Schaltjahre faszinieren Menschen. Vielleicht liegt das daran, dass sie einen Tag dazubekommen. Dabei ist der 29. Februar gar kein extra Tag, sondern nur ein mathematischer Trick, um verlorene Zeit wieder aufzuholen.
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In meiner Familie erzählt man sich, dass mein Vater am 29. Februar 1936 geboren worden sei - also an einem Schalttag in einem Schaltjahr vor langer Zeit. Vielleicht passt es ja ganz gut zu einem Mann, der von sich zu sagen pflegt, er interessiere sich nicht für Geburtstage: Somit hätte er eine gute Ausrede, um drei von fast vier Feiern ausfallen zu lassen.
Aber man sollte wissen, dass mein Vater ein passionierter Geschichtenerzähler war - sein Berufsleben hatte er auf Wochenmärkten begonnen. Insofern könnte es auch sein, dass er gar nicht 1936 geboren wurde, sondern vielleicht schon 1935 - in einem ganz "normalen" Jahr.
Was ist der Unterschied zwischen einem normalen und einem Schaltjahr?
Nach dem Gregorianischen Kalender - der sich weltweit durchgesetzt hat - hat ein Jahr 365 Tage. Ein Schaltjahr dagegen hat 366 Tage. Das ist ein Versuch, die Genauigkeit des westlich-christlichen Kalenders mit der Erdrotation um die Sonne in Einklang zu bringen - und mit weiteren astronomischen Ereignissen: den Sommer- und Wintersonnenwenden, die den Beginn des Kalendersommers und -winters markieren, und den Tag-und-Nacht-Gleichen, dem Äquinoktium. Das sind die beiden Termine, an denen Tag und Nacht gleich lang sind. Sie markieren jeweils den kalendarischen Frühlings- und Herbstanfang.
Ganz einfach: Es gibt keinen perfekten Kalender. Jeder Kalender beschreibt ein Jahr, aber es ist nie ein rechnerisch perfektes Jahr.
Eigentlich ist ein Jahr der Zeitraum, den die Erde braucht, um einmal die Sonne zu umrunden. Dieser Zeitraum, von Astronomen als tropisches Jahr bezeichnet, dauert aber nicht genau 365 Tage. Der genaue Zeitraum zwischen zwei Frühlings-Tag-und-Nacht-Gleichen dauert in Wirklichkeit 365 Tage, 5 Stunden, 48 Minuten und 46 Sekunden. Als Dezimalzahl präzise ausgedrückt sind das 365,2422 Tage.
Grob gerechnet ist jedes Jahr also fast sechs Stunden länger als das Kalenderjahr. Und die Schaltjahre kompensieren diese 0,2422 Tage. Hätten wir keine Schaltjahre, würden unsere Jahreszeiten nach 100 Jahren um 24 Tage aus dem Takt geraten.
Alle vier Jahre gibt es ein Schaltjahr, mit einigen Ausnahmen. Und das kam so: Ursprünglich wurden Schaltjahre durch den römischen Kaiser Julius Caesar und seinen Julianischen Kalender eingeführt. Damals galt strikt die Regel: Alle vier Jahre gibt es ein Schaltjahr. Aber das führte zur Überkompensation.
Im Gregorianischen Kalender, den der Astronom Aloisius Lilius im 16. Jahrhundert entwickelte und der nach Paps Gregor XIII benannt wurde, galten schärfere Regeln. Demnach sind Schaltjahre Jahre, bei denen die Jahreszahl durch vier teilbar ist. Dazu gibt es noch Jahrhundertjahre, die auf "00" enden. Diese sind keine Schaltjahre - es sei denn, sie können durch 400 geteilt werden: Dann sind es doch welche.
Man muss also einige Schaltjahre auslassen, um zu kompensieren, dass die 5 Stunden, 48 Minuten und 46 Sekunden doch noch 11 Minuten und 14 Sekunden kürzer sind als ein Vierteltag. Man korrigiert also die Korrektur. Aber dennoch bleibt am Ende eine nicht ganz perfekte Summe zurück.
Wettbewerb der Kalender
Der Gregorianische Kalender wurde zuerst in Italien, Polen, Portugal und Spanien im Jahre 1582 eingeführt. Er gilt heute als einer der genauesten Kalender, aber hat immer noch eine Abweichung von etwa 27 Sekunden pro Jahr vom tropischen Kalender - etwa ein Tag alle 3236 Jahre. Dabei steht er unter allen historischen Kalendern nur an vierter Stelle, wenn es um Genauigkeit geht.
