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Politik

Türkischer Wahlkampf in Deutschland

13. März 2017

Ob Mitglieder der türkischen Regierung in Deutschland auftreten und für die umstrittene Verfassungsänderung werben dürfen, ist zur Glaubensfrage geworden. Eine Betrachtung der Fakten.

Deutschland türkischer Außenminister Mevlüt Cavusoglu in Hamburg | Protest
Bild: Reuters/F. Bimmer

Die Debatte wird hochemotional geführt: Dürfen Mitglieder der türkischen Regierung in Deutschland sprechen und für das umstrittene Referendum werben, mit dem Präsident Recep Tayyip Erdogan im April die Verfassung der Türkei in entscheidenden Punkten ändern will? Stimmen die Türken in der Volksbefragung mehrheitlich mit "Evet", also "Ja" für die Verfassungänderung, dann will Erdogan aus dem parlamentarischen Regierungssystem seines Landes ein Präsidialsystem machen - und seinen Machtanspruch legitimieren.

Viele Menschen in Deutschland sind empört. "Auftritte für Diktatur verhindern!", twittert beispielsweise die Vorsitzende der Linken, Sahra Wagenknecht. Der Journalist Can Dündar wiederum, selbst von Erdogans repressivem Vorgehen betroffen, schreibt in einem Kommentar in der ZEIT, mit einem Auftrittsverbot türkischer Politiker würde sich Deutschland den türkischen Praktiken nur annähern. Seit Erdogans Nazi-Vergleich kochen die Emotionen vollends über.

Lassen wir die Gefühle mal beiseite: Welche Argumente haben rechtlichen Bestand und welche nicht? 

In Deutschland herrscht Meinungsfreiheit. Deshalb muss jede Meinung ausgehalten werden. 

Stimmt das?

In Artikel 5 des Grundgesetzes heißt es "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten". Gilt das dann nicht auch für die türkischen Politiker? "Nein", sagt der Verfassungsrechtler Heiko Sauer von der Universität Bonn. "Nein" sagte auch das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss vom letzten Freitag. Die Meinungsfreiheit gilt erst einmal für alle, auch für ausländische Bürger. "Sobald diese ausländischen Bürger allerdings in ihrer amtlichen Funktion als Regierungsmitglieder auftreten, dann können sie sich auf die Grundrechte nicht mehr berufen", erläutert Sauer. Für Erdogan und seine Regierungsmitglieder gilt also die Meinungsfreiheit - rein rechtlich gesehen - nicht.

Prof. Heiko Sauer lehrt deutsches und europäisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht an der Uni Bonn

Die Versammlungsfreiheit gilt laut Artikel 8 nur "für Deutsche".

Stimmt das?

Das ist zwar formal richtig. Ausländische Bürger dürfen sich aber natürlich trotzdem versammeln, wenn auch auf einer anderen rechtlichen Grundlage. "Sie können sich auf die allgemeine Handlungsfreiheit berufen, die auch im Grundgesetz geschützt ist", sagt Sauer. Diese allgemeine Handlungsfreiheit ist leichter einzuschränken als die Versammlungsfreiheit. "Die politische Betätigung von Ausländern ist weniger geschützt als die von Inländern. Das soll damit zum Ausdruck gebracht werden", erklärt der Verfassungsrechtler. Die rechtlichen Hürden, die eine Versammlung von Ausländern einschränken, seien zwar weniger hoch. Versammeln dürfen sich die Türken also. "Ausländische Versammlungen lassen sich aber nicht deshalb einschränken, weil einem der Inhalt dessen, was da gesagt wird, nicht passt", betont Sauer. Da müsse schon die öffentliche Sicherheit in Gefahr sein oder eine berechtigte Sorge vor gewalttätigen Ausschreitungen bestehen. 

Ministerpräsident Binali Yildirim macht im Februar Wahlkampf in Oberhausen Bild: Reuters/W. Rattay

Artikel 18 des Grundgesetzes schränkt die Meinungs- und Versammlungsfreiheit ein, wenn diese Grundrechte missbraucht werden. Auf dieser Grundlage ließe sich der Wahlkampf in Deutschland verbieten.

Stimmt das?

Nein. In der Praxis ließe sich mit dieser Bestimmung gar nichts anfangen, meint Sauer. Ob jemand seine Grundrechte verwirkt hat, muss in einem bestimmten Verfahren festgestellt werden. Das sei aufwendig und käme so gut wie gar nicht vor, so Sauer. "Die Krux an der Meinungs- und Versammlungsfreiheit ist ja nun mal, dass sie auch das schützt, was einem politisch eventuell nicht passt", sagt Sauer. Die Tatsache, dass die Türkei mit dem Referendum ein politisches System etablieren wolle, das kein demokratischer Rechtsstaat nach deutschen Maßstäben sei, reiche nicht als Grund aus, die Werbung und den Wahlkampf ganz zu verbieten. Vor allem dann nicht, wenn die Werbung nicht durch Erdogans Regierung erfolgt, sondern durch einen türkischen Verein in Deutschland. Der Artikel 18 ist für diesen Fall zu vernachlässigen.

Es leben fast 1,5 Millionen Türken in Deutschland. Deshalb hat die türkische Regierung ein Recht auf Wahlkampf.

Stimmt das?

Nein, ein Recht auf Wahlkampf gibt es nicht. Klar, das Interesse der türkischen Regierung an den vielen in Deutschland lebenden Türken sei berechtigt, meint Sauer. Die Menge der hier beheimateten Türken ergibt aber rechtlich keinen Unterschied.

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10.03. zum Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten in Deutschland bedeutet, die Entscheidung liegt allein bei der Bundesregierung.

Vox pop: Wahlkampfauftritte

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Stimmt das?

Ja, das stimmt. In der Entscheidung heißt es, Staatsoberhäupter oder Mitglieder ausländischer Regierungen hätten keinen automatischen Anspruch auf eine Einreise nach Deutschland oder um hier Politik zu machen. "Hierzu bedarf es der Zustimmung der Bundesregierung, in deren Zuständigkeit für auswärtige Angelegenheiten eine solche Entscheidung fällt, so der Wortlaut des Beschlusses. 

Ob Erdogan Wahlkampf in Deutschland machen darf, ist weniger eine rechtliche denn eine politische Entscheidung. Wollte die Bundesregierung den türkischen Politikern die Werbung für das Referendum verbieten - das Gesetz wäre auf ihrer Seite. Stellt sie ihnen allerdings die Bühne zur Verfügung, muss sie mit dem leben, was dort aufgeführt wird.

Julia Vergin Teamleiterin in der Wissenschaftsredaktion mit besonderem Interesse für Psychologie und Gesundheit.
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