Das demokratische Taiwan ist außenpolitisch isoliert. Im DW-Interview sagt Taiwans Außenminister Joseph Wu, er sei bereit, mit Peking über die gegenseitigen Beziehungen zu reden, allerdings ohne Vorbedingungen.
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Taiwans Außenminister: "Wiedervereinigung keine Option für Bevölkerung auf Taiwan"
05:59
Deutsche Welle: Vor 70 Jahren wurde die Volksrepublik China gegründet. Seit sieben Jahrzehnten existieren zwei Regierungen auf beiden Seiten der Straße von Taiwan. Wie sehen Sie die derzeitigen Beziehungen zwischen Taiwan und China?
Joseph Wu: Es ist sehr schwierig, die Beziehungen zwischen beiden Seiten zu definieren. Einerseits erhält China eine militärische Drohkulisse gegenüber Taiwan aufrecht und grenzt Taiwan von internationalen Organisationen aus. Gleichzeitig sind beide Seiten über Wirtschaft und Handel eng miteinander verflochten.
Die Beziehungen sind also recht kompliziert. Jeder Versuch, diese vereinfacht darzustellen, würde den Kern der Problematik verfehlen.
Aber abgesehen von den Beziehungen der beiden Seiten ist Taiwan fest entschlossen, seine demokratischen Grundwerte weiter zu leben und zu entwickeln. Das ist die Pflicht jeder Regierung. Je demokratischer Taiwan wird, umso wichtiger ist es für die künftige Entwicklung Chinas. Die Menschen in China werden sehen, dass das Modell, das jetzt in Taiwan gut funktioniert, möglicherweise in Zukunft auch in China denkbar wäre. Und unser demokratisches Gesellschaftssystem ist langfristig gesehen die Garantie für eine gesunde Entwicklung der Beziehungen zwischen beiden Seiten.
Vor 40 Jahren brachen die USA die diplomatischen Beziehungen zur Republik China, also Taiwan, ab und erkannten die Volksrepublik an. Viele andere Staaten der Völkergemeinschaft haben sich den USA angeschlossen. Müsste Taiwan nicht seine außenpolitischen Grundsätze an diese Realitäten anpassen?
Taiwan hat sich in den vergangenen vier Jahrzehnten grundlegend verändert. Taiwan ist heute eine politische Körperschaft, die außerhalb von China unabhängig existiert. Das ist eine Tatsache, mit der sich China konfrontiert sieht. Auf dieser Grundlage müssen wir uns außenpolitisch neu ausrichten.
Wir haben uns weder zur "Ein-China-Politik" bekannt, noch den "Konsens von 1992" akzeptiert. Deswegen wäre jeder gut beraten, sich die Stimme Taiwans anzuhören, bevor man über die künftige Gestaltung der Beziehungen zwischen Taiwan und China diskutiert, eben weil wir eine Demokratie sind. Umfragen auf Taiwan zeigen deutlich, dass eine Wiedervereinigung keine Option für die Bevölkerung in Taiwan ist.
Auch in den USA ist die Erkenntnis gewachsen, dass die "Ein-China-Politik" heute ganz andere Schwerpunkte hat als damals. Mit dem Bekenntnis zur "Ein-China-Politik" hat Washington übrigens nie zur Statusfrage Stellung genommen. Ein Schwerpunkt der USA liegt heute darauf, mehr Rücksicht auf den Willen des Volks in Taiwan zu nehmen, eben weil wir eine Demokratie sind.
Was hat sich an den Beziehungen zwischen Washington und Taipeh seit 1979 verändert?
Der Wille des Volks in Taiwan lautet: Wir existieren unabhängig und wir sind kein Bestandteil von irgendeinem anderen Land. Diese Faktenlage wird inzwischen auch von Washington akzeptiert. Wir fordern die Anerkennung des Status quo, was auch von den USA als vernünftig und verantwortungsvoll gesehen wird.
Der Erwerb von US-Waffen ist ein wichtiger Bestandteil unseres verteidigungs- und sicherheitspolitischen Pakts mit den USA. Die sicherheitspolitische Zusammenarbeit zwischen Taiwan und den USA ist ausgezeichnet. Sie ist sogar deutlich besser als die zwischen Washington und seinen traditionellen Alliierten. Das gilt auch für die Außenpolitik. Dennoch werden diese Beziehungen (von China) eingeschränkt. Um diese Einschränkungen auszuräumen und um Probleme zu lösen, bedarf es des ständigen Austauschs,
Die USA hoffen, dass Taipeh und China durch konstruktive Gespräche die bestehenden Differenzen friedlich beilegen können. Ist Ihre Regierung bereit, sich auf ein Gespräch mit Peking einzulassen?
