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Türkischer Gewinner der Goldenen Palme in den Kinos

Jochen Kürten11. Dezember 2014

Im Mai bekam der Film von Nuri Bilge Ceylan die Goldene Palme in Cannes. Nun kommt der Film in die deutschen Kinos - Anlass für uns, aktuelle Strömungen des türkischen Kinos unter die Lupe zu nehmen.

Winterschlaf Kino Film Melisa Sözen (Foto: Nuri Bilge Ceylan / Weltkino Filmverleih/dpa)
Bild: Nuri Bilge Ceylan/Weltkino Filmverleih

Dem ganz normalen Kinogänger mögen türkische Filme kaum auffallen zwischen all den großen Blockbustern aus Hollywood und deutschen Filmen von Til Schweiger bis Wim Wenders. Meist laufen diese Filme hierzulande nur in Großstädten und mit wenigen Kopien an. Große kommerzielle türkische Genrefilme richten sich zudem ausschließlich an die hier lebenden Menschen mit Migrationshintergrund - sie werden oft in Originalsprache ohne Untertitel gezeigt.

Vom Horrorfilm bis zur Dokumentation - ein breites Angebot

Schaut man sich aber die Spielpläne genauer an, so ist man verblüfft über die vielen, unterschiedlichen Angebote. Ein paar Beispiele aus den vergangenen Monaten: Im Frühjahr kam Yeşim Ustaoğlus Film "Araf - Somewehre in Between" in die Kinos, der ein klassisches Thema des türkischen Films aufgriff: den Konflikt der Menschen zwischen Provinz und Stadt, zwischen Tradition und Moderne.

"Araf - Somewhere In Between" thematisiert die großen Unterschiede in der modernen TürkeiBild: trigon-film

Hüseyin Tabaks "Deine Schönheit ist nichts wert" dagegen nahm die Situation von türkischen Migranten in den westeuropäischen Großstädten, in diesem Fall Wien, in den Fokus. Und Aslı Özges "Lifelong - Hayatboyu" erzählte von der Entfremdung eines Ehepaars in Istanbul. Dokumentarfilme aus der Türkei, türkische "Mafia"-Filme, Horrorfilme und vor allem Komödien aus den Produktionsstudios aus Istanbul und Ankara ergänzten das Angebot.

Ausnahmeregisseur Nuri Bilge Ceylan

Mit dem Schub der Goldenen Palme von Cannes hat auch Nuri Bilge Ceylans "Winter Sleep" ("Winterschlaf") einen deutschen Kino-Verleih gefunden. Der Regisseur galt schon im Vorfeld des wichtigsten Festivals der Welt im Mai als heißer Kandidat für die Palme. Ceylan hatte sich mit seinen streng komponierten Werken, die mit seismografischem Blick Veränderungen innerhalb der türkischen Gesellschaft wahrnehmen, einen festen Platz im europäischen Kunst-Kino erobert.

Nuri Bilge Ceylan mit der Goldenen Palme 2014Bild: Reuters

Ceylan steht für ein ästhetisch ausgereiftes Kino: Ein Massenpublikum erreichen Ceylans anspruchsvolle Filme nicht - weder in Deutschland noch in der Türkei. Im Gegenteil. In der Türkei wurde der Regisseur in einem großen kommerziellen Blockbuster wegen seiner langsamen Dramaturgie sogar verspottet, erzählt der Filmjournalist Bernd Buder, der das türkische Kino der letzten Jahre intensiv beobachtet hat.

Komödien und Kriegsfilme

Die Masse der Deutschen mit türkischen Wurzeln strömte in Städten wie Berlin und Köln in den vergangenen Jahren in die populären Filme der Komödienserie "Recep İvedik" oder die umstrittenen Kriegsfilme der "Tal der Wölfe"-Folgen. Diese kommerziellen Filmbeispiele des türkischen Kinos stehen für eine Ausprägung der modernen türkischen Gesellschaft - die künstlerischen Filme eines Nuri Bilge Ceylan für eine andere. Beide zusammen symbolisieren die Zerrissenheit des Landes, die sich gerade in den letzten Monaten so eklatant gezeigt hat.

