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HandelAfrika

Türkei: Was die Stichwahl für den Handel mit Afrika bedeutet

Martina Schwikowski
23. Mai 2023

Der Handel zwischen der Türkei und afrikanischen Ländern ist rasant gestiegen, die Beziehungen sind vielfältig - auch dank der Reisepolitik von Präsident Erdogan. Unklar, ob Kilicdaroglu an diesem Kurs festhalten würde.

Mogadishu: Somalierin kehrt einen roten Teppich unter wehenden Somalia- und Türkeiflaggen vor dem Besuch von Präsident Erdogan (Foto: Stuart Price/au-Un Ist/dpa/picture alliance)
Somalia ist ein strategischer Partner für die Türkei, die ihren Einfluss in Afrika stärker ausbautBild: Stuart Price/au-Un Ist/dpa/picture alliance

Die Türkei mischt kräftig mit im Konkurrenzkampf starker Wirtschaftsnationen um Einflussnahme auf dem afrikanischen Kontinent. Das Land am Bosporus stellt sich dabei als alternativer Partner zu den ehemaligen Kolonialmächten in Europa dar - mit Erfolg: Der amtierende Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine Investitionen werden in vielen afrikanischen Ländern mit offenen Armen empfangen.

Jetzt steht Erdogans Machtanspruch auf dem Prüfstein: Nachdem er bei der Präsidentschaftswahl am 14. Mai die absolute Mehrheit knapp verfehlte, muss er sich am Sonntag in einer Stichwahl seinem Herausforderer Kemal Kilicdaroglu stellen. Die Abstimmung dürfte auch in vielen afrikanischen Ländern aufmerksam verfolgt werden.

Enormer Anstieg des Handels

"Ich denke, den Afrikanern ist es nicht egal, wer die Türkei führt, denn wir hatten seit 2003 eine goldene Ära, die bis heute anhält", sagt der Nigerianer Ovigwe Eguegu, Analyst bei dem internationalen Thinktank Development Reimagined, mit Blick auf die wachsenden türkischen Handelsbilanzen mit dem Kontinent.

Partnerschaft gefestigt: In Istanbul fand Ende 2022 der dritte Türkei-Afrika-Gipfel stattBild: Murat Kula/AA/picture alliance

Der Analyst beziffert das Handelsvolumen heute auf fast 45 Milliarden US-Dollar - vor 20 Jahren belief es sich laut dem türkischen Außenministerium gerade einmal auf 5,4 Milliarden Dollar. "Das ist ein enormer Anstieg des Handels mit dem Kontinent", sagt Eguegu im DW-Interview.

Gesamtwirtschaftlich gesehen mache der Handel 9,4 Prozent der türkischen Exporte aus. "Das ist ein Anstieg von 4,4 Prozent in 20 Jahren und für beide Seiten also eine sehr wichtige Beziehung", sagt Eguegu. Aber auch eine sehr komplexe, an der mehrere Länder beteiligt seien, betont er.

Zum Beispiel gibt es laut Eguegu viele Möbelexporte aus der Türkei nach Nigeria, weil die Produkte der türkischen Möbelhersteller in Europa nicht wettbewerbsfähig sind. Auch im frankophonen Westafrika sei die Türkei ein attraktiver Handelspartner geworden, denn dort lockerten die Länder ihre Beziehungen zur ehemaligen Kolonialmacht Frankreich.

Türkische Afrika-Strategie breit angelegt

Die Afrika-Strategie der Türkei erstreckt sich über verschiedene Bereiche. Sie reicht von Soft-Power-Maßnahmen wie der Unterstützung von Bildung und sozialen Einrichtungen und Medienprojekten über humanitäre Hilfe etwa in von Hunger betroffenen Gebieten Somalias bis hin zu Infrastrukturprojekten.

Gasförderung in Tiguentourine: Algerien ist einer der größten Energielieferanten der TürkeiBild: Mohamed Messara/dpa/picture alliance

Türkische Baukonzerne sind mit dem Bau von Straßen, Brücken, Eisenbahnlinien, Häfen, Flughäfen und Moscheen in Afrika gut im Geschäft. Auch als Energie- und Rohstofflieferant bekommt der Kontinent wachsende Bedeutung für das Land am Bosporus. Zu den bevorzugten Partnern gehört hier Algerien, einer der wichtigsten Rohstofflieferanten der Türkei: Im November 2022 wurden Pläne beider Länder für ein gemeinsames Öl- und Gasförderunternehmen bekannt.

Unter Erdogan hat die Afrika-Strategie der Türkei in den vergangenen Jahren eine stärkere militärische Dimension bekommen: In der somalischen Hauptstadt Mogadischu unterhält Ankara nicht nur eine wichtige Auslandsvertretung, sondern auch die größte Militärbasis außerhalb des eigenen Landes, das vier Quadratkilometer große "Camp Turksom". Somalia ist damit laut Experten der wichtigste strategische Partner der Türkei auf dem afrikanischen Kontinent - vor allem wegen seiner Lage am Horn von Afrika.

