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Politik

Türkischer Wahlkampf in Deutschland

Nina Niebergall
18. Februar 2017

Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim will in Oberhausen für die umstrittene Verfassungsreform werben. Zehntausend Zuhörer werden erwartet. Was macht Politiker vom Bosporus bei Deutschtürken so populär?

Symbolbild Türkische Parlamentswahl in Deutschland
Bild: picture-alliance/dpa/U. Deck

Ein Meer aus roten Fahnen mit weißem Halbmond und ein Politiker, der die Menge mit einer pathetischen Rede zum Jubeln bringt - solche Veranstaltungen in Deutschland sind inzwischen vielen vertraut. Denn in den vergangenen Jahren sind immer wieder hochrangige türkische Politiker hier aufgetreten. Dieses Mal: Ministerpräsident Binali Yildirim. In Oberhausen will er das von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan geplante Präsidialsystem anpreisen, über das am 16. April per Volksabstimmung entschieden wird. Denn auch die in Deutschland lebenden Türken dürfen abstimmen.

"Wir wollen, dass Politiker eine Plattform haben, um ihre Haltung zu der Verfassungsänderung darzulegen. So können sich die Menschen eine Meinung bilden", sagt Bilgi Bülent, Generalsekretär der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD). Seine Organisation unterstützt die Kundgebung Yildirims. Offiziell wird sie direkt vom türkischen Ministerpräsidentenamt organisiert. Die UETD beansprucht für sich, die größte Vertretung der türkeistämmigen Deutschen zu sein - und gilt als verlängerter Arm der türkischen Regierungspartei AKP.

Unmut in Berlin

Das stellt die deutsche Politik vor eine schwierige Situation: Der türkische Ministerpräsident spricht auf deutschem Boden über eine Verfassungsreform, die alle Parteien im deutschen Bundestag entschieden ablehnen. Entsprechend vehement fällt die Kritik aus Berlin aus. Der Grünen-Fraktionschef Cem Özdemir meint, Yildirim mache "Wahlkampf für einen Staat von Erdogans Gnaden", die Linken-Politikerin Sevim Dagdelen verlangt, den "Werbefeldzug für eine türkische Diktatur" mit einem Einreiseverbot zu unterbinden.

Bundestagsabgeordneter Mutlu: Verbot der Kundgebung wäre kontraproduktivBild: picture-alliance/dpa

Das Problem: Yildirim tritt auf einer privaten Veranstaltung auf. In der deutschen Demokratie, in der Meinungs- und Versammlungsfreiheit gelten, gibt es keine rechtlichen Möglichkeiten, dagegen vorzugehen. "Das wäre auch nicht im Sinne der Sache", sagt Özcan Mutlu, Bundestagsabgeordneter der Grünen. "Wenn Yildirim den Auftritt nicht genehmigt bekommt, werden sie ihn in Ankara als Opfer zelebrieren und sagen: Seht ihr, Deutschland ist eine Scheindemokratie." Das würde Erdogan und seine AKP mehr stärken als schwächen, argumentiert Mutlu. "Begegnungen und Dialog sind in schwierigen Zeiten wichtig, aber politische Auseinandersetzungen der Türkei dürfen nicht zu uns getragen werden."

Vermutlich werden an diesem Samstag also tausende Menschen den Worten eines Ministerpräsidenten lauschen, der praktisch die Abschaffung seines eigenen Amtes vorschlägt. Denn die geplante Verfassungsreform würde alle Macht in der Hand eines Mannes vereinen: Erdogan. Yildirim gilt als sein Vasall. Im türkischen Staatsfernsehen hat er Erdogans Vision einer präsidialen Türkei vehement verteidigt und alle Gegner beschuldigt, der Gülen-Bewegung oder der kurdischen Arbeiterpartei PKK anzuhängen und somit Terroristen zu unterstützen - ein klarer Einschüchterungsversuch an alle Kritiker. 

