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Politik

Türkische Interessen, ägyptische Sorgen

Kersten Knipp | Mahmoud Hussein
6. Januar 2020

Die Türkei hat erste Militärkontingente nach Libyen entsandt. Das stößt in Ägypten auf erhebliches Unbehagen. Kairo präsentiert sich als internationale Vermittlermacht, verfolgt aber durchaus eigene Interessen.

Libyen Tripolis Demonstration gegen die türkische Parlamentsentscheidung Truppen nach Libyen zu senden
Demonstration gegen die Entsendung türkischer Truppen nach Libyen, Tripolis, 3.1.2020Bild: Reuters/E. O. Al-Fetori

Am Montag tagte der UN-Sicherheitsrat, für Mittwoch hat Ägypten ein Treffen mit Vertretern von vier europäischen Mittelmeer-Anrainerstaaten angekündigt. Beide Male geht es um den Konflikt in Libyen, der nun um einen weiteren Akteur reicher ist: Die Türkei hat auf Anforderung der internationalen Regierung von Premier Fajiz al-Sarradsch erste Truppenkontingente nach Libyen entsandt. Damit hat sich der Krieg in dem Land an der afrikanischen Mittelmeerküste noch stärker internationalisiert.

Die Regierung in Kairo wertete die türkische Militärintervention als "Angelegenheit der nationalen Sicherheit Ägyptens". Bei den für Mittwoch geplanten Gespräche in Kairo - teilnehmen werden die Außenminister von Frankreich, Italien, Griechenland und Zypern - will Ägypten sich um "umfassende Lösungen" für den Konflikt in Libyen bemühen.

Allerdings ist Ägypten selbst Partei in dem Konflikt. Die Regierung des Landes bezeichnete die im November von Ankara und Tripolis unterzeichneten Vereinbarungen als "illegitim". Darin ist sich das Land mit Griechenland und Zypern einig, die das maritime Abkommen zwischen den beiden Staaten ebenfalls kritisieren.

Die Interessen der Türkei

Im Konflikt um Libyen treffen ganz unterschiedliche Interessen aufeinander. Einige von ihnen hätten nur indirekt mit dem Land zu tun, sagt Canan Atilgan, Leiterin des Regionalprogramms "Politischer Dialog Südliches Mittelmeer/Tunis" der Konrad Adenauer Stiftung. Das türkische Engagement hätte ganz wesentlich mit dem Konflikt um die Nutzung der in den letzten Jahren entdeckten Erdgasfelder im östlichen Mittelmeer zu tun.

Mehrere Anrainerstaaten haben Anfang 2019 das Eastern Mediterranean Gas Forum ins Leben gerufen. Die Türkei ist nicht mit dabei. Israel, Zypern und Griechenland wollen die Vorkommen nun gemeinsam erschließen, zudem will Israel Teile der Fördermengen nach Ägypten exportieren. Die Türkei sieht sich um die von ihr beanspruchten Anteile gebracht.

Strategischer Blick nach Libyen: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan Bild: picture-alliance/AP Photo/Presidential Press Service

"Die Türkei würde von den Bodenschätzen nicht profitieren. Das will sie nicht zulassen", sagt Canan Atilgan im DW-Interview. "Hinzu kommt: Würden die Gasfelder erschlossen, würde das die Bewegungsfreiheit der Türkei auf dem Mittelmeer erheblich einschränken. Dieser Entwicklung sucht sie nun durch den Zusammenschluss mit Libyen ein Gegengewicht entgegenzustellen." 

Die Sorgen Ägyptens

In Ägypten steht allerdings ein anderes Motiv im Vordergrund: die Sorge vor neuen ideologisch-machtpolitischen Spannungen für den Fall, dass die Türkei ihre Präsenz in Libyen ausbaut. "Die türkisch-ägyptischen Beziehungen sind seit 2013 sehr belastet", sagt Atilgan. "Erdogans AKP-Regierung gilt ja als starke Unterstützerin der Muslimbrüder. Zudem hat Erdogan aus seiner Ablehnung der ägyptischen Regierung nie einen Hehl gemacht. Er kritisiert die ägyptische Regierung als illegitim und unrechtmäßig."

