1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Weg frei für mehr Ausnahmezustand

29. September 2016

Drei Monate lang sollte nach dem Putschversuch in der Türkei der Ausnahmezustand gelten. Zu kurz, findet der Nationale Sicherheitsrat und empfiehlt dessen Verlängerung. Bisher kam es zu 32.000 Festnahmen.

Ein türkischer Soldat in einem Panzerausguck (Foto: Getty Images)
Soldaten sind zu Zeiten des Ausnahmezustands häufiger auf türkischen Straßen zu sehen (Archivbild)Bild: Getty Images/AFP/Getty Images/AFP/O. Kose

Nach einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates unter Vorsitz von Staatschef Recep Tayyip Erdogan in Ankara empfahl das Gremium die Verlängerung. Dies solle zum wirksamen "Schutz unserer Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Rechte und Freiheiten unserer Bürger" geschehen.

Jahrestag als Feiertag

Nach der Verfassung muss zunächst der Sicherheitsrat beraten, bevor formell das Kabinett unter Erdogan die Verlängerung des Ausnahmezustands beschließen kann. Mit der Entscheidung des Sicherheitsrates dürfte das nur noch eine Formsache sein. Zur Dauer einer Verlängerung machte der Ausschuss keine Angaben. Der Sicherheitsrat empfahl außerdem, den 15. Juli, den Tag des Putschversuches, künftig alljährlich als "Tag der Demokratie und Freiheiten" zu feiern.

Am 20. Juli verhängte Erdogan den Ausnahmezustand für die Dauer von zunächst drei Monaten. In dieser Zeit kann er als Staatspräsident per Notstandsdekret regieren. Damit schuf Erdogan die Voraussetzungen für Massenverhaftungen. Weite Teile der Opposition haben diese Maßnahmen kritisiert. Das Parlament hat unter dem Ausnahmezustand nur noch wenig Mitspracherecht.

Erdogans "umfangreiche Säuberungen" im Staatsapparat

Justizminister Bekir Bozdag: "Die größten Prozesse der türkischen Geschichte."Bild: picture-alliance/dpa/E.Sansar

Zweieinhalb Monate nach der Niederschlagung des Putsches sitzen in der Türkei rund 32.000 Verdächtige in Untersuchungshaft. Zehntausende Mitarbeiter der Sicherheitskräfte, der Justiz und des Bildungswesens wurden aus dem Dienst entfernt. Insgesamt seien gegen 70.000 Verdächtige juristische Schritte eingeleitet worden, sagte Justizminister Bekir Bozdag in einem Interview eines türkischen Fernsehsenders. Ihnen werde vorgeworfen, in Verbindung mit der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen zu stehen. Präsident Erdogan wirft dem in den USA lebenden Gülen vor, Drahtzieher des Militärputsches zu sein. Er geht von einem "terroristischen Netzwerk" Gülens aus.

Ein neues Gerichtsgebäude muss her

Die bevorstehenden Gerichtsprozesse würden die bislang größten in der türkischen Geschichte, erklärte Bozdag. Es sei "noch nicht ganz geklärt", wie sie geführt würden, sagte der Justizminister. Nötig seien mehr juristische Einrichtungen, um alle in den Putsch verwickelten Gülen-Anhänger belangen zu können. In der Stadt Sinan nahe der türkischen Hauptstadt Ankara wird bereits ein neues Gerichtsgebäude gebaut.

Die Türkei fordert Gülens Auslieferung. Nach Angaben Bozdags haben die USA angekündigt, in einigen Tagen auf das Auslieferungsgesuch zu antworten. Gülen hat die Anschuldigungen, er sei Drahtzieher des Putschversuches, wiederholt zurückgewiesen. In einem Gespräch mit der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit" sagte der 75-Jährige: "Wer andere Menschen Terroristen nennt, obwohl sie Frieden predigen, ist selbst ein Terrorist".

Selbstkritischer Gülen

Nach eigenen Worten sieht der Prediger inzwischen Teile seines früheren Wirkens kritisch. "In meinen frühen Predigten habe ich zu pauschal den Westen verurteilt. Heute sehe ich das anders", sagte Gülen in dem "Zeit"-Interview. Gülens "Hizmet"-Bewegung steht für ein konservatives, auf weltliche Bildung gegründetes Islamverständnis. Kritiker werfen dem Prediger vor, seine Bewegung weise sektenähnliche Züge auf.

ust/mak (afp, dpa, rtr)

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen