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PolitikTürkei

Wie viel Einfluss hat Mafiapate Sedat Peker?

8. September 2022

In der Türkei ist der Mafiaboss zu einer der größten Gefahren für die Regierung von Erdogan geworden. Inwieweit kann Sedat Peker die öffentliche Meinung maßgeblich beeinflussen und dem Staatspräsidenten schaden?

YouTube Kanal -   türkischer Mafiaboss Sedat Peker
Bild: Mehmet Guzel/AP/picture alliance

Zwei hochrangige Berater des Türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan haben vor wenigen Tagen ihre Jobs verloren. Ihre Namen tauchten im Zusammenhang mit einer Bestechungsaffäre auf. Serkan Taranoğlu wurde von Erdoğan entlassen und Korkmaz Karaca trat zurück - er begründete seine Entscheidung mit gesundheitlichen Problemen.

Diese Entwicklungen sind dem ultranationalistischen Mafiapaten Sedat Peker zu verdanken. Der ehemalige Anführer einer kriminellen Vereinigung pflegte jahrelang enge Verbindungen zu Präsident Erdoğan, ist jetzt aber zu einem seiner schärfsten Kritiker geworden. Seine jüngsten Enthüllungen über die Verstrickungen der Politik mit dem organisierten Verbrechen zeigen, dass sich die Korruption bis zum Präsidialamt ausgeweitet hat: Auf Twitter hat er private WhatsApp-Gespräche und Fotos einiger Texte veröffentlicht, die nachweisen sollen, dass mehrere Personen in Erdoğans innerem Kreis in eine Bestechungsaffäre involviert sind.

In seinen Enthüllungsvideos spricht er über die Verflechtungen von Mafia und Politik - Mafiaboss Sedat PekerBild: REİS SEDAT PEKER/Youtube

Dabei hat Peker auch einer Abgeordneten der AKP, Zehra Taşkesenlioğlu und ihrem Bruder sowie dem früheren Chef der Kapitalmarkt-Aufsichtsbehörde (SPK), Ali Fuat Taşkesenlioğlu, Korruption vorgeworfen. Sie sollen von dem Unternehmen Marka Investment Holding 12 Millionen türkische Lira (etwa 660 Tausend Euro) gefordert haben. Nachdem die Chefin von Marka, Mine Tozlu Sineren, diese Vorwürfe im türkischen Fernsehen bestätigt hat, hat die SPK Anzeige erstattet. Die Staatsanwaltschaft hat nun zum ersten Mal seit dem Beginn von Pekers Enthüllungen Ermittlungen aufgenommen.

Auch die Opposition hat vor kurzem aufgrund von Pekers Aussagen Anzeige gegen Regierungsmitglieder erstattet, konnte aber keinen Ermittler finden, der gegen die Regierung ermitteln will. Man hat auch keine große Hoffnung, dass die Ermittlungen unabhängig durchgeführt werden.

Vom Kriminellen zum politischen Influencer

Mit seinen Enthüllungen ist Peker im vergangenen Jahr zu einem der Hauptakteure der türkischen Politik geworden. Seine Einblicke hinter die Kulissen belasten die Regierung schon seit einiger Zeit.

Gerät durch Pekers Enthüllungen unter Druck - der türkische Präsident Recep Tayyip ErdoğanBild: Aytac Unal/AA/picture alliance

Anfänglich hat er in seinem YouTube-Kanal Videos veröffentlicht, in denen er Politikern aus der Regierungspartei AKP schwere Vorwürfe gemacht hat: Sie seien in Mord, Drogenschmuggel, Machtmissbrauch, Vergewaltigung und viele weitere illegale Machenschaften verstrickt. Dabei hat er besonders den türkischen Innenminister Süleyman Soylu ins Visier genommen.

Um einem Haftbefehl zu entgehen, musste Peker die Türkei verlassen und hält sich nach mehreren Stationen momentan in den Vereinigten Arabischen Emiraten auf. Er twittert unter dem Pseudonym "Deli Çavuş", übersetzt "Der verrückte Feldwebel". Abu Dhabi hat bisher das von Ankara gestellte Auslieferungsgesuch ignoriert.

Kann Peker Einfluss auf die Wahlen nehmen?

