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Politik

"Es hat nur wenige Minuten gedauert"

Serkan Ocak
6. August 2021

Die Waldbrände im Süden der Türkei bedrohen nach wie vor die Menschen, die ihr Hab und Gut zu retten versuchen. Dabei riskieren die Verzweifelten ihr Leben. DW-Reporter Serkan Ocak folgte den Spuren des Feuers.

Türkei | Waldbrände | Bewohner | Sabahat Karabacak
Einheimische zeigt ihre zerstörte Wohnung in MilasBild: Serkan Ocak/DW

"150 Häuser standen hier einmal. Nachdem die Flammen unser Dorf erreichten, sind 67 von ihnen niedergebrannt", klagt Muhtar Cansiz. Er ist Dorfvorsteher in dem 250-Seelen-Ort Kalemler in der Provinz Antalya nahe der Stadt Manavgat. Kaum eine Region in der Türkei hat mehr unter den furchtbaren Waldbränden gelitten, die seit vergangener Woche im Süden des Landes wüten.

Sichtlich mitgenommen erzählt Cansiz wie schnell sein Dorf von den Flammen überrascht wurde. "Es hat nur wenige Minuten gedauert, bis sich zahlreiche Häuser entzündeten. Jeder Eingriff war zwecklos. Häuser, Olivenhaine, Tiere und Traktoren haben sich in kürzester Zeit in Asche verwandelt". Ein deutsch-türkisches Ehepaar konnte sich nicht mehr retten, es wurde tot in seinem ausgebrannten Haus gefunden.

Jeder Eingriff war zwecklos, berichtet Dorfvorsteher CansizBild: Serkan Ocak/DW

Die Brände, die an mehr als 100 Orten im Süden der Türkei ausgebrochen sind, haben mindestens neun Menschen das Leben gekostet. Die meisten Feuer konnten allmählich unter Kontrolle gebracht werden, doch an ungefähr einem Dutzend Orten - in den Provinzen Mugla und Antalya - bedrohen sie weiterhin die Bevölkerung.

Familienväter bleiben zurück

Und die Wucht der Waldbrände ist immer noch groß. Die Betroffenen gehen davon aus, dass sich die Löscharbeiten noch lange hinziehen werden. Viele Ortschaften wurden evakuiert, die zurückgebliebenen Dorfbewohner sind oft hilflos den Flammen ausgeliefert. Oft schicken die Familienväter ihre Eltern, Ehefrauen und Kinder zu ihren Verwandten. Sie selber bleiben im Dorf, versuchen ihr Hab und Gut vor den Flammen zu retten - und riskieren dabei ihr Leben.

Mehtmet Uysal kam zu spät, um sein Vieh zu rettenBild: Serkan Ocak/DW

So auch Bauer Mehmet Uysal. Sein Gesicht sowie Arme und Beine sind von Brandwunden gezeichnet. Die Verletzungen hat er sich zugetragen, als er seine Tiere in Sicherheit bringen wollte. Doch nur zwei Drittel seiner insgesamt 150 Rinder konnte Uysal vor den Flammen retten, für seine Schafe, Lämmer und für seinen Hund war es zu spät. Der Landwirt gibt sich dennoch kämpferisch: "Ich habe mich verbrannt. Wenn die Flammen zurückkommen, verbrenne ich mich gerne noch einmal."

"Noch nie habe ich so ein Feuer gesehen"

Der hochgelegenen, gebirgigen Region Milas in der ägäischen Provinz Mugla ist von den Waldbränden ebenso stark zugesetzt worden. Der 37-jährige Förster Bozalan in Milas blickt zutiefst bewegt auf einen Hang hinunter, wo sich verkohlte Olivenbäume erkennen lassen. Mit Tränen in den Augen fällt er auf die Knie. "Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie ein solches Feuer gesehen", sagt er mit leiser Stimme.

Verkohlte Olivenbäume nach dem Brand in MilasBild: Serkan Ocak/DW

Die Flammen haben in dem Dorf einen beachtlichen Schaden verursacht - zusätzlich geht die Angst vor Explosionen oder giftigen Gasen um. In der Nähe von Milas ist, allen Löscharbeiten zum Trotz, das Heizkraftwerk Kemerköy abgebrannt.

Angst vor der Explosion und Giftgasen

Das Feuer nähert sich nun einem zehn Kilometer weiter gelegenen Wärmekraftwerk, wo große Kohlereserven gelagert sind. Die Dorfbewohner befürchten ein unkontrollierbares Szenario - etwa eine Explosion oder den Austritt von giftigen Gasen.

Die Flammen nähern sich einem Kraftwerk in MilasBild: Hande Nayman/DHA

Die Behörden versuchen die Katastrophe im letzten Moment abzuwenden. Aus den Siedlungen rund um das Wärmekraftwerk wurden rund 2000 Menschen evakuiert - vor allem ältere Menschen, Frauen, Familien mit Kindern. In dem nahegelegenen Badeort Ören hält sich an diesem Morgen niemand mehr am Strand zum Schwimmen auf. Die meisten Ladenbesitzer mussten schon weg, bevor sie überhaupt ihre Türen abschließen konnten. Nur Katzen streunen durch die Straßen.

Mit Wut im Bauch

Ob in Kalemler, Ören oder Milas - die Waldbrände haben zu den unterschiedlichsten Schicksalsschlägen geführt. Was die Betroffenen aber vereint, ist die Wut, die sie im Bauch spüren: Viele machen die Regierung für die schnelle Ausbreitung des Feuers verantwortlich. Andere sind verärgert darüber, dass erst so spät Löschflugzeuge im Kampf gegen die Brände eingesetzt wurden. Manche haben den Verdacht, dass die Feuer absichtlich gelegt worden seien - obwohl es bisher keine Hinweise auf Brandstiftung gibt.

Ungeachtet der vielen Entbehrungen und des großen Leids gibt es in den betroffenen Dörfern einen Hoffnungsschimmer: Das Feuer hat sich am Freitag gelegt. Wenn der raue Wind der Ägäis jedoch zurückkehrt, werden die Flammen ihr Zerstörungswerk fortsetzen.

Aus dem Türkischen adaptiert von Daniel Derya Bellut

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