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Kunst

Outsider-Kunst: "Ganz aus der Seele"

3. Dezember 2021

"Es geht um die Kunst, nicht um das Handicap!" Dieses Credo ist nicht nur am Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung ein Ruf nach mehr Inklusion.

Euward-Kunstpreis | Kunst mit Handicap
Bild: KunsthausKAT18

Mit weit aufgerissenen Augen rennt eine Frau durch den Bombenhagel. Ihr nackter Körper brennt, sie schreit vor Schmerzen. In der mit Kugelschreiber auf Papier gebannten Kriegsszene hat der Kölner Künstler Andreas Maus dem Leid der deutschen Zivilbevölkerung im Zweiten Weltkrieg Gestalt verliehen. Jeder versteht die Botschaft des Bildes. Maus gewann in diesem Jahr den euward-Kunstpreis, eine der international wichtigsten Auszeichnungen für "Kunst im Kontext geistiger Behinderung", den die Münchener "Augustinum Stiftung" alle drei Jahre vergibt.

Zu sehen waren Maus' Werke und die zwei weiterer euward-Gewinner im Sommer 2021 im Münchener Haus der Kunst, einem der angesehensten Museen Deutschlands. Vor über 20 Jahren hat Klaus Mecherlein den Kunstpreis für Malerei und Grafik ins Leben gerufen.

Initiierte den Kunstpreis Eurward: der Kunsttherapeut Klaus MecherleinBild: Christian Topp

"Wir wollten der Kunst von Menschen mit kognitiven Einschränkungen zu mehr Sichtbarkeit verhelfen", sagt Mecherlein, "das ist uns mit dem euward gelungen."

"Kunst, die aus der Seele kommt"

Der Kunstpädagoge leitet das euward-Archiv und außerdem das Augustinum Atelier in München, in dem Künstlerinnen und Künstler mit kognitiven Behinderungen arbeiten. Was die Kunst von Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen unterscheidet? "Kunstexperten würden den Unterschied vielleicht sofort erkennen", sagt Mecherlein. Künstler mit geistiger Behinderung schielten beim Zeichnen oder Malen jedoch weniger auf die Wirkung ihres Werkes. "Das ist Kunst, die ganz aus der Seele kommt", so Mecherlein, "Kunst von großer Direktheit." Das zeigen auch die Arbeiten von Andreas Maus: Der Kölner, Jahrgang 1964, arbeitet sich an den drängenden Themen unserer Zeit ab - Ausgrenzung, Gewalt, Verfolgung, Krieg und Tötung.

Das Interesse an künstlerischer "Direktheit" wächst, wie das Beispiel der Galerie "ART Cru" in Berlin zeigt. Leiterin Alexandra von Gersdorff-Bultmann stellt hier sogenannte "Outsider-Kunst" von psychisch Erkrankten und geistig Behinderten aus, die sie in ihren kreativen Fähigkeiten fördern möchte. Ihre Kunst hält sie für besonders "echt". Wem die Sprache, das Gehör oder das Denken fehlt, der lässt eben Pinsel, Stift oder Leinwand sprechen. "Ich möchte, dass diese Künstler niemals den Glauben an sich selbst verlieren und ihre Potenziale nutzen", zitiert der Berliner "Tagesspiegel" die Galeristin.

Blick in die Ausstellung "Kunst trotzt Handicap"Bild: Diakonie Hessen/CDSuß

Alexandra von Gersdorff-Bultmann gilt in Deutschland als eine Art Pionierin in Sachen Außenseiter-Kunst. Dabei geht der Blick auf die Kreativität eingeschränkter Menschen mehr als 100 Jahre zurück. Schon in den 1910er-Jahren analysierte der deutsche Psychiater und Kunsthistoriker Hans Prinzhorn (1886-1933) die kreativen Arbeiten psychisch Kranker und trug so eine große Sammlung zusammen, die heute an der Universität Heidelberg ausgestellt ist. Das Wort "Kunst" vermied Prinzhorn damals, er sprach von Bildwerken. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte der französische Künstler Jean Dubufett (1901-1985) sein Konzept einer anti-intellektuellen, von Kindern, Naiven und Geisteskranken inspirierten Kunst, die er "Art Brut" (rohe Kunst) nannte. Der britische Kunstwissenschaftler Roger Cardinal (1940-2019) prägte dafür schließlich den Begriff der Outsider-Kunst.

"Wollen das künstlerische Potenzial heben"

Firat Tagal arbeitet im Kunsthaus Kaethe: K an einem großen GemäldeBild: Mona Kakanj/Kunsthaus Kaethe:k

Art Brut, Art Cru oder Outsider-Kunst - für Melanie Schmitt haben diese Begriffe eher wenig Bedeutung. Die Kunsthistorikerin- und Therapeutin leitet das "Kunsthaus Kaethe:K" in Pulheim bei Köln, eine Initiative der Gold-Krämer-Stiftung. Elf Menschen mit kognitivem Förderbedarf leben und arbeiten seit einem Jahr in den Ateliers des Kunsthauses. "Wir möchten das kreative Potenzial dieser Menschen heben und schaffen die Voraussetzungen für ihr künstlerisches Arbeiten."

Einer ist Firat Tagal, Jahrgang 1997. In seinem Atelier stapeln sich großformatige Acrylgemälde mit Motiven aus Architektur und Popkultur. Der ein Jahr ältere Elias von Martial hat sich auf Zeichnungen spezialisiert, die um Mythen, Kampf und Fantasy kreisen. Elias möchte eines Tages an der Kunsthochschule Düsseldorf studieren, was Kunsthausleiterin Melanie Schmitt für erreichbar hält. "Wenn ich zeichne", sagt er, "könnte draußen ein Erdbeben stattfinden, und ich würde es vielleicht nicht merken."

Kunstkurator Andreas PilzBild: Diakonie Hessen/CDSuß

Auch Andreas Pilz weiß von vielen Kunstschaffenden, die ernstzunehmende Kunst machen. "Diese Menschen zu fördern, ist eine immerwährende Aufgabe", sagt der Kunstexperte. Er hat die Ausstellung "Kunst trotzt Handicap" mit Werken von Menschen mit und ohne Einschränkung betreut, die mehrere Jahre durch Deutschland tourte. Ein wegweisendes Inklusionsprojekt der Diakonie Deutschland, das auch gut zum UNESCO-Tag der Menschen mit Behinderung am 3.12. 2021 passen würde. Pilz' wichtigste Erkenntnis dabei: "Es geht um die Kunst, nicht um das Handicap!"

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