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Gesellschaft

Tafel: Sozialverbände sehen Staatsversagen

6. März 2018

Dass die Tafel in Essen nur noch Deutsche als Neukunden aufnimmt, sorgte für eine Welle der Empörung. Nun fordern 30 Organisationen eine Reaktion der Regierung, darunter auch höhere Hartz-IV-Sätze.

25 Jahre Tafeln
Ehrenamtliche Helfer bei der Essensausgabe einer Tafel in BerlinBild: picture-alliance/dpa/A. Riedl

In der Debatte um den umstrittenen Beschluss der Essener Tafel häufen sich Rufe nach einem stärkeren staatlichen Kampf gegen Armut. Ein Bündnis von rund 30 Sozialverbänden und Organisationen forderte in Berlin höhere Regelsätze für Hartz-IV-Empfänger und Bezieher von Sozialhilfe. Täglich 4,77 Euro für Essen und antialkoholische Getränke reichten bei weitem nicht. "Dass Menschen, egal welcher Herkunft, überhaupt die Leistungen der Tafeln in Anspruch nehmen müssen, ist Ausdruck politischen Versagens in diesem reichen Land", heißt es in der Erklärung des Bündnisses. Ihm gehören unter anderem der Paritätische Wohlfahrtsverband, der Bundesverband der Tafeln, der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Arbeiterwohlfahrt an.

Das Bündnis warnte, arme Menschen dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden. Es sei ein Skandal, dass die politisch Verantwortlichen das seit Jahren bestehende Armutsproblem verharmlosten. "Damit drohen neue Verteilungskämpfe", heißt es. Auch die Leistungen für Flüchtlinge seien nicht existenzsichernd. "Lebensmittelspenden sind gut, doch in unserem Sozialstaat darf niemand darauf angewiesen sein", sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider. "Die Sicherung des Existenzminimums ist Aufgabe des Sozialstaates."

Der Staat lässt Ehrenamtler alleine

Die Entscheidung der Essener Tafel, bis auf weiteres nur noch Deutsche als Neukunden aufzunehmen, sorgt seit Tagen für eine bundesweite Debatte. Durch Flüchtlinge und Zuwanderer seien ältere Tafel-Nutzerinnen und Alleinerziehende verdrängt worden, so die Begründung. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte die Entscheidung zunächst kritisiert, anschließend aber das Engagement der Tafeln hervorgehoben.

Der Vorsitzende der Tafel Deutschland, Jochen Brühl, forderte eine rasche Entlastung der Tafeln durch die Bundesregierung. "Die vergangenen Wochen haben gezeigt, wohin es führt, wenn der Staat ehrenamtliche Hilfsorganisationen wie die Tafeln mit Aufgaben alleine lässt, die größer sind als sie selbst." Ulrich Schneider sprach von einer "objektiv ethnischen Diskriminierung" der Essener Tafel, die korrigiert werden müsse. Denkbar seien als vorrübergehende Lösungen etwa Losverfahren oder das Bevorzugen besonders Bedürftiger. Rassismus-Vorwürfe wies er zurück. Er könne sich nicht vorstellen, dass bei Menschen, die seit Jahren ehrenamtlich tätig seien, rassistische Motive eine Rolle spielten. Das Grundproblem sei die Überlastung der Tafeln.

Jochen Brühl: "Der Staat lässt die Tafeln mit Aufgaben alleine, die größer sind als sie selbst."Bild: picture-alliance/dpa/J. Carstensen

"Das Konfliktpotenzial steigt"

Der Direktor der Berliner Stadtmission, Joachim Lenz, sieht eine zunehmende Konkurrenz unter Obdachlosen und Bedürftigen in der Hauptstadt. "Wir beobachten, dass das Konfliktpotenzial insgesamt steigt", sagte er der "Tageszeitung". So habe es vor einigen Monaten in der Bahnhofsmission am Zoo viele Prügeleien mit bis zu 20 Polizeieinsätzen in einer Woche gegeben. Immer mal wieder gebe es auch Streitigkeiten zwischen Menschen verschiedener Nationalitäten. "Für uns als Betreiber ist völlig klar, dass wir sofort deeskalieren. Für uns haben alle die gleichen Ansprüche", so Lenz.

Wenn die Zahl der Bedürftigen steige, dann geschehe das, was auch von der Essener Tafel berichtet werde. "Es kommt zu Drängeleien in der Schlange", sagte Lenz. "Wenn sich Leute, denen es eh schlechtgeht, noch mal zurückgesetzt fühlen, kocht die Wut richtig hoch. Wir haben eine Sicherheitskraft mehr eingestellt, die sofort eingreift."

Flüchtlinge als Sündenböcke

Die Sprecherin der Nationalen Armutskonferenz, Barbara Eschen, gab einer ungerechten Politik die Schuld an Armut in Deutschland. Fehlender sozialer Wohnungsbau, prekäre Jobs und die Benachteiligung von Alleinerziehenden und Kindern brächte die Menschen überhaupt erst in ihre Notlage. "Verfehlte Sozialpolitik treibt Menschen seit vielen Jahren zu den Tafeln", sagte Eschen.

Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt sprach davon, dass Flüchtlinge von staatlicher Seite als Sündenböcke genommen würden für Probleme, die über Jahrzehnte gewachsen seien. "Das Gebot ist es, den Armen zu helfen und sie nicht gegeneinander auszuspielen." Burkhardt forderte eine aktive Integrationspolitik, um Armut zu verhindern. Andernfalls drohe der Rechtspopulismus in der Gesellschaft an Fahrt zu gewinnen.

Die erste Lebensmittel-Tafel in Deutschland entstand 1993 in Berlin, heutzutage gibt es mehr als 930. Die Einrichtungen versorgen bis zu 1,5 Millionen bedürftige Menschen im Jahr, darunter 2015/16 nach eigenen Angaben bis zu 250.000 Flüchtlinge. Für die Tafeln sind zehntausende ehrenamtliche Helfer im Einsatz und verteilen rund 100.000 Tonnen Lebensmittel jährlich.

mb/sam (dpa, epd, kna)

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