Wir wären jederzeit froh, uns mit der chinesischen Regierung an einen Tisch zu setzen und Gespräche zu beginnen, allerdings ohne Vorbedingungen. Der Aufruf zu einem solchen Gespräch ist übrigens nicht an Taiwan adressiert. Washington kennt die Position Taiwans sehr gut. Die Forderung der USA an China lautet, auf politische Vorbedingungen für ein solches Gespräch und auf die Anwendung von Waffengewalt zu verzichten.
China und Taiwan: Ziemlich beste Feinde
Die Lage in der Taiwan-Straße ist angespannt. China schließt auch den Einsatz militärischer Gewalt nicht aus, um eine Wiedervereinigung zu erreichen. Ein Rückblick in Bildern.
Bild: picture-alliance/EPA/R. B. Tongo
"Rückeroberung" vs. "Befreiung"
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs führt die KP Chinas unter Mao Zedong einen erbitterten Bürgerkrieg gegen den Erzrivalen Chiang Kai-shek, Chef der Kuomintang (KMT). Chiang unterliegt und zieht sich auf die Insel Taiwan zurück. Die Zeiten danach sind geprägt von propagandistischen Parolen. Die KP will die Insel Taiwan "befreien", die KMT das "Festland zurückerobern".
Bild: AFP/Getty Images
Briefe an die Landsleute auf Taiwan
Die KP veröffentlicht in den 1950er Jahren vier "Briefe an die chinesischen Landsleute auf Taiwan". Diese gelten als Grundlage der Taiwan-Politik. Darin warnt Peking eindringlich vor einem Schulterschluss mit den "Imperialisten der USA". Die militärische Konfrontation wird währenddessen fortgesetzt. Ständig fallen Schüsse in der Meeresenge, überwiegend durch Artillerie.
Bild: Imago/Zuma/Keystone
Peking ersetzt Taipeh in UN-Gremien
Die UN-Generalversammlung beschließt 1971, die Volksrepublik China als einzig rechtmäßigen Vertreter Chinas anzuerkennen. Damit scheidet die Republik China/Taiwan aus allen UN-Gremien aus. Die Frustration von Außenminister Chow Shu-kai (r.) und seinem Botschafter Liu Chieh ist deutlich zu erkennen.
Bild: Imago/ZUMA/Keystone
Neue Taiwan-Politik
Der fünfte und letzte Brief aus Peking an Taiwan wird am 1. Januar 1979 veröffentlicht. Das Festland - unter der Führung des Reformpolitikers Deng Xiaoping - schlägt das Ende militärischer Aktionen, den Ausbau eines bilateralen Austausches sowie eine friedliche Wiedervereinigung vor, ohne jedoch das internationale Alleinvertretungsrecht Pekings infrage zu stellen.
Bild: picture-alliance/dpa/UPI
"Ein-China-Prinzip"
Die Neuausrichtung der Taiwan-Politik findet vor dem Hintergrund der Annäherung zwischen Washington und Peking statt. Am 1. Januar 1979 nehmen die USA und die VR China diplomatische Beziehungen auf. Damit erkennt auch Washington unter der Präsidentschaft von Jimmy Carter Peking als die einzige legitime Regierung Chinas an. Aus der US-Botschaft in Taiwan wird ein Kulturinstitut.
Bild: AFP/AFP/Getty Images
"Ein China, zwei Systeme"
Schon beim Treffen mit US-Präsident Carter stellt Deng Xiaoping den Grundsatz "Ein Land, zwei Systeme" vor, der Taiwan im Falle einer Wiedervereinigung die Beibehaltung des gesellschaftlich Systems garantieren soll. Jedoch geht Taiwans Präsident Chiang Ching-kuo (Bild) nicht direkt auf den Vorstoß ein. Dagegen formuliert er 1987 das Prinzip: "Ein China für das bessere System".
Bild: picture-alliance/Everett Collection
Die Unabhängigkeitsbewegung
1986 wird in Taiwan die erste Oppositionspartei, die Demokratische Fortschrittspartei (DPP), gegründet. Auf der Klausur 1991 beschließt die DPP eine Klausel zur Unabhängigkeit Taiwans. Darin heißt es, Taiwan sei souverän und kein Bestandteil der VR China.
Bild: Getty Images/AFP/S. Yeh
"Konsens von 1992"
Bei inoffiziellen Gesprächen 1992 in Hongkong erzielen Vertreter aus Peking und Taipeh eine politische Übereinkunft über die Gestaltung der Beziehungen. Beide Seiten stimmen überein, dass es nur ein China gibt. Jedoch haben beide Seiten unterschiedliche Ansichten, was der Begriff "ein China" bedeutet. Ein Jahr später treffen sich die Chefunterhändler Wang (l.) und Koo in Singapur.
