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Türkpop entlässt seine Kinder

Wolf Broszies8. September 2004

Popmusik vom Bosporus ist erfolgreich - nicht nur in der Türkei. Das ist vor allem einer Frau zu verdanken: Sezen Aksu. Und ihren musikalischen Ziehkindern.

Sezen Aksu


Sie erschien mit einem gelassenen Lächeln, unaufgeregt und in der Gewissheit, dass ein Großteil der Arbeit längst getan ist, noch bevor sie die Bühne betrat: Sezen Aksus Konzert in Berlin am Donnerstag (2.9.2004) hatte viel von einer Familienfeier. Alle durften mitmachen, selbst die Backgroundsänger bekamen Gelegenheit dazu, eigene Lieder vorzutragen. Und wenn auch alle höflich beklatscht wurden, so blieb der frenetische Jubel Sezen Aksu vorbehalten. Dass das Publikum die Texte auswendig kann und inbrünstig mitsingt, ist Ehrensache: "Sie ist einfach die Größte" lautet das knappe, einstimmige Urteil vieler Gäste.

Die Mutter aller Türk-Popstars

Von den übrigen beiden anderen musikalischen Schwergewichten türkischer Popmusik - kurz: Türkpop - hat Aksu keine Konkurrenz zu fürchten: Für Tarkan schrieb sie seinen bisher einzigen Welthit "Sımarık" auf den Leib, und auch Sertab Erener, der dritte Star, ist Aksus Entdeckung. In der türkischen Popmusik kommt an ihr niemand vorbei. Dass beide ihrer musikalischen Ziehkinder inzwischen international bekannter sind als sie, ist nicht zuletzt auf ihre Vorarbeit zurückzuführen, als sie in den 1990er-Jahren zahlreiche europäische und internationale Einflüsse in ihren Aufnahmen verarbeitete und so die türkische Musik für die Welt öffnete – und umgekehrt.

Sezen Aksu - Tarkan - Sertab Erener

Ein ungezogener Junge

Natürlich bleiben auch in den besten Familien Streitigkeiten nicht aus, und Tarkan hat es seinen Fans nie leichtgemacht. In Deutschland aufgewachsen, musste er im Alter von 15 Jahren in die Türkei, wo er ein Musikstudium begann. Umstritten war seine Entscheidung, 1994 nach New York zu ziehen, um seinen Fans zu entgehen, ebenso wie die Tatsache, dass er seinen Militärdienst auf einen Monat verkürzte. 2001 schließlich outete sich der Sänger nach einem Erpressungsskandal als homosexuell. Vielleicht erklärt aber auch gerade diese zerrissene Biografie zum Teil seine Beliebtheit bei jüngeren Türken, die sich mit den traditionellen Rollenbildern ihrer Eltern nicht mehr identifizieren können, und für die Tarkan diese Konflikte mit auslebt.

Nie wieder Jungstar

Von schwindender Beliebtheit ist jedenfalls auf seinen Konzernten nichts zu spüren. Eher ist es Tarkan selbst, der ein wenig auf Distanz zu seinen Fans bleibt. Mit einer professionellen Bühnenshow und satten Pop-Balladen zeigt er seine Eigenständigkeit und seine Entwicklung weg vom Jungstar zu einem erwachsenen Profil. Eines, das auch international ankommt. Viele seiner Fans in Deuschland sind Deutsche: Zu seinen Konzerten kommen viele, weil sie Tarkan schon lange kennen und die Fusion von orientalischen und europäischen Klängen schätzen. "Wir lieben die Türkei, sind jeden Sommer da, und natürlich gefällt uns auch die Musik" gibt eine Konzertbesucherin Auskunft: "Er tanzt einfach so sexy und ist nicht so kalt wie die englischen Stars."

Das Wunschkind

Eher brav, aber nicht minder erfolgreich, nimmt sich dagegen Sertab Erener aus. Ihr Erfolg beim Eurovision Sound Contest 2003 machte sie europaweit bekannt, und auch Erener erlegte sich in Folge auf eine internationale Karriere. Melodiöser, handwerklich solider Pop kennzeichnen ihre Alben, und mit spektakulären Bühnenshows hat sie sich eine treue Fangemeinde erarbeitet. Mit ihrer Weigerung, Interviews zu geben, pflegt sie zugleich den Ruf einer Diva.

In Europa angekommen

Solche Ideen wären Aksu fremd. Sie geht ganz auf ihr Publikum ein, scherzt, kommentiert Einwürfe, lässt die Zuschauer dann ein Lied wünschen, und tritt erst nach mehreren Zugaben unter brausendem Applaus ab. Nicht, ohne sich ausführlich für den großartigen Empfang, der ihr bereitet wurde, zu bedanken. Musikalisch ist die Türkei mit Sertab Ener und Tarkan schon lange in Europa angekommen, und auch wenn Sezen Aksu hierzulande noch weniger bekannt ist als ihre Ziehkinder, so ist das doch zu einem Großteil ihr Verdienst.

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