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Politik

Roland Jahn besucht Taiwan

Klaus Bardenhagen
22. Mai 2018

Bei der Aufarbeitung von Taiwans Diktatur gilt Deutschland als Vorbild. Der Stasi-Unterlagenbeauftragte Roland Jahn betonte aber in Taipeh, er komme nicht als Oberlehrer - im Gegenteil. Klaus Bardenhagen aus Taipeh.

Roland Jahn in Taiwan
Bild: DW Taippei

Der Termin war mit Bedacht gewählt. Als der Stasi-Unterlagenbeauftragte Roland Jahn (Artikelbild) auf Einladung des taiwanesischen Kulturministeriums in Taipeh ankam, verabschiedete das Kabinett einen Gesetzentwurf zum Umgang mit politischen Akten aus Taiwans autoritärer Vergangenheit. Die seit Jahren unversöhnlich geführten Diskussionen zur "Übergangsjustiz", wie Vergangenheitsbewältigung auf Taiwan genannt wird, machten die fünftägige Reise von Jahns Delegation zu einer potenziell heiklen Mission.

Zweck der Reise sei gegenseitiger Erfahrungsaustausch und besseres Verständnis der Situation im jeweils anderen Land, sagte der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Roland Jahn, bei seinem Besuch in Taiwan im Interview mit der DW: "Es ist ein gegenseitiges Lernen, es geht hier nicht um Lehrer und Schüler."

Deutschland als Lehrmeister?

Genau diesen Eindruck vermittelt Taiwans Regierung aber zuweilen. Immer wieder bezieht sie sich bei ihrer Aufarbeitungspolitik explizit auf deutsche Erfahrungen. Der Umgang mit dem Erbe der SED-Diktatur gilt auf Taiwan als vorbildlich, sowohl für die Untersuchung des Vermögens der früheren Staatspartei Kuomintang (KMT) als auch für die angekündigte erzwungene Öffnung der KMT-Parteiarchive.

Vieles ist jedoch nicht vergleichbar. In Taiwan gab es Anfang der 1990er Jahre keinen klaren Bruch mit dem alten System. Die KMT bekannte sich zur Demokratie und ist heute die größte Oppositionspartei. Sie beklagt, seit dem jüngsten Machtwechsel 2016 nutze die Regierung der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) unter der Präsidentin Tsai Ing-wen ihre Mehrheit, um die KMT unter dem Vorwand der Vergangenheitsbewältigung systematisch zu schwächen.

Präsidentin Tsai dagegen betont, bei der "Übergangsjustiz" gehe es darum, historische Ungerechtigkeiten wie die Anhäufung von Staatsvermögen in KMT-Besitz zu beseitigen. Eine längst überfällige Klärung vergangener Menschenrechtsverletzungen solle einen heilsamen Effekt auf Taiwans zerstrittene Gesellschaft haben.

Proteste von Anhängern der Kuomintang-Partei beim Besuch von Rainer Eppelmann im Januar in TaipehBild: DW/K. Bardenhagen

Besuch bei der KMT

Um möglicher Kritik zuvorzukommen, er lasse sich in diesem Konflikt instrumentalisieren, besuchte Roland Jahn gleich zu Beginn seiner Reise die KMT-Zentrale. Dabei spielte wohl auch die Erfahrung Rainer Eppelmanns eine Rolle. Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler, Vorstand der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, war bei einem Besuch im Januar mit KMT-Protesten konfrontiert worden.

Einen Aspekt, den Jahn dort ansprach, verbreitete die KMT sogleich per Pressemitteilung weiter: Die politischen Akten der SED und ihrer Organisationen gingen nach der Wende nicht in Staatsbesitz über, wie es Taiwans Gesetzentwurf vorsieht. Sie werden nun im Bundesarchiv von einer Stiftung verwaltet, in deren Kuratorium auch Vertreter der Linkspartei sitzen, die aus der SED-Nachfolgerpartei PDS hervorging.

"So hatten wir in Deutschland das Problem gelöst, dass diese Akten einerseits Eigentum dieser Partei sind, andererseits der Gesellschaft zugänglich gemacht werden sollten", sagte Jahn der DW. Dieses Thema habe sich "durch alle Gespräche gezogen", unter anderem mit Taiwans Premierminister und Vizepräsident.

