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Tadschikistan vor dem Verfassungsreferendum

17. Juni 2003

– Präsident Emomali Rachmonow hat keine starken Gegner

Köln, 17.6.2003, DW-radio / Russisch

In weniger als einer Woche wird in Tadschikistan das Referendum über die Änderung und Ergänzung der Landesverfassung stattfinden. Geändert werden soll die Anzahl der Amtszeiten, die ein und dieselbe Person auf dem Posten des Staatspräsidenten ausüben darf, was auch die wichtigste Neuerung wäre.

Alle sechs offiziell zugelassenen politischen Parteien haben zum Referendum Position bezogen. Es berichtet unser Korrespondent in Duschanbe, Nigora Buchari-sade:

Die "Volksdemokratische Partei Tadschikistans" tritt für die Volksbefragung ein, was auch vollkommen zu erwarten war, weil die Initiative, die Verfassung zu ändern, gerade von einer Abgeordnetengruppe dieser Partei ausging. Zu den Parteien, die das Referendum bejahen, zählt auch die "Kommunistische Partei", auch wenn deren Anhänger sich an der öffentlichen Debatte nicht stark beteiligten. Die "Partei der islamischen Wiedergeburt Tadschikistans" hat eine ziemlich liberale Haltung zum Referendum eingenommen. Anfangs wurde die Idee, ein Referendum abzuhalten, von der Parteiführung nicht unterstützt, sie lehnte es dann jedoch ab, sich gegen eine Beteiligung am Referendum auszusprechen. Dem Führer der Partei, Said Abdullo Nuri, zufolge gibt es im Lande heute sehr viele wichtigere Probleme, die einer schnellen Lösung bedürfen. Eine Verfassungsänderung sei nicht dringend notwendig. Seiner Meinung nach könnten jedoch ein unüberlegtes Vorgehen und laute Aufrufe, an der Abstimmung nicht teilzunehmen, "zu einem neuen Konflikt unter den Bürgern führen". Diese Haltung gegenüber den politischen Ereignissen nahm die "Partei der islamischen Wiedergeburt" in den vergangenen Monaten ein. Erstaunlich ist, dass ihre Position auch nach der unerwarteten Verhaftung ihres stellvertretenden Vorsitzenden, Schamsiddin Schamsiddinow, unverändert bliebt. Die Militär-Staatsanwaltschaft des Landes wirft ihm vor, Mitglied einer kriminellen Gruppierung gewesen zu sein und eine Reihe schwerer Straftaten begangen zu haben. Dem Obersten Militär-Staatsanwalt Scharif Kurbanow zufolge wurde Schamsiddin Schamsiddinow wegen Straftaten verhaftet. In diesem Fall gebe es keine politischen Motive. Die Führung der "Partei der islamischen Wiedergeburt" besteht jedoch darauf, dass die Verhaftung des stellvertretenden Parteivorsitzenden ein Fehler war und meint, dass ein Missverständnis vorliegt. Gleichzeitig, wie der Pressesprecher der Partei Chimatullo Sajfullosoda gegenüber der Deutschen Welle erklärte, schließt die Partei nicht aus, dass möglicherweise ein Zusammenhang zwischen der Verhaftung von Schamsiddin Schamsiddinow und der Haltung der "Partei der islamischen Wiedergeburt" zum bevorstehenden Referendum besteht. Chimatullo Sajfullosoda zitierte Said Abdullo Nuri, den Führer der "Partei der islamischen Wiedergeburt Tadschikistans", wonach es in der Partei viele Missgönner gibt, die damit unzufrieden sind, dass die Partei am Referendum teilnimmt, und die die konstruktiven Beziehungen zur Staatsmacht schädigen wollen. In Opposition zum Referendum stehen die "Sozialistische Partei Tadschikistans", die "Demokratische Partei Tadschikistans" und die "Sozialdemokratische Partei Tadschikistans", die gegen die Verfassungsänderungen eintreten. Auf einer Pressekonferenz am Montag (16.6.) in Duschanbe sagte der Führer der Sozialdemokraten, Rachmatillo Soirow, dass nach einer Verabschiedung der vorgeschlagenen Änderungen weitere kommen würden, weil dies die Verfassung verlange. Ihm zufolge hat weniger als die Hälfte der Bevölkerung vom Referendum überhaupt gehört. Außerdem seien nicht mehr als zwei Prozent der Wahlberechtigten mit den Änderungen vertraut. Deswegen werde nur ein sehr geringer Bevölkerungsanteil bewusst eine Entscheidung treffen. Der Vorsitzende der "Sozialistischen Partei Tadschikistans", Mirchusejn Narsijew, meint, dass die Änderungen, über die abgestimmt werden soll, dem Land und Volk schaden und den Normen einer demokratischen Gesellschaft widersprechen. Darüber hinaus sei der Änderungsentwurf ohne eine öffentliche Diskussion beschlossen worden, was die Legalität des Referendums in Frage stelle. Noch kategorischer sind die Demokraten. Der Vorsitzende der "Demokratischen Partei Tadschikistans", Machmadrus Iskandarow, erklärte, die Anhänger seiner Partei würden an dem Referendum nicht teilnehmen. Machmadrus Iskandarow ist der Ansicht, dass man von den Ergebnissen nichts anderes als eine Fälschung erwarten kann.

