Krieg auf allen Kanälen
25. Januar 2018Panzerkolonnen rollen Richtung Grenze, Soldaten feiern ihren Einmarsch, Mütter weinen um ihre gefallenen Söhne: Im türkischen Fernsehen ist der Militäreinsatz in Syrien im Moment Thema Nummer eins. Der Tenor der Berichterstattung: sehr patriotisch, kaum kritisch. Die große Mehrheit der Türken scheint hinter der "Operation Olivenzweig” zu stehen - zumindest im Istanbuler Viertel Kasımpaşa. Hier ist Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan aufgewachsen, hier leben seine treusten Anhänger.
“Wir kämpfen gegen den IS und andere Terroristen - und wer uns nicht helfen will, sollte uns zumindest nicht im Weg stehen“, sagt ein älterer Mann, der zum Plaudern mit Bekannten in eine kleine Teestube unweit der AKP-Parteizentrale gekommen ist. “Ich wünsche unserer Armee in Afrin Stärke und Kraft. So Gott will, werden wir gewinnen“, pflichtet ihm ein anderer bei. “Unser Präsident wird uns zum Sieg führen“. Hier jedenfalls gibt es niemanden, der die Offensive für einen Fehler hält.
Kaum Kritik an “Operation Olivenzweig“
Die türkischen Politiker sind sich ähnlich einig in diesen Tagen: Nicht nur Präsident Erdoğan und seine regierende AKP unterstützen den Einmarsch in Syrien. Auch Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu sagt, er befürworte die Operation. Und Meral Akşener, die Chefin der neu gegründeten “Guten Partei“, die bei der nächsten Wahl Präsident Erdoğan herausfordern will, schreibt auf Twitter, sie bete für die “ruhmreiche Armee“. Der Kampf gegen die syrische Kurdenmiliz YPG ist für die großen Parteien auch ein Kampf gegen die als Terrororganisation eingestufte PKK.
Lediglich die pro-kurdische HDP übt scharfe Kritik: Die “Operation Olivenzweig“ sei inakzeptabel, kritisiert Cemile Çelik, die bis vor Kurzem eine der Sprecherinnen der Partei in Istanbul war. “Der Olivenzweig ist ein Symbol des Friedens, aber jetzt wird er mit Blut befleckt“, sagt sie. “Erdoğan reicht diesen Olivenzweig dem syrischen Machthaber Assad, der früher sein Verbündeter war. Aber dieser Einsatz ist nur dazu da, um ein Massaker an den Kurden anzurichten.”
“Wer nicht für uns ist, unterstützt die Terroristen“
Aussagen wie die von Cemile Çelik sind nicht ungefährlich im Moment. In den vergangenen Tagen wurden laut Berichten türkischer Medien und NGOs mehr als 90 Menschen wegen Kritik an dem Militäreinsatz in Syrien festgenommen: Politiker, Aktivisten und auch Journalisten. Der offizielle Vorwurf: “Terrorpropaganda“. Kurz nach Beginn des Einsatzes machte Außenminister Cavuşoğlu klar, was er von den türkischen Bürgern erwartet: “Wer beim Afrin-Einsatz nicht an unserer Seite steht, unterstützt die Terroristen."
Der Journalist Uğur Güç kennt mehrere Kollegen, die wegen kritischer Berichte über die türkische Armeeoffensive Ärger mit den Behörden bekommen haben. Er sagt, dass die Regierung den Chefredakteuren der großen türkischen Medien eine patriotische Linie der Berichterstattung vorgegeben hat. “Alle Zeitungen erschienen mit denselben Schlagzeilen - das ist Regierungspropaganda“, sagt Güç, der Istanbul-Chef der Vereinigung Progessiver Journalisten (PJA). Ähnliche Vorwürfe erhebt auch Reporter ohne Grenzen: Ministerpräsident Yilidirm habe den Chefredakteuren 15 “Empfehlungen“ gegeben, wie über den Einsatz zu berichten sei.
Demnach seien die Journalisten angehalten, “das nationale Interesse zu berücksichtigen“, wenn es etwa darum gehe, internationale Medien zu zitieren, die “kritisch über die Türkei“ berichten, zitiert Reporter ohne Grenzen die Liste der Empfehlungen. Außerdem solle man keine “Demonstrationen oder Aussagen von Personen hervorheben, die die verbotene Kurdenpartei PKK unterstützen“.
Mitverantwortung oder Selbstzensur?
“Viele von uns müssen sich selbst zensieren, um keine Probleme zu bekommen“, sagt Journalist Uğur Güç. “Guter Journalismus ist unter diesen Bedingungen leider nicht möglich.“
Mahmut Övür widerspricht. Der Kolumnist der regierungsnahen Tageszeitung “Sabah“ sagt, die Berichterstattung über den Afrin-Einsatz werde nicht vom Staat gelenkt. “Wenn es um die nationale Sicherheit geht, trägt jeder Journalist eine Mitverantwortung - das ist überall auf der Welt so“, sagt Övür. “Aber das heißt nicht, dass man hier nicht frei über alles schreiben dürfte. Allerdings verwechseln einige Medien und einige Intellektuelle in der Türkei Meinungsfreiheit mit Hass auf die Regierung.“
Im türkischen Fernsehen wird der Krieg wohl auch in den kommenden Tagen weitergehen. Präsident Erdoğan hat angekündigt, den Militäreinsatz in Syrien noch ausweiten zu wollen.