Nuri Bilge Ceylans früheres Meisterwerk "Drei Affen"Bild: Arsenal Filmverleih

"Guckt man sich türkische Mainstreamfilme an, zeigt sich die Gespaltenheit der türkischen Gesellschaft", sagt Buder: "Auf der einen Seite sind Filme, die liberale, auch linke Werte transportieren, gerade Richtung Geschlechterverhältnis oder türkisch-kurdisches Verhältnis." Auf der anderen Seite stünden Werke, die sehr nationalistisch seien. Als dritte Strömung nennt Bernd Buder "Filme, die stark islamistische Werte transportieren und dabei die Vertreter des kemalistischen Staates als korrupt und Amerika-hörig hinstellen."

Durchbruch 1982 mit "Yol"

In der ersten Hälfte der 1980er Jahre wurden türkische Filme zunehmend auch in deutschen Kinos gezeigt. Der Kurdenkonflikt, das Verhältnis der Geschlechter, der Stadt-Land-Konflikt oder die Zerrissenheit der Menschen zwischen Tradition und Moderne - das waren damals Themen des neuen türkischen Films. 1982 bekam "Yol - der Weg" von Yilmaz Güney die Goldene Palme in Cannes und feierte auch in den hiesigen Programmkinos große Erfolge. Güneys Film beschäftigte sich mit sozialen Veränderungen innerhalb der türkischen Gesellschaft nach dem Militärputsch 1980. Der Regisseur konnte seinen Film allerdings zunächst nicht selbst inszenieren: Er saß im Gefängnis und war auf die Mitarbeit von Kollegen angewiesen.

Yilmaz GüneyBild: picture-alliance/dpa

Seit "Yol" ist der türkische Film deutschen Kinogängern ein Begriff. Immer wieder war er seitdem auf Festivals, aber auch in deutschen Programmkinos erfolgreich. Zuletzt machte Regisseur Semih Kaplanoğlu mit:"Bal - der Honig" auf sich aufmerksam. "Bal", Teil einer filmischen Trilogie, erzählt vom harten, entbehrungsreichen Leben eines Imkers in der Provinz. Kaplanoğlu bekam dafür 2010 den Goldenen Bären der Berliner Filmfestspiele.

Zu wenig Aufmerksamkeit für türkische Filme

Zum relativ großen Angebot türkischer Filme in deutschen Kinos tragen auch die vielen deutsch-türkischen Filmfestivals bei. In Städten wie Berlin, Nürnberg und Frankfurt werden seit Jahren regelmäßig neue Filme aus der Türkei gezeigt. Und doch: Bernd Buder meint, dass diese wegen der vielen deutsch-türkischen Mitbürger so wichtige Kinoszene hierzulande zu wenig Beachtung findet: "Gerade das deutsche Publikum sollte eigentlich neugieriger auf die Türkei sein."

Schnee auch als Sinnbild für eine vereiste türkische Gesellschaft: "Winterschlaf"Bild: Nuri Bilge Ceylan/Weltkino Filmverleih

"Winter Sleep" von Nuri Bilge Ceylan bietet nun Gelegenheit, eine Seite des türkischen Kinos kennen zu lernen. Dafür muss der Zuschauer allerdings Geduld aufbringen. Sein in Cannes prämierter kunstvoller Film über den ehemaligen Schauspieler Aydin (Haluk Bilginer), der mit seiner Frau Nihal (Melisa Sözen/unser Bild oben) in der Provinz von Kappadokien ein Hotel betreibt, dauert knapp drei Stunden. Die vielen langen Einstellungen dürften auch die deutschen Kinozuschauer fordern. Doch sie werden belohnt mit einem außergewöhnlichen Kinoerlebnis.

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