Zum Internationalen Tag gegen Drogenmissbrauch erklärt Suchtforscher Heino Stöver, warum die Kriminalisierung von Drogen nicht funktioniert - und was wir stattdessen brauchen.
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Deutsche Welle: Alkohol ist eine legale Droge, aber vor nicht allzu langer Zeit gab es viele Jugendliche, die exstrem viel Alkohol konsumiert haben, Stichwort Koma-Saufen. Hat sich das geändert?
Heino Stöver: Natürlich gibt es nach wie vor das sogenannte Rauschtrinken. Es gibt nicht den Jugendlichen, der nur mal nippt und ein bisschen angetrunken sein will. Im Wesentlichen geht es bei Jugendlichen um Wirkungstrinken. Sie zielen auf die Wirkung des Alkohols ab. Erwachsenen hingegen wird eher nachgesagt, dass es darauf ankommt, sich an dem Geschmack von Wein beispielsweise zu erfreuen. Das ist natürlich ein wesentlicher Unterschied. Insgesamt aber hat das Phänomen Komasaufen oder Binge-Drinking - wie die WHO es nennt - abgenommen.
Wie sieht es bei den illegalen Drogen aus?
Die Kriminalisierung von Konsumenten hat zugenommen. 80 Prozent der Rauschgiftdelikte sind sogenannte Konsumdelikte oder konsumnahe Delikte. 40 Prozent davon sind Jugendliche und Heranwachsende. Das heißt, wir kriminalisieren zu einem ganz großen Teil Jugendliche, und durch die polizeiliche Ermittlung besteht natürlich eine erhebliche Stigmatisierungsgefahr vor allem bei jungen Menschen. Sie werden als Kiffer oder Junkies abgestempelt, gleichgültig welche Drogen sie nehmen. Diese Stigmatisierung führt dazu, dass sie später keine Beratungs- oder Behandlungsangebote in Anspruch nehmen. Ihnen ist der Polizeistempel aufgedrückt worden.
Welche Drogen stehen bei Drogenkonsumenten ganz oben auf der Liste?
In Frankfurt sind das hauptsächlich Heroin und Crack. In anderen Städten ist es eigentlich nur Heroin. Diese Drogen können entweder gespritzt oder geraucht werden. Wir haben 24 Drogenkonsumräume in Deutschland, aber nur in sechs Bundesländern. Die anderen 10 Bundesländer haben noch nicht einmal die rechtliche Grundlage dafür erarbeitet. Dazu ist ein Drogenkonsumraum-Erlass, eine Drogenkonsumraum-Verordnung nötig. Die würde es dann erlauben, solche Modelle zu entwickeln.
Welche positiven Beispiele gibt es dafür?
Frankfurt beispielsweise. Wenn es dort in einem Drogenkonsumraum bei jemandem zu einer Überdosierung kommt, wird die Person sofort re-animiert. Mehr Drogenkonsumräume - das ist das eine. Das Zweite: In jedem Haushalt, in dem ein Drogenabhängiger lebt, muss Naloxon vorhanden sein, also ein Anti-dot. Das wird in der Notfallmedizin verabreicht. Es bringt die Wirkung von Heroin sofort auf Null. Es reißt das Opioid vom Rezeptor. Die Menschen werden sofort nüchtern und klar.
Ist das praktikabel?
Ja. Das Umfeld muss im Umgang mit dieser Substanz instruiert und trainiert werden, oder es muss dafür gesorgt werden, dass sich Konsumenten diese Substanz untereinander spritzen können. Das geht entweder intramuskulär oder als Nasenspray, das jetzt auch bei uns auf den Markt kommt.
Was steht ganz oben auf Ihrer To-do-Liste?
In Bezug auf bestimmte Substanzen müssen wir eine intelligente Regulierung hinbekommen. Was wir jetzt machen, hat nichts mit Jugendschutz zu tun. Ein Dealer fragt in der Regel nicht, ob man schon 18 ist und ob man sich sicher ist, dass man diese Drogen kaufen will. Er gibt keine Verbraucherschutztipps, sondern er will seine schmutzige Ware loswerden. Die ist in der Regel gestreckt und hat nur einen Reinheitsgehalt von etwa fünf Prozent. Durch die Prohibition wird das Geschäft befeuert und der Dealer kann Höchstpreise verlangen. Der Punkt ist: Wir müssen uns endlich von dem Glauben an ein Verbot verabschieden, das offenbar bestenfalls zu nichts führt oder sogar kontraproduktiv ist. Wir müssen intelligente Kontrollmodelle diskutieren und umsetzen. Das steht bei mir ganz oben auf der Liste.
Heino Stöver ist Professor für sozialwissenschaftliche Suchtforschung an der Frankfurt University of Applied Sciences.
Das Interview führte Gudrun Heise.