Rekordzahl: Erdogans Besuche in Afrika

Für die Wirtschaftsperiode 2022/2023 stufte das türkische Handelsministerium Ägypten, Äthiopien, Liberia, Nigeria und Südafrika als "Zielländer" ein. Die Beziehungen zu diesen Staaten sollen gefördert werden, meldet die Türkische Agentur für Zusammenarbeit und Koordinierung (TRT).

Letztendlich sei die Türkei bestrebt, ihre internationalen Beziehungen zu diversifizieren und neue Märkte zu erschließen, sagt Alex Vines im DW-Interview.  "Und das ist auch eine der Hauptstoßrichtungen der Politik, die in den letzten 20 Jahren entwickelt wurde", so der Leiter des Afrika-Programms in der Londoner Denkfabrik Chatham House.

Kaum ein Präsident reiste so häufig nach Afrika wie Erdogan - hier 2022 im KongoBild: Murat Cetinmuhurdar/Turkish Presidency/AA/picture alliance

Kaum ein Staatsmann sei so häufig nach Afrika gereist: Erdogan habe 31 afrikanische Länder besucht, um seine Politik zu verfestigen. Heute gebe es sogar 44 afrikanische Länder mit diplomatischen Auslandsvertretungen in Ankara.

Dazu kommt: Die Türkei sei eines der wohltätigsten Länder der Welt. Und obwohl sie unter erheblichem Druck stehe, auch nach dem Erdbeben im eigenen Land, gebe es eine Tradition der Großzügigkeit in Reaktion auf humanitäre Krisen und Hungersnöte am Horn von Afrika, betont Vines.

Türkei: Wiederbelebung der Wirtschaft

Im Hinblick auf die Wahlen habe man sich sehr auf innenpolitische Themen konzentriert, sagt Vines. "Aber wenn sich Erdogan in der Stichwahl durchsetzt und die zweite Runde gewinnt, werden wir die Kontinuität der türkischen Afrikapolitik sehen, die Politik, die von Präsident Erdogan wirklich fokussiert und verschärft wurde", sagt Vines im DW-Interview.

Laut Analyst Eguegu liegt der entscheidende Faktor in der Vertrautheit zu Erdogan, in den greifbaren Vorteilen, die afrikanische Länder in seiner Amtszeit erlebt haben.

Die türkische Politikanalystin Nebahat Tanriverdi beschreibt die Stimmung so: "Die größte Sorge in Afrika in Bezug auf die Wahlen in der Türkei bezieht sich auf das Szenario, dass eine türkische Regierung nach Erdogan Afrika nicht an die Spitze ihrer außenpolitischen Agenda setzen wird."

"Doch in einer hochgradig multipolaren Welt wird es für die Türkei keine Rückkehr zu ihrem traditionellen, vorsichtigen und nach innen gerichteten außenpolitischen Ansatz geben", betont sie.

Stattdessen scheine die Opposition an einem neuen außenpolitischen Konzept mit einer neuen Rolle und Identität interessiert zu sein, das die außenpolitischen Grundsätze des Landes in Afrika wie auch in anderen Regionen, in denen sich die Türkei engagiert, bestimmt, sagt Tanriverdi. 

Für afrikanische Partner ist Erdogans Herausforderer Kilicdaroglu ein unbeschriebenes BlattBild: YSK

Bei aller Unklarheit steht für die Analystin fest: "Wer auch immer das Land regiert, das wichtigste Thema wird die Wiederbelebung der Wirtschaft sein. Daher wird jede Regierung in Ankara darauf bedacht sein, das wirtschaftliche Engagement der Türkei mit dem Kontinent fortzusetzen."

"Afrikanische Dynamik wird bleiben"

Die türkischen Exporte nach Afrika sowie die ausländischen Direktinvestitionen in mehreren afrikanischen Ländern sollten die traditionellen Wirtschaftspartner Europa und USA nicht ersetzen, so Tanriverdi. Aber Afrika scheine ein Gegengewicht zu den anderen regionalen Märkten der Türkei zu bilden.

Nach dem Arabischen Frühling zum Beispiel, als die Türkei Probleme mit den arabischen Nachbarländern hatte, sei der afrikanische Markt zum neuen Ziel für türkische Geschäftsleute geworden. In ähnlicher Weise habe der Krieg in der Ukraine ein wirtschaftliches Interesse an Afrika geweckt, sagt Tanriverdi: "Der wachsende türkische Einfluss in Afrika ist unbestritten."

Afrika werde auch immer wichtiger für die kleinen und mittelständischen Unternehmen der Türkei sowie für Industrieregionen wie Gaziantep und Mersin, sagt die Analystin und betont: "Unabhängig von einem Regierungswechsel in Ankara, die afrikanische Dynamik in den Auslandsbeziehungen wird bleiben."

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