Der Sonnenkalender der Maya aus etwa 2000 vor Christus kam auf eine Abweichung von einem Tag in 6500 Jahren. Der revidierte Julianische Kalender aus dem Jahr 1923 hatte nur noch eine Abweichung von einem Tag in 31.250 Jahren und der iranische Sonnenkalender Hijri, der etwa so alt ist wie der Kalender der Maya, hatte eine Fehlerquote von einem Tag in 110.000 Jahren. Dieser Kalender erreichte seine Präzision, indem er sich an astronomischen Beobachtungen orientierte und nicht an einer mathematischen Logik.
Der chinesische Kalender hat Schaltjahre mit Schaltmonaten, aber keine Schalttage wie der gregorianische Kalender. Auch der Kalender der Hindus schiebt beizeiten einen Schaltmonat ein. Ein äthiopischer Kalender hat 13 Monate, wobei der 13. Monat in normalen Jahren fünf Tage hat und in Schaltjahren sechs. Im Islam gibt es innerhalb eines 30-jährigen Zyklus 11 Schaltjahre. Das jüdische Schaltjahr hat zwischen 383 und 385 Tagen und tritt sieben Mal in einem 19-jährigen Zyklus auf.
Was nützt uns das Geschalte?
Wir schalten auch so schon ziemlich viel hin und her: Die Weltzeit wird regelmäßig angepasst, um Ungenauigkeiten in der Erdrotation auszugleichen. Für Menschen ist es aber sehr wichtig zu fühlen, dass sie im Takt mit der Natur leben. So orientieren sich bestimmte Feiertage sicher nicht durch Zufall gerade an astronomischen Ereignissen: Ostern etwa am Frühlingsanfang.
Aber hätten wir solche Gründe nicht - würde es wirklich einen Unterschied für uns machen, wenn sich die Jahreszeiten von Monat zu Monat etwas verschieben würden oder wir über Tausende von Jahren ein paar Stunden oder Tage verlieren würden? Würden wir es überhaupt merken?
Mittsommer: Vom längsten Tag und der kürzesten Nacht
Überall in Europa feiern Menschen die Sommersonnenwende. Traditionell wird am längsten Tag des Jahres ausgelassen gefeiert - und von Skandinavien bis Spanien werden alte Sitten und Bräuche gepflegt.
Bild: AP
Zauber der "Weißen Nächte"
Die Sommersonnenwende hat es den Menschen angetan - der längste Tag des Jahres ist vor allem in Skandinavien und den baltischen Ländern ein Top-Feiertag. Dort werden die Nächte in dieser Phase des Jahres nie ganz dunkel. Die Mitternachtssonne erzeugt die sogenannten "Weißen Nächte". Hier ein See im finnischen Teil Lapplands um Mitternacht.
Bild: picture-alliance/chromorange/O. Borchert
Die Mittsommer-Weltmeister
"Midsommar" nennen die Schweden das Fest, das sie zur Sommersonnenwende feiern - immer an dem Samstag, der zwischen dem 20. und 26. Juni liegt. Städter zieht es zum Feiern aufs Land. Tanz, Gesang, Musik, besondere Speisen und alkoholische Getränke gehören dazu. An tanzende Elfen, an Trolle oder an heilkräftigen Morgentau glaubt indes kaum noch jemand. Seine Magie hat der Tag weitgehend verloren.
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Buntes Treiben unterm Mittsommer-Baum
Für die Schweden ist Mittsommer nach Weihnachten das zweitgrößte Fest des Jahres. Das Abbrennen großer Feuer gehört in allen Ländern zur Tradition der Sommersonnenwende. Doch die Schweden haben auch ganz eigene Formen. So schmücken sie einen schlanken Baumstamm mit Blättern, Blumen und Girlanden. Wenn der am Mittsommerabend aufgerichtet wird, beginnt drum herum der Tanz.
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Hochzeit an Mittsommer
Nicht nur in Schweden, auch im benachbarten Finnland ist der Mittsommertag ein beliebter Termin zum Heiraten. Dieses finnische Paar feierte seine Hochzeit auf der Insel Seursaari in Helsinki, einem beliebten Naherholungsgebiet. Vielleicht erhoffen sie sich durch das Ja-Wort am längsten Tag ein langes gemeinsames Leben - wer weiß?
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Kopfsachen
Brauchtum kennt keine Grenzen – auch nicht zwischen Skandinaviern und Slawen. Ebenso wie in Schweden und dem Baltikum stellen Frauen und Mädchen in Weißrussland während der Feier zur traditionellen Sommersonnenwende Gebinde her. Mit den Kränzen aus Blumen, Gräsern und Zweigen schmücken sie den Kopf - eine Tradition aus heidnischen Zeiten. Den Pflanzen werden Heilkräfte zugesprochen.
