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Täuscht RWE Öffentlichkeit und Kohlekommission?

Energiekonzerne | 31.08.2018

Der Energiekonzern RWE will den Hambacher Forst roden. Dies sei notwendig, damit die Kraftwerke nicht bald stillstehen. Laut DW-Recherchen bleibt aber auch ohne Rodung noch genügend Kohle für mindestens drei Jahre.

Die kürzlich vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) veröffentlichten Dokumente sind brisant: Täuschen der Energieverorger RWE und RWE-Chef Ralf Martin Schmitz die Kohlekommission, Ministerien und Öffentlichkeit? Will der Konzern ohne dringende Notwendigkeit den schützenswerten Hambacher Altwald trotz massiver Proteste noch schnell roden?

Worum geht es genau?

Derzeit tagt regelmäßig die Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung. Im Auftrag der Bundesregierung sollen die 31 Kommissionsmitglieder bis zum Jahresende einen Vorschlag für einen Kohleausstieg erarbeiten. Dieser soll sozialverträglich sein, einen Strukturbruch vermeiden, also dass etwa bestimmte Regionen durch Arbeitslosigkeit besonders schwer getroffen werden, und er soll die gesetzten Klimaziele im Rahmen des Pariser Klimaabkommens erreichen.

Nach Angaben des Sachverständigenrates der Bundesregierung und anderer Studien kann Deutschland seine Klimaziele nur durch einen zügigen Kohleausstieg erreichen.

Zu erwarten ist, dass deshalb auch die Kohlekommission einen schnellen Kohleausstieg befürworten wird.

Mehr dazu: Deutschland könnte Klimaziele problemlos erreichen

Abbaukante in Hambach. Bei derzeitigem Baggertempo wird der Wald vorne in 2,5 Jahren, hinten in 4,5 Jahren erreicht.

RWE will die Ergebnisse der Kohlekommission allerdings trotz zahlreicher Appelle nicht abwarten und hält an seinen bisherigen Abbauplänen im rheinischen Braunkohlerevier fest. Im Zentrum der Kritik steht vor allem die angestrebte Rodung des ökologisch wertvollen Altwaldes am Rand des großen Tagebaus Hambach.

RWE behauptet in Schreiben an die Kohlekommission, an Ministerien und Presse, dass die Rodung des umstrittenen Hambacher Forstes notwendig sei, damit die Kraftwerke die Stromproduktion zeitnah aufrechterhalten können. "Eine vorübergehende Aussetzung der für Oktober 2018 geplanten Rodung im Tagebau Hambach würde bereits kurzfristig die Fortführung des Tagebaus und damit die Stromerzeugung der Kraftwerke Niederaußem und Neurath in Frage stellen", schreibt RWE-Chef Rolf Martin Schmitz an die Vorsitzenden der Kohlekommission. Das Schreiben liegt der DW vor.

Alles dreht sich um die Abbaukante

Als Grund für diese umstrittene Rodung nennt Schmitz zwei Sachzusammenhänge: Zum einen sei die Abbaukante des Tagebaus auf "rund 300 Meter" an den Wald herangerückt. Die Abbaukante ist quasi der Rand des Tagebaus. Diese Kante rückt pro Jahr um "circa 150 Meter" weiter. Demnach wäre die Kante des Tagebaus in zwei Jahren am Rand des umstrittenen Waldes angekommen. Laut RWE gäbe es ohne Rodung folglich noch einen Kohlenachschub für die angeschlossenen Kraftwerke von etwa zwei Jahren.

Der BUND veröffentlichte jetzt allerdings Dokumente, die diese Angaben in Frage stellen. Aus einer RWE-Karte von Juni 2018 geht beispielsweise hervor, dass der Abstand zwischen Abbaukante und Wald tatsächlich zwischen 310 und 510 Meter liegt, im überwiegenden Bereich des Waldes bei "mehr als 400 Metern".

Mit Hilfe von Fotos von Google Earth weist der Umweltverband zudem nach, dass die Abbaukante in der Vergangenheit nur um knapp 120 Meter pro Jahr Richtung Wald vorgerückt war.

Nimmt man diese Dokumente als Grundlage, so würde die Abbaukante des Tagebaus bei gleichbleibendem Kohleabbau den Waldrand erst nach über drei Jahren erreichen. Der Nachschub für die Kraftwerke wäre also demnach für über drei Jahre gesichert.

