Taiwan nach der Wahl: Ändert sich das Verhältnis zu China?
14. Januar 2024Die Demokratische Fortschrittspartei (DPP) kann jubeln: Zum dritten Mal in Folge wird sie in Taiwan den Präsidenten stellen - so das Ergebnis der Wahlen vom Sonnabend. Dann aber mit einem neuen Mann an der Spitze: Am 20. Mai wird Unabhängigkeitsbefürworter Lai Ching-te offiziell die Amtsgeschäfte übernehmen. Taiwan habe sich für die "Seite der Demokratie" und gegen den Autoritarismus entschieden, sagte er in seiner Rede zum Wahlsieg.
In Peking sieht man das anders: Das chinesische Büro für Taiwan-Angelegenheiten versuchte den Sieg der DPP herunterzuspielen, indem es behauptete, das Wahlergebnis könne nicht die allgemeine öffentliche Meinung in Taiwan widerspiegeln. Diese Wahlen könnten den "unaufhaltsamen Trend zur Wiedervereinigung mit dem Mutterland" nicht aufhalten.
Die Führung in Peking beansprucht Taiwan als eigenes Territorium. Unter der Herrschaft von Staatschef Xi Jinping hat China in den vergangenen zehn Jahren seine Entschlossenheit zur "Wiedervereinigung" mit der demokratisch regierten Insel verstärkt - gegebenenfalls auch mit Gewalt.
Peking süß-sauer nach Wahlausgang in Taiwan
Vor den Wahlen bezeichnete China die Wahl als eine Entscheidung zwischen "Krieg und Frieden" und prangerte Lai als "gefährlichen Separatisten" an, der im Falle seiner Wahl zum Präsidenten eine Bedrohung für den regionalen Frieden darstellen würde. Trotz der Warnungen aus Peking erhielt der 67-Jährige rund 40 Prozent der Stimmen in einem knappen Dreikampf mit Hou Yu-ih von der größten Oppositionspartei Kuomintang (KMT) und Ko Wen-je von der relativ neuen Taiwanischen Volkspartei (TPP).
Chinas Führung sei nicht glücklich über den Wahlausgang, sagt Lev Nachman, Politikwissenschaftler an der Nationalen Chengchi Universität in Taiwan. "Es ist eine schlechte Nachricht, weil derjenige gewonnen hat, von dem sie nicht wollten, dass er gewinnt." Hoffnungsschimmer für die Volksrepublik ist aus Nachmans Sicht, dass Lai nicht die absolute Mehrheit geholt habe. Das bedeute, die Mehrheit der Wähler in Taiwan habe nicht für die DPP oder Lai gestimmt: "Das ist eine große Sache."
Das Ergebnis sei in Peking eingepreist gewesen, meint Chang Wu-ueh von der Universität Tamkang. Der Sieg der DPP würde "im Rahmen der chinesischen Erwartungen" liegen, auch wenn man sich eine Verschiebung der Gewichte hin zu den Oppositionsparteien in Taiwan gewünscht habe, die mehr Dialog und Austausch mit China fordern, so der Experte für die taiwanesisch-chinesischen Beziehungen.
Die Führung in Peking habe dieses Ergebnis vorausgesehen und sich auf mögliche Reaktionen vorbereitet: "Die vor den Wahlen ergriffenen Maßnahmen der militärischen Einschüchterung und des wirtschaftlichen Drucks werden in der Zeit nach der Wahl wahrscheinlich noch verstärkt werden", sagt Chang.
Beziehungen bleiben eisig
Taiwan ist durch die Taiwanstraße, eine 180-Kilometer breite Meerenge, von China getrennt. Der Dauerkonflikt um die Unabhängigkeit gilt als einer der gefährlichsten potenziellen Krisenherde der Welt. In den letzten acht Jahren, in denen die DPP regiert, wurde der offizielle Dialog zwischen beiden Seiten ausgesetzt.