Sein Besuch ist Gegenstand der Debatte: Binali YildirimBild: Getty Images/AFP/A. Altan

Spiegel türkischer Konflikte

Der Einfluss der türkischen Medien auf die Community in Deutschland ist groß, sodass gerade AKP-Anhänger Yildirims Äußerungen wohl kennen werden. Was bedeutet das für die Kundgebung des Ministerpräsidenten? Der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte: "Wir gehen selbstverständlich davon aus, dass alle Beteiligten dieser Veranstaltung in Oberhausen sicherstellen werden, dass dabei nicht innertürkische Konflikte in irgendeiner Weise hier auf deutschem Boden ausgetragen werden."

Die Mahnung erfolgte nicht ohne Grund: Nach dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei ließ die UETD mitteilen, man sei "zuversichtlich, dass alle Verantwortlichen dieser illegalen Meuterei ihre gerechte Strafe vor der türkischen Justiz und des türkischen Volkes erhalten". Daraufhin griffen einige aus der Türkei stammende Personen deutsche Einrichtungen an, die der Bewegung des Exilpredigers Fethullah Gülen nahestehen. Erdogan macht Gülen für den Putsch verantwortlich. Erst zwei Tage später mahnte die UETD zur Besonnenheit.

Dass nun so viele Menschen zu Yildirims Auftritt in Oberhausen erwartet werden, ist "auch ein Ergebnis einer verschlafenen Integrationspolitik", ist Politikwissenschaftler und Türkei-Experte Burak Copur sicher. Über 40 Jahre lang habe die deutsche Politik es versäumt, die Menschen dauerhaft zu integrieren. Nun verstärke die Massenpropaganda der AKP in den türkischen Medien diese mangelnde Integration.

Zu Gast statt Zuhause

Es ist die immer wiederkehrende Debatte um das "Einwanderungsland Deutschland". Lange Zeit ging die deutsche Politik nicht davon aus, dass Leute, die aus dem Ausland kommen, auch bleiben würden. Es waren schließlich "Gastarbeiter" - hier zu Gast, aber nicht Zuhause. Wer nicht auf Dauer bleibt, muss auch nicht ankommen.

Bei einer Kundgebung in Karlsruhe werden sie wie Popstars verehrt: Erdogan und seine FrauBild: picture-alliance/AA/K. Ozer

Davon profitiert Erdogan. Er nutzt die oft jahrzehntelangen Erfahrungen der Ausgrenzung, um Sympathien zu gewinnen. Bei einer Kundgebung 2015 in Karlsruhe begrüßte er die Zuschauer mit den Worten: "Ihr seid für uns nicht Gastarbeiter, sondern unsere Stärke im Ausland." Seine Botschaft: Wir sind für euch da, ihr gehört zu uns. Mit Blick auf die Veranstaltung in Oberhausen sagt UETD-Funktionär Bülent: "Gebe es eine größere Halle, wäre auch diese voll."

Politikwissenschaftler Copur erläutert das Phänomen so: "Viele Menschen suchen Zuflucht bei einem vermeintlichen Heilsbringer, der ihnen Halt, Stabilität und ein Heimatgefühl anbietet. Deutsche Politiker sind nicht in der Lage, ihnen das zu geben."

Mit Füßen, Kopf und Herz

Dem Grünen-Abgeordneten Mutlu ist es wichtig zu betonen, dass viele Deutsche, deren Familien aus der Türkei stammen, gut integriert sind. Schließlich sei er selbst einer von ihnen. Dennoch mahnt er: "Wir müssen uns fragen, wieso es uns nicht gelungen ist, dass die Menschen mit den Füßen, dem Kopf und dem Herzen hier ankommen. Mit den Füßen auf deutschem Boden, mit dem Herzen in Deutschland und mit dem Kopf bei der deutschen Politik." Eine Debatte wie die um die doppelte Staatsbürgerschaft sei beispielsweise "Gift für die Integration". Stattdessen gehe es um die Anerkennung von Religion, Sprache und Kultur, um Wertschätzung und Respekt. Die Deutschen müssten endlich merken: Migration ist gut für unser Land.

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