Bauboom, Gewalt gegen Frauen, Flüchtlingsströme und Gezi-Proteste: Die modernen Fotoarbeiten in einer Berliner Galerie spiegeln die Umbrüche im Land am Bosporus wider. Genau so wollten es die Ausstellungsmacher.
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Fotoausstellung "Türkiyeli": Über Unruhen und Umbrüche in der Türkei
Die Galerie "f hoch drei" in Berlin stellt die Werke sieben zeitgenössischer Fotografen aus der Türkei aus. In ihrer kritischen Reflexion, etwa der Gewalt an Frauen, entwickeln ihre Werke eine eigene Bildsprache.
Bild: Barbaros Kayan
Zwischen Kunst und Dokumentation
Die Spannbreite der behandelten Themen in der Ausstellung ist groß: Flüchtlingsströme, der Krieg in Syrien, Polizeigewalt in Kurdengebieten der Türkei, Bauboom und Genderfragen. Kürşad Bayhans Fotos von Flaschen etwa, um die kurdische Frauen eine Verzierung genäht haben, stehen symbolisch für die kriegsähnlichen Zustände im Südosten der Türkei.
Bild: Kürşat Bayhan
Die Menschenkette von Suruç
Der Magnum-Fotograf Emin Özmen konzentriert sich in seiner Arbeit auf die Zustände in den kurdischen Gebieten der Türkei. "Turkey´s Hidden Wars" ist der Titel seiner schwarz-weiß Serie. Er thematisiert u.a. Wasserwerfer- und Tränengaseinsätze der Polizei sowie Ausgangssperren. Im Januar 2015 bilden Kurden eine Menschenkette in Suruç, um die kurdischen Kämpfer gegen den IS zu unterstützen.
Bild: Magnum/Emin Özmen
Newroz-Fest trotz Krieg
Tausende Menschen strömen im März 2015 zum Newroz-Fest nach Suruç, das trotz des Kriegs stattfindet. Diese Männer rasten unterwegs. Suruç wurde zum Symbol des Widerstands gegen den IS. Emin Özmen versteht seine Arbeit als Dokumentation: "Um Lösungen für die massiven Probleme in unserer Region zu finden, müssen wir ein genaues Bild davon haben, was geschieht."
Bild: Magnum/Emin Özmen
Flüchtlinge aus Kobane
In seiner Serie "Moving Portraits" widmet sich Barbaros Kayan den Ängsten von Flüchtlingen aus Kobane, die in der Türkei in Camps untergebracht waren. Mit der Serie stellt er die Frage: Was geschieht, wenn diese Menschen in ihre Heimat zurückkehren? Zuerst reiste Kayan nach Syrien und dokumentierte die Zerstörung und Verwüstung.
Bild: Barbaros Kayan
Neue konzeptuelle Bildsprache
Außerdem fotografierte Barbaros Kayan im Rahmen der Serie Syrer in den türkischen Flüchtlingslagern, legte ihre Silhouetten auf die Fotos ihrer Heimatstadt - und entwickelte damit eine neue Bildsprache.
Bild: Barbaros Kayan
Gentrifizierung in Istanbul
Mit dem Bauboom und der Gentrifizierung, insbesondere in Istanbul, setzt sich Göksu Baysal in seiner Serie "Istanbul Reloaded" auseinander. In den Bildern kommen die Gewalt gegen die Natur und der Machtanspruch des aggressiven Baubooms zum Ausdruck.
Bild: Göksu Baysal
Graue Moderne
Unter dem Vorwand, die Stadt sicherer gegen Erdbeben zu machen, und unter dem Namen "städtische Erneuerung" werden seit Jahren historisch gewachsene Viertel dem Erdboden gleich gemacht. An ihrer Stelle entstehen graue Landschaften aus Beton. Die ansässige Bevölkerung wird vertrieben.
Bild: Göksu Baysal
Gezi - Vom Protest zur Bürgerbewegung
Als ein Protest gegen den Bauboom in Istanbul begannen im Sommer 2013 Demonstrationen im Gezi-Park. In seiner Bilderserie "Gezi" thematisiert Kemal Aslan den Widerstand der Bevölkerung gegen die Willkür des politischen Systems. Mehrere Wochen lang demonstrierten Tausende von Menschen in Istanbul für Freiheit und Gerechtigkeit und gegen die Unterdrückung durch Institutionen.
Bild: Kemal Aslan
Frauen zwischen Selbstbehauptung und Unterdrückung
Während der Gezi-Proteste trat die Zivilgesellschaft stärker in den Vordergrund. Eine Gruppe, die sich seitdem immer mehr Gehör verschafft, sind Frauen. Gleichzeitig nehmen Gewalt und Morde an Frauen stetig zu. In Emine Akbabas Serie "Precious Blossom" geht es um Frauen, denen es nicht gelingt, sich von ihrer Unterdrückung zu befreien.