Am 18. Juni des kommenden Jahres gehen die Türken an die Wahlurne. Da könnten sich die Türken für eine andere Regierung entscheiden und theoretisch Erdoğan in Rente schicken. Bisher hat Peker Erdoğan nie direkt angegriffen. Sein enger Vertrauter Emre Olur hat allerdings angekündigt, dass Peker zwei Monate vor den Wahlen wichtige Informationen enthüllen wird. Doch wie viel Reichweite wird Peker damit haben?

Der US-amerikanische Professor Ryan Gingeras erforscht die Beziehungen zwischen Staat und kriminellen Vereinigungen und beobachtet insbesondere die organisierte Kriminalität in der Türkei seit längerem. Die neuesten Enthüllungen und die darauffolgenden personellen Konsequenzen wiesen darauf hin, dass Pekers Behauptungen in sozialen Medien eine Wirkung zu haben scheinen, erklärt Gingeras. "Es ist aber nicht klar, welche Wirkung Pekers Vorwürfe auf die ungebundenen sowie leidenschaftlichen Unterstützer der Regierung haben. Falls Pekers bisherige Anschuldigungen die Meinung der Wähler nicht bereits geändert haben, warum sollten diese neuen Enthüllungen sie überzeugen, dass sie ihre Meinung ändern sollen?", so Gingeras.

Den ganzen Schaden, den Peker jemals anrichten kann, habe er bereits angerichtet, betont Gingeras: Mit einer bahnbrechenden Enthüllung, die die öffentliche Meinung in der Türkei maßgeblich beeinflussen kann, sei nicht zu rechnen. "Wahrscheinlich haben sich die Wähler, die an Peker glauben und seine Anschuldigungen relevant finden, bereits entschieden, nächstes Jahr nicht Erdoğan zu wählen." Er sei sich auch nicht sicher, ob Erdoğans Regierung eine einheitliche Strategie oder Perspektive zu Peker und seinen Anschuldigungen entwickelt habe.

Ein tief verwurzeltes Problem

Pekers letzte Behauptungen haben erneut eine öffentliche Debatte rund um kriminelle Strukturen in der Türkei ausgelöst. Illegale Geschäfte sind aber für die Türkei kein neues Phänomen. Die Korruption in der Türkei kam nicht erst mit der AKP-Regierung, sondern ist historisch tief verwurzelt:

Ryan GingerasBild: Privat

"Seit hundert Jahren hat die Wirtschaftspolitik der Türkei illegalen Machenschaften sehr viel Raum gelassen. Die Brüche, Widersprüche und Spannungen in der Politik haben den Nährboden für eine äußerst lukrative informelle Wirtschaft bereitet", so der Türkei-Experte Gingeras.

Sedat Peker ist nicht der Einzige, der die Korruption in der Türkei ins Visier genommen hat. Letztes Jahr wurde die Türkei von der Financial Action Task Force (FATF) auf die sogenannte "graue Liste" gesetzt, weil die Maßnahmen im Kampf gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung als unzureichend bewertet wurden.

Im "Global Organized Crime Index" der "Globalen Initiative gegen Transnationale Organisierte Kriminalität" werden der Türkei ebenfalls schwere Vorwürfe gemacht. Darin steht: "Die Türkei ist als ein Mafiastaat bekanntgeworden und die Beweise bestätigen, dass dies der Fall ist - jetzt mehr denn je." Auch Gingeras' Einschätzung nach ist die Türkei mittlerweile "zu einem Zentrum der organisierten Kriminalität" geworden - und Erdoğans Partei AKP habe kein Problem damit.

Die Frage, ob Pekers Enthüllungen zu einem Ende der heutigen Regierung führen könnten, ist schwer vorherzusehen. Aber dass ausgerechnet ein rechtsextremer Mafiaboss zu einem der der schärfsten Kritiker Erdogans geworden ist, bleibt unbestritten. Er bleibt ein wichtiger Akteur, der die türkische Gesellschaft weiterhin prägt: "Vor allem wollen Menschen, dass ihr Verdacht sich bestätigt. Peker gibt den Menschen, was sie wollen", führt Gingeras aus.

Burak Ünveren Redakteur. Themenschwerpunkte: Türkische Außenpolitik, Deutsch-Türkische Beziehungen.
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