Damit, so die Sorge in Kairo, könnte auch die Diskussion um den Umgang der Regierung mit den ägyptischen Muslimbrüdern wieder in den Vordergrund treten. Nach dem Sturz des Staatspräsidenten Mohammed Mursi hatte die Regierung von Abdel Fatah al-Sisi die Muslimbrüder in aller Entschiedenheit bekämpft und dabei auch schwere Menschenrechtsverletzungen begangen.

Türkei in Libyen? Nein Danke! Szene von einer Demonstration gegen türkische Präsenz in Libyen, 3.1.2020Bild: Reuters/E. O. Al-Fetori

Ägypten ist allerdings nicht nur wegen einer Renaissance der Diskussion um den Umgang der Regierung mit den Muslimbrüdern besorgt. Sorgen mache man sich auch wegen einer anderen möglichen Entwicklung, sagt der Politologe Mohamed Abdel-Qader Khalil des ägyptischen Forschungsinstituts Al-Ahram Center for Political and Strategic Studies im DW-Interview. "Man fürchtet, die Türkei wolle Libyen in ein Aufmarschgebiet für dschihadistische Organisationen verwandeln und die Spannungen dadurch zusätzlich anheizen."

Aufregung in den ägyptischen Medien

Diese Sorge wird in den unter dem Einfluss des Staates stehenden ägyptischen Medien ausdrücklich artikuliert. Der türkische Präsident sehe im militärischen Engagement in Libyen eine der wenigen verbliebenen Hoffnungen, um islamistische Gruppen im Nahen Osten zu unterstützen, heißt es etwa auf der Seite "Ahram online".

Auch in den sozialen Netzwerken regt sich Protest. Unter dem Titel "Kullana aljaisch" (Wir alle sind das Heer) protestieren zahlreiche Nutzer gegen das türkische Engagement.

General Haftar als Hoffnungsträger

Das Engagement könnte die innerlibyschen Spannungen weiter anheizen - und damit auch die Sicherheit der libysch-ägyptischen Grenze untergraben. Durch eine solche Entwicklung sähe Ägypten seine nationalen Sicherheitsinteressen berührt, sagt Canan Atilgan. "In Kairo legt man großen Wert auf den Schutz der Grenzen, damit nicht Islamisten, Muslimbrüder oder andere religiöse Extremisten nach Ägypten eindringen."

Aus diesem Grund setzt Ägypten auch auf den großen Gegenspieler der Regierung Al-Sarradsch, General Khalifa Haftar, der seine Truppen nach einem ersten Anlauf im Frühjahr vergangenen Jahres nun wieder in Richtung der Hauptstadt Tripolis schickt und laut deren eigenen Angaben dabei gerade erst die Hafenstadt Sirte erobert hat. Wichtig für Ägypten: Haftar ist ein entschiedener Gegner sämtlicher islamistischer Gruppierungen.

Tödlicher Anschlag: Szene von der Militärakademie in Tripolis, wo am Samstag eine Rakete einschlugBild: Getty Images/AFP/M. Turkia

Die Unterstützung für Haftar lässt die innerlibyschen Spannungen allerdings genauso steigen wie die der regulären, in Diensten der Zentralregierung stehenden Armee. "In Libyen herrscht ein Stellvertreterkrieg", sagt Canan Atilgan. "Das Land ist längst zum Spielball fremder Interessen geworden." Wie gewalttätig er geführt wird, zeigt sich am vergangenen Samstag, als eine Bombe auf eine Militärakademie der regierungstreuen Armee im Süden von Tripolis einschlug. Dabei kamen 30 junge Soldaten ums Leben, ebenso viele wurden verletzt.

Die deutsche Bundesregierung plant für den laufenden Monat eine internationale Libyenkonferenz, die die Akteure zur Beendigung des Konflikts an einen Tisch bringen soll. Die derzeitige Militarisierung verheißt auch für diese Initiative wenig Gutes, sagt Canan Atilgan.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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