Bild: Imago/Xinhua
"Zwischenstaatliche Beziehungen"
Der erste demokratisch gewählte Präsident Taiwans und KMT-Vorsitzende Lee Teng-hui sagt 1995 im Interview mit der Deutschen Welle, die Beziehungen über die Straße von Taiwan hinweg würden als "Beziehung zwischen Staaten definiert, mindestens aber als Beziehung besonderer Art zwischen Staaten". Seine Formulierung liegt hart an der Grenze zu einer Unabhängigkeitserklärung.
Bild: Academia Historica Taiwan
"Ein Staat auf jeder Seite"
2000 gewinnt zum ersten Mal die DPP die Präsidentschaftswahlen mit dem Spitzenkandidaten Chen Shui-bian. Der gebürtige Taiwanese - ohne jegliche Verbindungen zum Festland - ruft die Parole "Ein Staat auf jeder Seite" aus. Taiwan soll mit China nichts mehr zu tun haben. Peking reagiert 2005 mit einem "Antispaltungsgesetz", das militärische Gewalt im Falle einer Unabhängigkeit rechtfertigt.
Bild: picture alliance/AP Photo/Jerome Favre
"Ein China, unterschiedliche Interpretationen"
Nach den verlorenen Wahlen 2000 nimmt die KMT eine geänderte Formulierung des "Konsens von 1992" in die Parteisatzung auf. Darin heißt es "Ein China, unterschiedliche Interpretationen". Damit wird auch der "Konsens von 1992" zum festen Begriff, der in Taiwan allerdings umstritten ist. Die Begründung: Die Unterhändler von 1992 hätten keine offiziellen Positionen gehabt.
Bild: Imago/ZumaPress
KP trifft KMT
Das Festland nimmt den "Konsens von 1992" als politische Grundlage für die Gestaltung der Beziehungen zu Taiwan. Beim ersten Gipfeltreffen zwischen der KMT und der KP nach dem Zweiten Weltkrieg bekennen sich 2005 beide Parteichefs Hu Jintao (r.) und Lian Zhan zum "Konsens von 1992" und dem "Ein-China-Prinzip".
Bild: picture-alliance/dpa/M. Reynolds
"Die Richtung stimmt"
Nach dem Sieg der KMT unter Ma Ying-jeou bei den Präsidentschaftswahlen 2008 nähern sich beide Seiten weiter an. Im Interview mit der Deutschen Welle sagt Ma 2009, die Taiwan-Straße solle ein "Ort des Friedens und der Sicherheit" bleiben. "Wir sind diesem Ziel schon wesentlich näher gekommen. Grundsätzlich stimmt unsere Richtung."
Bild: GIO
Herr Ma trifft Herrn Xi
Im November 2015 trifft sich Ma in Singapur mit Xi Jinping. Offiziell handelt es sich um ein "Gespräch zwischen den politischen Führern der beiden Seiten der Taiwan-Straße". Ma und Xi reden sich nicht mit ihrer politischen Funktion, sondern mit "Herr" an. Es gibt weder Flaggen noch Wappen. Auf der Pressekonferenz schließt Ma "zwei Chinas" sowie "ein China und ein Taiwan" kategorisch aus.
Bild: Reuters/J. Nair
Quo vadis?
Nach der gewonnenen Wahl von Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen 2016 bekommt die Unabhängigkeitsbewegung spürbar Rückenwind. Tsai bestreitet die Existenz des "Konsens von 1992". Sie bezeichnet den "Versuch Chinas, in die politische und gesellschaftliche Entwicklung von Taiwan einzugreifen" als die "größte Herausforderung".
Bild: ROC
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Warten Sie nun passiv auf ein Gesprächsangebot? Handeln Sie auch proaktiv?
China muss zuerst auf die Vorbedingungen verzichten, die es jetzt mit einem Gespräch verknüpft, sowohl dafür, dass ein solches Gespräch überhaupt zustande kommt, als auch auf eine Festlegung, was den Ausgang eines solchen Gesprächs betrifft. Ohne diesen Verzicht würde das Volk auf Taiwan einem solchen Gespräch nicht zustimmen.
Wir haben bereits alles Mögliche getan. Wir warten jetzt und rufen alle Mitglieder der Völkergemeinschaft auf, die Frieden auf beiden Seiten der Straße von Taiwan anstreben, China zuzureden, dass es von solchen unfairen Bedingungen abrücken möge.
Das Interview führte Phoebe Kong in Taipeh.
Joseph Wu ist seit Februar 2018 Außenminister Taiwans. Der Politologe wurde an der Ohio State University promoviert. Er war viele Jahre Taiwans Chefdiplomat in den USA und Vorsitzender des taiwanischen Rats für Festlandangelegenheiten.