Bild: Emine Akbaba
Frauen - Opfer von Gewalt und Morden
Im internationalen Vergleich ist die Gewalt gegen Frauen in der Türkei sehr hoch. Jede zweite berichtet davon, belästigt worden zu sein. Zwischen 2010 und 2016 wurden über 1600 Frauen ermordet. In ihrer Arbeit beschäftigt sich Emine Akbaba, Preisträgerin mehrerer Fotografieauszeichnungen, mit den Themengebieten Frauenrechte, Geschlechtergleichstellung und Meinungsfreiheit.
Bild: Emine Akbaba
"Isn't it love"?
Auch die LGBT-Bewegung verschafft sich seit den Gezi-Protesten verstärkt Gehör. "Isn't it love" lautet der Titel der Serie, die Ceren Saner anhand von Fotos, die sie auf Queer-Parties gemacht hat, erstellte. Mit ihnen hinterfragt sie nicht die Sexualität, sondern das Konzept der Liebe. In der Türkei wird die Serie nur während der Pride-Woche oder bei privaten Veranstaltungen gezeigt.
Bild: Ceren Saner
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"Türkiyeli" lautet der Titel der Ausstellung, was soviel wie "aus der Türkei stammend" heißt. Die Schau in den Räumen der Galerie "f hoch 3" im Berliner Stadtteil Kreuzberg, wo viele Türken leben, versammelt ausgewählte Werke von sieben aufstrebenden Fotografinnen und Fotografen. Teils dokumentarisch, teils künstlerisch dokumentieren sie die verheerenden Unruhen und Umbrüche in der Türkei: bürgerkriegsähnliche Zustände im Südosten, der Krieg in Syrien, Flüchtlingsströme, das Minenunglück von Soma, die Gezi-Proteste, der gewaltige Bauboom, die Gewalt an Frauen. Die ausstellenden Fotografen, darunter Kemal Aslan, Emine Akbaba, Göksu Baysal, Kürşat Bayhan und Barbaros Kayan, gehen die Themen überwiegend kritisch an.
An den Wänden hängen Bilder, über einen Bildschirm flimmert ein Video. Auch Ceren Saner gehört zum Künstlerkreis. Die Fotografin wurde 1991 in Istanbul geboren. "Isn´t it love" hat sie ihre Fotoserie genannt, die verschwommene, teilweise sich gegenseitig berührende Körper zeigt. Gesichter sind nicht zu sehen. Entstanden sind die Bilder auf Parties. In der Türkei waren die Fotos nur kurz zu sehen. Die Reaktionen auf ihre Bilder seien meistens positiv, erzählt Saner. "Oft sagen mir die Leute, dass sich die Fotos von der gängigen Art der Darstellung unterscheiden." Weil sie keine Gesichter darstelle, liege ihr Fokus auf dem Gefühl und der Bewegung.
Ausstellung soll Brücken bauen
Kuratiert wird die Ausstellung - neben Gisela Kayser und Katharina Mouratidi - von dem in der Türkei geborenen Fotografen Attila Durak. "Die türkischen Fotografen entwickeln eine neue zeitgenössische Bildsprache", erklärt er. "So stellen sie den Krieg im Südosten der Türkei etwa durch das Bild einer Glasflasche dar, um die die Frauen aus Kobane etwas gehäkelt haben. So erklären sie uns den Krieg."
Die bedrohliche politische Entwicklung in der Türkei hätten die Macher "auf dem Schirm gehabt", hört man hinter vorgehaltener Hand, als sie die Schau vor zwei Jahren planten. "Jede Fotografie hier", betont Kurator Durak bei der Eröffnung, "hat ihren gesellschaftlichen Hintergrund." Gleichwohl vermeide die Ausstellung, so ergänzt Katharina Mouratidi auf Anfrage, bewusst jede Polarisierung und Wertung. Vorgestellt werde eine junge, unabhängige und neutral berichtende Fotografengeneration. Sie bediene sich vielfach reportagehafter Mittel, während die traditionelle türkische Fotografie überwiegend um Landschaft und Porträts kreist.
Geschichten von Menschen
Der wohl bekannteste Fotograf, dessen Arbeiten weltweit Aufsehen erregten und vielfach ausgezeichnet wurden, ist Emin Özmen. Der Fotojournalist, Jahrgang 1985, arbeitet für die Agentur Magnum. In seiner Schwarz-Weiß-Serie "Turkey´s Hidden Wars" ("Die versteckten Kriege der Türkei") behandelt der Fotograf die bürgerkriegsähnlichen Zustände im Südosten der Türkei. So etwa den Tränengas-Einsatz der Polizei bei einer Demonstration von Kurden nach dem Wahlsieg der AKP im November 2015. Sich selbst versteht er als Dokumentarist. "Meine Motivation ist es, die Geschichte von unschuldigen Menschen zu erzählen", so Özmen.
Co-Kuratorin Katharina Mouratidi ist künstlerische Leiterin der "Gesellschaft für Humanistische Fotografie", die die Galerie "f hoch 3" betreibt. Sie möchte, wie sie sagt, unterschiedliche künstlerische Positionen verbreiten. "Die Intention der Ausstellung ist nicht zu spalten, sondern zu vereinen und eine Brücke zu bauen, jenseits der offiziellen Politik."