Ecstasy, Crystal, Heroin: Drogenküche Deutschland
Vieles von dem, was heute in dunklen Drogenlabors produziert wird, entstammt dem Eifer und Erfindungsreichtum deutscher Wissenschaftler, Militärs und Unternehmen.
Deutscher Drogenangriff
Bei den Feldzügen in Polen 1939 und in Frankreich 1940 schickte Hitler chemisch aufgeputschte Soldaten in den Kampf. Allein beim Frankreich-Feldzug sollen 35 Millionen Pillen von Pervitin an die kämpfende Truppe verabreicht worden sein. Das Mittel - ein Methamphetamin - hatte den den Namen "Panzerschokolade" oder auch "Herman-Göring-Pillen". Allerdings: Auch die Alliierten dopten ihre Soldaten.
Bild: picture-alliance/dpa-Bildarchiv
Wach, furchtlos, keinen Hunger
Das Wundermittel der deutschen Wehrmacht hatte ein Japaner erstmals in flüssiger Form hergestellt. Chemiker der Berliner Temmler-Werke entwickelten es fort und meldeten 1937 ein Patent an - ein Jahr später ging es als Arzneimittel in den Handel. Das Mittel vertrieb Müdigkeit, Hunger, Durst und Angst. Heute wird Pervitin illegal unter einem neuen Namen verkauft: Crystal Meth.
Selbst sein bester Kunde?
Historiker streiten sich, ob auch Adolf Hitler der Pervitinsucht verfallen war. In den Betreuungsakten seines Leibarztes Theo Morell taucht auffallend häufig ein X auf. Für was dieser Eintrag steht, ist bis heute unklar. Als gesichtert gilt, dass Hitler sehr starke Mittel verabreicht bekam - die meisten wohl fernab heutiger Betäubungsmittelvorschriften.
Bild: picture alliance/Mary Evans Picture Library
Wundermittel Heroin
Der Erfindergeist deutscher Drogenköche begann allerdings deutlich früher. "Kein Husten mehr dank Heroin", so lautete Ende des 19. Jahrhunderts der Werbeslogan des heutigen Weltkonzerns Bayer für seinen Verkaufsschlager. Schon bald wird Heroin bei Epilepsie, Asthma, Schizophrenie und Herzerkrankungen verschrieben - auch bei Kindern. Als Nebenwirkung gab Bayer Verstopfung an.
Kreative Chemiker
Felix Hoffmann wird vor allem für die Erfindung von Aspirin gefeiert. Seine zweite bahnbrechende Leistung gelang ihm eher nebenbei, als er mit Essigsäure experimentierte. Anders als bei Aspirin kombinierte der Chemiker die Säure mit Morphin, dem getrocknete Saft von Schlafmohn. Sein Produkt sollte den Deutschen bis 1971 legal erhalten bleiben - erst dann wurde Heroin verboten.
Kokain für Augenärzte
Der Darmstädter Konzern Merck produzierte bereits ab 1862 Kokain im großen Stil als lokales Betäubungsmittel für Augenärzte. Vorausgegangen waren Experimente des Forschers Albert Niemann mit Cocablättern aus Südamerika. Der Chemiker isolierte ein besonderes Alkaloid, das er Kokain nannte. Niemann starb kurz nach seiner Entdeckung - allerdings an einem Lungenproblem.
Bild: Merck Corporate History
"Euphorisch und arbeitsfähig"
Der für die Psychoanalyse bekannte Neurologe Sigmund Freud konsumierte Kokain für wissenschaftliche Zwecke. In seinen "Schriften über Kokain" beschrieb Freud den Stoff als unbedenklich. Man fühle sich "euphorisch, lebenskräftig, arbeitsfähig". Seine Begeisterung ließ nach dem Drogentod eines Freundes nach. Das Mittel wird zu diesem Zeitpunkt auch bei Kopf- und Magenschmerzen verschrieben.
Bild: Hans Casparius/Hulton Archive/Getty Images
Vergessenes Ecstasy-Patent
Der US-Chemiker Alexander Shulgin gilt als Erfinder von Ecstasy als Partydroge. Er ist aber nur der Wiederentdecker. Die ursprüngliche Brauanleitung der bunten Pillen stammt vom Pharmakonzern Merck. 1912 beantragte das Unternehmen das Patent für ein farbloses Öl mit dem Namen 3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin - kurz MDMA. Die Substanz stuften die Chemiker damals als kommerziell wertlos ein.
Bild: picture-alliance/epa/Barbara Walton
Langer Schatten
Der Entdeckerdrang deutscher Chemiker wirkt - unbeabsichtigt - bis heute nach. Die Vereinten Nationen schätzen, dass im Jahr 2013 weltweit knapp 190.000 Menschen durch den Konsum illegaler Drogen starben. Für die legale Droge Alkohol sieht die Bilanz noch schlechter aus: Die WHO schätzt für 2012, dass 5,9 % aller Todesfälle auf Alkoholkonsum zurück geführt werden können, rund 3,3 Millionen.