Beschließt die Bundesregierung jedoch bald eine zeitnahe Reduktion des Braunkohlestroms, so würden die Bagger den Waldrand erst später erreichen. Auch könnte bei einem entsprechenden Beschluss eine weitere Rodung des Waldes sogar überflüssig werden oder nur noch eingeschränkt nötig sein.

Braunkohleexperte Dirk Jansen (BUND) gibt Mitgliedern der Kohlekommission einen Überblick vor Ort

Empörung über tolerante Rechtsauslegung

Laut dem genehmigten Hauptbetriebsplan sind Wälder und andere Naturräume am Tagebau Hambach "in ihrer ökologischen Funktion möglichst lange zu erhalten" und Rodungen "auf das betrieblich erforderliche Maß zu beschränken". Erlaubt sind laut dieser Bestimmung deshalb lediglich Rodungen auf einer Fläche, die dem Fortschreiten der Bagger in einem Zeitrahmen von zwei Jahren entsprechen. Bei einem Tagebaufortschritt von 120 Metern pro Jahr läge demnach die Rodungsgrenze bei 240 Metern.

Andreas Nörthen, Pressesprecher der Bezirksregierung Arnsberg, bestätigt die Bestimmung, zeigt sich aber gegenüber der Deutschen Welle in der Auslegung tolerant. Als gelernter Bergbauingenieur hat er Verständnis für die betriebstechnischen Belange und Erfordernisse von RWE: "Wenn man noch zusätzliche Sicherheitsabstände hinzurechnet, dann ist eine Rodung im Abstand von 500 Meter vom Tagebaurand akzeptabel", so Nörthen. Eine genaue schriftliche Bestimmung zu diesem zusätzlichen Sicherheitsabstand gebe es jedoch nicht.

Dirk Teßmer, Rechtsanwalt des BUND, zeigt sich gegenüber der Deutschen Welle über die Rechtsauffassung und Haltung von Pressesprecher Nörthen empört. "Das Bergamt agiert jenseits seiner rechtsstaatlichen Amtspflichten und als Gehilfe von RWE, wenn es dem Unternehmen zur Vermeidung der Konsequenzen eines Klageerfolgs des BUND vorsorglich einen größeren Rodungsvorlauf gewährt als nach geltendem Recht zulässig ist." 

Waldpädagoge Michael Zobel erklärt Besuchern die Bedeutung des Hambacher Waldes für Arten- und Klimaschutz

Wie reagiert RWE?

Die Deutsche Welle gab RWE die Möglichkeit, die vom BUND veröffentlichten Dokumente zu bewerten. RWE beantworte zwar die Anfrage, ging aber nicht auf gestellte Fragen zur Abbaukante ein. Insbesondere widersprach der Konzern nicht der Feststellung, dass die Entwicklung des Tagebaus in der Vergangenheit bei lediglich 120 Metern lag. Auch widersprach RWE nicht der Feststellung, dass der Abstand zwischen der Abbaukante und dem Wald im überwiegenden Bereich des Waldes derzeit bei mehr als 400 Metern liegt. 

Trauer um Tod im Hambacher Wald
Tiefe Betroffenheit

Der Journalist Steffen Meyn kam im Hambacher Wald bei der Arbeit ums Leben. "Nachdem die Presse in den letzten Tagen oft in ihrer Arbeit eingeschränkt wurde, bin ich nun in 25 Metern Höhe, um die Räumungsarbeiten zu dokumentieren", twittert er am Tag vor seinem Tod. Am nächsten Tag stürzt Heyn (27) von einer Brücke zwischen den Baumhäusern ab. Ein Brett gab nach, er wollte sich gerade absichern.

Trauer um Tod im Hambacher Wald
Räumung in riskanter Höhe

Am 13. September begann die Räumung des Waldes durch die Polizei. Klimaschützer hatten in den letzten sechs Jahren rund 60 Baumhäuser gebaut und sich so gegen die Rodung des alten Waldes gewehrt. Der Energiekonzern RWE will hier weiter Braunkohle fördern und wird von der NRW-Landesregierung unterstützt. Begründet wurde die Räumung mit fehlenden Brandschutzvorschriften in den Baumhäusern.

