalb Jahren in einem Gefängnis in Untersuchungshaft. Seine Kampagne um das Präsidentenamt koordiniert Demirtaş aus seiner Zelle im westtürkischen Edirne. Trotz der widrigen Bedingungen läuft der Wahlkampf von Demirtas zumindest auf einen Achtungserfolg hinaus. Laut einer repräsentativen Umfrage des türkischen Meinungsforschungsinstituts Sonar von Anfang Juni kommt der zweifache Familienvater auf knapp acht Prozent der Wählerstimmen und liegt auf Rang vier der Kandidaten um das höchste Amt im Staat.

Kommunikation per Twitter

Für Ziya Pir ist die Popularität Demirtaş‘s kein Wunder. Der Duisburger Unternehmer sitzt selbst seit 2015 als Abgeordneter für die HDP im Parlament in Ankara: "Mit seiner Kandidatur setzt Herr Demirtaş ein Zeichen für Frieden, Freiheit und Demokratie – unsere Wertvorstellungen". Allerdings so fügt der 48-Jährige einschränkend hinzu seien die Bedingungen für den Wahlkampf mehr als schwierig: "Sie werden ihn nicht rauslassen, genauso wenig wie Tausende andere inhaftierte Vertreter unserer Partei. Die Regierung will nicht, dass unsere Leute Wahlkampf machen können."

Demirtaş's Zauberwaffe in der Kommunikation sind die Sozialen Medien. Vor allem über den Kurznachrichtendienst Twitter kommuniziert er mit seinen Anhängern. Seinen Anwälten diktiert er täglich 280-Zeichen-Mitteilungen. Seinem Account folgen knapp 1.7 Millionen Menschen, über den #AskDemirtas geht er auch auf Anfragen eines internationalen Publikums ein.

Mainstreammedien ignorieren Demirtas

Während Demirtaş's Kampagne in den Sozialen Medien erfolgreich aufgestellt ist, taucht sein Wahlkampf in den meisten traditionellen türkischen Medien nicht auf. Für den Unternehmer Ziya Pir ist das eine frustrierende Erfahrung: "Unser Hauptproblem ist aber, dass uns die Mainstreammedien fast komplett ignorieren. Letzte Woche gab es zwar eine Interviewsendung mit unserer Co-Vorsitzenden Pervin Buldan auf Fox TV, aber sonst kommen wir nur in den Nischenmedien vor, über die wir die Massen nicht erreichen. Deshalb gehen wir von Haustür zu Haustür. "

Wie stark die Einschränkung wirklich ist, wird deutlich, wenn man einen Blick auf die tatsächliche Sendezeit wirft, die den Kandidaten zur Verfügung gestellt wird. In den ersten beiden Maiwochen widmeten die Nachrichtensender CNN Türk und NTV Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan und seiner Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) siebzig Stunden und dreizehn Minuten. Die Bilanz für Demirtaş und die HDP: null Sekunden.

Selahattin Demirtas im Gefängnis in Edirne. Dem Politiker wird die Unterstützung einer Terrororganisation vorgeworfenBild: HDP/Presse

Dass gerade auch die staatlichen Medienanstalten die Oppositionsparteien ignorieren ist kein neues Phänomen. So bekamen Präsident Erdoğan und die AKP vom staatlichen Rundfunk- und Fernsehrat (RTÜK) alleine im letzten Monat vor der letzten Wahl 100 Stunden Sendezeit zur Verfügung gestellt. Alle Oppositionsparteien kamen zusammen im selben Zeitraum nicht einmal auf ein Viertel dieser Zeit. 

Kurdenkonflikt größtes Problem

Es ist nicht die erste Bewerbung von Demirtaş um das höchste Amt im Staat. Schon bei den Wahlen 2014 trat er gegen Erdogan an und landete schlussendlich mit knapp 10 Prozent der Stimmen auf Rang drei. Ähnlich wie Erdogan kam auch Demirtaş für einen Wahlkampfauftritt nach Deutschland. Schon damals wurde bei seinem Aufritt das größte Problem Demirtas deutlich: Die Nähe von ihm und seiner HDP zur kurdischen Terrororganisation PKK. Der gewalttätige Konflikt zwischen der PKK und dem türkischen Staat hat seit Anfang der 1980'er Jahre zehntausende Menschenleben gekostet. Demirtaş selbst hat den verurteilten PKK-Führer Öcalan mehrfach im Gefängnis besucht.

Der HDP-Abgeordnete Ziya Pir versucht die Trennung zwischen der politischen Arbeit der HDP und den Terroristen der PKK zu ziehen: "Wir haben als Partei keine Verbindung mit der PKK. Aber viele unserer Wähler haben Sympathien für die PKK, das hat historische Gründe. "

Demonstranten mit HDP-Flaggen und mit Öcalan-Konterfei: Die PKK-Nähe macht die HDP für viele Türken nicht wählbarBild: picture-alliance/AP Photo/F. Mori

Der Kurdenkonflikt ist auch der Grund warum die HDP in keinem Wahlbündnis zu finden ist. Allen voran die nationalistische Präsidentschaftsbewerberin Meral Aksener hatte sich entschlossen gegen eine Kooperation mit der HDP gestellt. Es ist daher fast vollkommen ausgeschlossen, dass es Demirtaş in eine Stichwahl gegen Erdoğan schafft. Gewinnt der jetzige Amtsinhaber am 24. Juni nicht in der ersten Runde, wird er am 8. Juli voraussichtlich dem Kandidaten der grössten Oppositionskraft, Muharrem Ince von der CHP, oder seiner ehemaligen Mitstreiterin Aksener gegenüberstehen.

Wie und ob Selahattin Demirtaş seine politische Karriere auch nach der Wahl wird fortsetzen können, steht derzeit in den Sternen. Falls es zu einer Verurteilung wegen angeblicher Terrorunterstützung kommt, drohen dem kurdischen Politstar 142 Jahre Haft.

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