Auch in Washington und anderen westlichen Hauptstädten wird genau beobachtet, wie die China-Politik des künftigen Präsidenten Lai die ohnehin angespannten Beziehungen auf beiden Seiten der Taiwan-Straße verändern könnte. "Ich glaube nicht, dass es zu einem Krieg kommen wird", mutmaßt Wissenschaftler Nachman. "Aber ich denke, dass die Volksrepublik China auch weiterhin nicht ans Telefon gehen wird", wenn ein Anruf aus dem Präsidialbüro in Taipeh käme. Es seien weiter "eisigere Beziehungen" zu erwarten. Dass Lai den Status quo ändern werde, sei sehr unwahrscheinlich.
Auch der Singapurer Politikwissenschaftler Chong Ja Ian rechnet nicht mit extrem scharfen Reaktionen aus China: Staatschef Xi Jinping sei zwar mit dem Wahlergebnis unzufrieden und werde den Druck auf Taiwan erhöhen. Gleichzeitig könnte Xi eine "unkontrollierbare Eskalation" Sorgen bereiten, "in einer Zeit, in der die Wirtschaft der Volksrepublik China schwächer ist."
In seiner Rede nach dem Wahlsieg versprach Lai Ching-te, er werde im Einklang mit der Verfassung der "Republik China", wie Taiwan offiziell heißt, so handeln, dass "der Status quo der Taiwanstraße gewahrt bleibt". Glückwünsche bekam Lai von US-Außenminister Antony Blinken, der versicherte, sich weiter für Frieden und die Stabilität in der Taiwanstraße zu engagieren. Blinken versprach auch, die "langjährigen inoffiziellen Beziehungen" zu fördern. "Inoffiziell" daher, weil die USA weiter ihre Ein-China-Politik verfolgen, wonach nur Festlandchina offiziell als Staat anerkannt wird.
Entscheidend sei eh das Verhältnis zwischen Washington und Peking, so die Einschätzung von Chang Wu-ueh von der Uni Tamkang. Davon hingen sowohl die Beziehungen zwischen den USA und Taiwan als auch zwischen Taiwan und China ab. Auch in Peking sei man der Ansicht, dass das Verhältnis zu Washington weit wichtiger ist als die Auseinandersetzung mit Taiwan.
Chinas Säbelrasseln an der Taiwanstraße sind eine ständige Quelle der Spannungen zwischen Peking und Washington. Die USA haben - trotz der Ein-China-Politik - auf inoffizieller Ebene ihre Unterstützung für Taiwan durch Waffenverkäufe und bilateralen Austausch gezeigt. So sollen jetzt zwei ehemals hochrangige US-Vertreter zu Gesprächen nach der Wahl in Taiwan eintreffen und das "langjährige Interesse" der US-Regierung an Frieden über die Taiwanstraße unterstreichen.
Ein echter Test für Taiwans nächste Regierung
Experten gehen jedoch davon aus, dass das neue Parlament eine erhebliche Bewährungsprobe für Lais Führung darstellen wird. Denn dort hat keine Partei die absolute Mehrheit. Lai ist also auf eine Zusammenarbeit mit der Opposition angewiesen. Diese Mehrheitsverhältnisse könnten auch Auswirkungen auf die Außenpolitik des neuen Präsidenten haben, sagt der Singapurer Politologe Chong.
Eine ähnliche Situation gab es in Taiwan schon Mal im Jahr 2000, als mit Chen Shui-bian auch ein DPP-Kandidat zum Präsidenten gewählt wurde, der ebenfalls keine eigene Mehrheit im Parlament in Taipeh hatte. Chen habe sich dadurch sogar risikofreudiger gezeigt, was das Verhältnis zu China angeht, so Chong. Wie der kommende Präsident mit der fehlenden Machtbasis im Parlament umgeht, werde sich erst zeigen, wenn Lai Ching-te im Amt ist..
Adaptiert aus dem Englischen von Arnd Riekmann