Trauer um Tod im Hambacher Wald
Ein Leben für das Ende von Braunkohle

Die Klimaaktivisten sind jung. Clumsy ist einer von ihnen und lebt seit fünf Jahren im Hambacher Wald. Vor ein paar Tagen wurde dieses Baumhaus von der Polizei zerstört. Clumsy fordert Verantwortung für nachfolgende Generationen und sieht sich in der Tradition von anderen Menschrechtsbewegungen. Sein gewaltfreier Widerstand wurde auch vom verunglückten Journalisten dokumentiert.

Trauer um Tod im Hambacher Wald
Kein Rodungstopp trotz aller Appelle

Die Räumung der Aktivisten aus den Baumhäusern ist riskant, aufwendig und dauert Stunden. Die Bewohner ketten sich an, spezielle Kletterer der Polizei versuchen in der Höhe den Widerstand zu brechen - für alle Beteiligten eine sehr gefährliche Situation. Doch trotz allen Warnungen vor den Gefahren halten NRW-Landesregierung und der Energiekonzern RWE an der Rodung fest.

Trauer um Tod im Hambacher Wald
Absurder Einsatz?

Die Polizisten machen ihren Job, räumen die Baumhäuser, führen die Waldbewohner ab. Auch viele Polizisten halten den aufwendigen und gefährlichen Einsatz für überflüssig, da eine Kohlekommission im Auftrag der Bundesregierung eingesetzt wurde. Diese soll bis Dezember einen Plan für den Kohleausstieg vorlegen. Es ist deshalb gut möglich, dass die Braunkohle unter dem Wald nie gefördert werden wird.

Trauer um Tod im Hambacher Wald
Der Widerstand wächst

Rund 100 bis 200 junge Menschen leben derzeit im Hambacher Wald oder in dem angrenzenden Camp. Kleine Dörfer mit Baumhäusern sind in den vergangen Jahren entstanden. Bisher wurden 39 Häuser laut Polizeiangaben zerstört. Die Bewohner werden festgenommen und müssen mit Anklagen rechnen. Bei den sonntäglichen Waldführungen machen sich viele Menschen ein Bild über die aktuelle Situation.

Trauer um Tod im Hambacher Wald
Massenprotest gegen RWE

Die ersten Baumhäuser wurden am Donnerstag (13.9.) zerstört, drei Tage später wird der Sonntagsspaziergang zum Massenprotest. Mehr als 6000 Bürger zeigen sich solidarisch mit den Waldbewohnern. Sie fordern ein Innehalten von RWE und der NRW-Landesregierung, eine Eskalation des Konflikts müsse vermieden werden. Bis die Kohlekommission im Dezember ihren Plan vorlegt dürfe keine Rodung erfolgen.

Trauer um Tod im Hambacher Wald
Kohle oder Zukunft

Für die Demonstranten ist der Konflikt klar: RWE will aus Profitgründen noch möglichst lange weiter Braunkohle verstromen, zeigt sich trotz Klimawandel unnachgiebig und wird dabei von der NRW Landesregierung unter Ministerpräsident Laschet (CDU) unterstützt. Auch Familien sind unter den Demonstranten und werben für eine klimafreundliche Zukunft.

Trauer um Tod im Hambacher Wald
Spielt RWE mit falschen Zahlen?

Die Abbaukante am Tagebau Hambach. RWE behauptet, dass die Rodung dieses alten Waldes jetzt im Oktober unumgänglich sei, da sonst bereits kurzfristig die Versorgung der Kraftwerke mit Braunkohle gefährdet sei. Laut DW-Recherchen stimmt die Behauptung jedoch nicht und ohne Rodung gäbe es noch genügend Kohle für mindestens drei Jahre.

Trauer um Tod im Hambacher Wald
Unklare legale Situation

Braunkohleexperte Dirk Jansen (BUND) erklärt Mitgliedern der Kohlekommission die Lage vor Ort. Nach Auffassung des Umweltverbandes verstößt die Rodung gegen geltendes Recht. Auch die zuständigen Aufsichtsbehörden in NRW hätten versagt. Neue Klagen wurden deshalb eingereicht. Möglicherweise wird in den nächsten Wochen deshalb die Justiz entscheiden, ob der Wald noch gerodet werden darf.

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