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Heidnisches wird christlich
Die Tradition der Sommersonnenwendfeiern reicht zurück bis in die Jungsteinzeit. Das Abbrennen großer Feuer vermutlich auch, denn Licht ist ein Symbol für Leben und Überleben. Der heidnische Anlass wurde im Zuge der Christianisierung Europas übernommen und inhaltlich umgedeutet. In zahlreichen Ländern - auch in Deutschland - heißt das Fest "Johannisfest" und wird am 24. Juni gefeiert.
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Licht in der Dunkelheit
Die Sommersonnenwende terminierte in den ersten Jahrhunderten nach Christi Geburt der Julianische Kalender. Gefeiert wurde sie am 24. Juni, dem Hochfest Johannes' des Täufers. Er war derjenige, der das Kommen Jesus ankündigte. Nach biblischem Verständnis ist Jesus als Sohn Gottes das Licht, das in die Dunkelheit kommt. Die Symbolik passt also bis heute perfekt - trotz heidnischer Bezüge.
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Rest-Riten
Wen verwundert es also, dass dann, wenn in Europa die Johannisfeuer in der Nacht vor dem Johannistag lodern, immer noch vorchristliche Riten mitschwingen? In Weißrussland feiern Menschen eine Nacht lang das Iwan-Kupala-Fest. Sie singen und tanzen, bevor manche über das Feuer springen. Denn die Menschen glauben, dass sie dies von ihren Sünden reinigen wird und zugleich ihre Gesundheit stärkt.
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Feuer und Trachten
Dieser Junge steht in bayerischer Tracht vor einem Johannisfeuer in Oberbayern. Ebenso wie in Schweden, Weißrussland oder der Ukraine gehört die jeweilige Tracht der Region untrennbar zur Tradition dazu. Für Erwachsene wie Kinder das Komplett-Aufgebot für ein optimales Heimatgefühl. Doch jeder weiß: Von nun an werden die Tage wieder kürzer.
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Strohpuppe als "Zusatzversicherung"
Dem Sonnwendfeuer werden magische Kräfte zugesprochen, die helfen sollen, die kommende Kälte durchzustehen. Die Wirkung will man mancherorts erweitern. In Niederbayern gibt es die Tradition, eine Strohpuppe auf den Holzstapel des Johannisfeuers zu binden. Sie wird dann mit dem Sonnenwendfeuer verbrennen. Auf diese Weise soll symbolisch alles Böse vertrieben werden.
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Feuer der Liebe
Ob das Feuer der Mittsommernacht auch das Feuer der Liebe entfachen, erhalten oder neu entfachen kann? Dieses Paar küsst sich vor einem Johannisfeuer auf dem Kandel. Hoch über der Rheinebene lodern die Flammen weithin sichtbar auf dem Gipfel des 1243 Meter hohen Bergs im Südschwarzwald.
Bild: picture-alliance/dpa
Küstenpartys in Spanien
In Spanien feiern die in Küstennähe lebenden Menschen in der "Nacht des heiligen Johannes" besonders gerne am Strand – im nordspanischen Gijon, in Alicante, oder wie hier in Valencia am Mittelmeer. Mancherorts ist es Tradition, dass Feiernde genau um Mitternacht gleichzeitig ins Wasser springen, um die Sonnenwende zu begrüßen.
Bild: picture-alliance/dpa
Valencia am Morgen danach
Freudenfeuer am Mittelmeerstrand in der Johannisnacht locken in Valencia, der drittgrößten Stadt Spaniens, Tausende an. Gemeinsam mit Verwandten, Freunden und Nachbarn reden, singen, tanzen sie - genießen den Abend und die Nacht. Leider sieht der Strand tags darauf wild aus. Die Hinterlassenschaften der Johannisnacht sind eine Herausforderung für Stadtreinigung und Müllabfuhr.
Bild: picture-alliance/dpa
Historisches Flair
Die steinzeitliche Kultstätte Stonehenge im Süden Englands soll mindestens 5000 Jahre alt sein und erfasst die Auf- und Untergangspunkte der Sonne. Bis zu 36.000 Menschen feierten dort in den vergangenen Jahren die Sommersonnenwende. An der größten unorganisierten Feier dieser Art in Europa nehmen auch Anhänger neuheidnischer und esoterischer Gruppen teil - viele in historischer Kleidung.
Bild: picture alliance/empics
Geschichtsträchtige Felsen
Beliebtester Ort für Sonnenwendfeiern in Deutschland sind die Externsteine. Die markante Felsformation in Ostwestfalen soll bereits 10.000 v. Chr. Menschen angezogen haben. Die Nationalsozialisten versuchten Feiern samt Felsen in ihren pseudo-religiösen germanischen Kult zu integrieren. Sonnenwendfeiern ziehen deshalb bis heute auch Neonazis an - vor allem aber Esoteriker und Neuheiden.