Aufklärung statt Abrechnung

Bei der Aufarbeitung der Vergangenheit sei es wichtig, dass alle im Parlament vertretenen Parteien gemeinsam einen Weg finden, so Jahn.  "Es geht nicht um Abrechnung, sondern um Aufklärung." Auch in Deutschland sei rückblickend vor allem in den 1990er Jahren nach der Wiedervereinigung nicht alles optimal verlaufen. "Die Fixierung auf das Thema Geheimpolizei und Staatssicherheit in Deutschland hätte man anders steuern können." Gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge hätten eine größere Bedeutung, als man sich früher klargemacht habe: "Wie konnte die Diktatur in der DDR so lange funktionieren? Warum haben so viele Leute das System gestützt und mitgemacht?" Man sei gerade erst dabei, das besser herauszuarbeiten.

Roland Jahn (2. von links) und Klaus-Peter Willsch (2. von rechts) vor der Jingmei-GefängnisgedenkstätteBild: DW/K. Bardenhagen

Dass es in Taiwan auch darum geht, den Opfern eine Stimme zu geben, erlebte Jahn bei der Zeremonie zur Umwidmung einer Gedenkstätte. Neben Premierminister William Lai und Kulturministerin Cheng Li-chun, die Ende 2016 Jahns Behörde in Berlin besucht hatte, sprach der 80-jährige Chen Chung-tung.

Chen war in den 1970ern jahrelang im Jingmei-Militärgefängnis am Rand von Taipeh inhaftiert gewesen. Bereits seit 2007 für Besucher geöffnet, wird das Gefängnis nun gemeinsam mit der politischen Haftanstalt auf der Insel Lüdao als Nationales Museum für Menschenrechte genutzt. Wie im früheren Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen führen ehemalige Insassen Besuchergruppen durch ihre alten Zellen.

Anders als in Deutschland gehören in Taiwan Besuche solcher Gedenkstätten nicht zum Pfichtprogramm von Schulklassen. Politisch Verfolgte wie er seien heute in der Lage, vergeben zu können, sagte Chen. Damit es Versöhnung gebe, dürften historische Fakten aber nicht verdrängt werden.

"Beschämt" über Europas Umgang mit Taiwan

Bei einem Termin im Außenministerium wurde die Gruppe um Jahn daran erinnert, dass Taiwans Demokratie nicht nur im Inneren zerstritten ist, sondern auch unter Druck von außen steht. Weil Präsidentin Tsai sich das Ein-China-Prinzip nicht zu Eigen macht, behindert und isoliert die Volksrepublik ihr Land auf verschiedene Art und Weise.

So darf Taiwan bei der aktuell in Genf stattfindenden Generalversammlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nicht einmal als Beobachter teilnehmen, selbst Journalisten wird der Zutritt zu UN-Gebäuden verwehrt. Die WHO argumentierte dagegen, beide taiwanesischen Journalisten hätten den Reisepass der Republik China (RoC) vorgelegt, wie Taiwan offiziell heißt. Die Vereinten Nationen erkennen die Republik China nicht an und könnten deswegen beiden Journalisten keine Akkreditierung erteilen.

Roland Jahn (links) mit Taiwans Premierminister William Lai (m.) und Kulturministerin Cheng Li-chun (rechts)Bild: DW/N. Schwiderski

Ein weiteres Beispiel liefert Taiwans Vize-Außenminister Francois Wu. Zur Heiligsprechung von Mutter Theresa 2016 im Vatikan wollte Taiwans Vizepräsident Chen Chien-jen, ein gläubiger Katholik, den Vatikan besuchen. Zwar unterhält Taipeh diplomatische Beziehungen zum Heiligen Stuhl, doch im Rest Europas gilt für Taiwans demokratisch gewählte Spitzenrepräsentanten ein inoffizielles Einreiseverbot. Selbst ein Umsteigen Richtung Rom wollten mehrere Länder Chen verwehren. Schließlich habe Deutschland einen Transit auf dem Frankfurter Flughafen zugelassen, wofür Taiwan dankbar sei.

"Ich bin beschämt, wenn ich das so plastisch vor Augen geführt bekomme", reagierte Klaus-Peter Willsch, Bundestagsabgeordneter der CDU, der mit Jahn zusammen nach Taiwan reiste. "Menschenrechte müssen auch Maßstab von Außenpolitik sein", so Willsch, der im Bundestag dem Parlamentarischen Freundeskreis Berlin-Taipeh mit aktuell 26 Mitgliedern vorsteht. Man könne nicht undemokratische Länder hofieren und demokratische isolieren, sagte er mit Blick auf China.

Reiseverbote sehe er als Ostdeutscher besonders kritisch, sagte Roland Jahn. Europa müsse mehr gegen solche symbolträchtigen Einschränkungen tun.

 

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