Auf die Frage, warum beschlossen wurde, das Referendum gerade in diesem Sommer durchzuführen, geht der in Deutschland lebende Zentralasien-Experte Jurij Semmel ein:

"Viele Beobachter versuchen heute, eine Antwort auf diese Frage zu finden. Die meisten meinen, dass es dem Präsidenten gelungen ist, die politische Lage in Tadschikistan gut zu analysieren. Heute hat der Präsident keine starken Gegner und die absolute Mehrheit der Abgeordneten des Landesparlaments nimmt eine deutlich präsidentenfreundliche Haltung ein. Die ‚Partei der islamischen Wiedergeburt Tadschikistans‘, die eine mächtige politische Kraft ist, entschied sich nach einigen Demarchen, Rachmonows Zielen nicht im Wege zu stehen.

Auch die Gruppe der ‚Machtminister‘, die nach außen hin Rachmonow gehorcht, ist an einer radikalen Änderung der Machtstruktur in Tadschikistan nicht interessiert. Es ist aber bekannt, dass einige von ihnen mehrmals erklärten, sie würden den Präsidenten absetzen, wenn er aufhören würde, sie zu berücksichtigen.

Der Zeitpunkt für die Durchführung des Referendums wurde auch unter Berücksichtigung der derzeitigen Stimmung in den politischen Kreisen des Westens gewählt. Ende vergangenen Jahres besuchte Emomali Rachmonow die USA und einige europäische Staaten. Es bedurfte keiner besonderen Bemühungen, um zu sehen, dass die ‚großen Gönner‘, die auf eine Festigung des eigenen Einflusses in der zentralasiatischen Region setzen, beabsichtigen, mit dem tadschikischen Führer zu rechnen. Auch Moskau hat sich nicht gegen das Referendum in Tadschikistan ausgesprochen. Für Moskau ist Rachmonow offensichtlich weiterhin ein bequemer, einschätzbarer und in ausreichendem Maße höriger Führer."

Nach Informationen, die unser Korrespondent in der Region, Oras Saryjew, von einer Quelle in den tadschikischen Machtstrukturen erhielt, sind der Präsident des Landes und sein enges Umfeld allerdings nicht der Überzeugung, dass die Situation stabil ist. Der Quelle zufolge war eines der Ziele des Besuchs von Emomali Rachmonow im Iran, Fragen zu besprechen, die mit der innenpolitischen Lage in Tadschikistan und mit dem Stopp der iranischen Unterstützung einiger Vertreter der Opposition im Zusammenhang stehen. Attentate auf Staatsvertreter, Brandanschläge und andere destabilisierende Aktionen in Tadschikistan geschehen nach Ansicht des Umfelds des Präsidenten nicht ohne eine Unterstützung aus dem Ausland, und zwar mit Hilfe radikaler Gruppierungen, die ihre Basen in Afghanistan und im Iran haben. Die Verhaftung des stellvertretenden Vorsitzenden der "Partei der islamischen Wiedergeburt Tadschikistans", so die Quelle, stehe auch in diesem Zusammenhang. (MO)