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Taiwan: Referendum für "Atomwiedereinstieg" gescheitert

Yuchen Li aus Taipeh
23. August 2025

Auf Taiwan wurde im Mai das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet. Ein Referendum am Samstag darüber, ob doch ein Reaktor wieder ans Netz geht, scheiterte an der niedrigen Wahlbeteiligung.

Taiwan Taipeh 2025 | Referendum zur Verlängerung des Betriebs des dritten Atomkraftwerks
Unterstützer der Atomkraft auf Taiwan warben für Fürstimme einen Tag vor Referendum am Samstag (23.8.25)Bild: Chiang Ying-ying/AP Photo/picture alliance

Das Ergebnis ist eindeutig. 4,3 Millionen Wähler auf Taiwan wollen, dass die Kernreaktoren wieder in Betrieb genommen werden. Die Atomgegner konnten nur 1,5 Millionen Stimme gewinnen. Allerdings ist das Referendum gescheitert, denn laut Wahlgesetz in Taiwan muss die Anzahl der Fürstimmen mindestens 25 Prozent aller 20 Millionen Wahlberechtigten, also fünf Millionen, Stimmen, erreichen. Die Wahlbeteiligung am Samstag lag lediglich bei knapp 30 Prozent.

Im Referendum ging es darum, ob ein Atomreaktor wieder in Betrieb geht, dessen Betriebserlaubnis im Mai ablief und nicht verlängert worden war. Die Öffentlichkeit der Inselrepublik diskutierte in fünf öffentlich ausgetragenen Runden über Vor- und Nachteile der Atomkraft. Neben Energiesicherheit und bezahlbarer Strompreise werden auch nationale Sicherheit, Wachstum und Umwelt thematisiert.  Die Öffentlichkeit auf Taiwan ist in der Frage über die Nutzung von Kernkraft gespalten.

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"Eine Abkehr von der Kernenergie würde die nationale Sicherheit gefährden", warnt Huang Shih-hsiu, Fürsprecher der Atomkraft und Gründer der Bürgerinitiative "Nuclear Myth Busters". "Wenn die chinesische Volksbefreiungsarmee Taiwan von der Außenwelt abschneidet, würden unsere Erdgasreserven nur für weniger als zehn Tage reichen."

Die Volksrepublik China betrachtet die Insel Taiwan als eine abtrünnige Provinz und will Waffengewalt für eine Wiedervereinigung einsetzen, wenn sich Taiwan unabhängig erklären sollte. Mit einer starken Militärpräsenz könnte das Festland die Insel Taiwan von allen Versorgungsketten abschneiden.

Gefährdung durch Erdbeben

Umweltaktivisten warnen davor, dass der Betrieb von Kernkraftwerken angesichts der Naturkatastrophen mit großen Risiken verbunden sei. Taiwan befindet sich am "Pazifischen Feuerring".  Unmittelbar vor der Küste Taiwans treffen viele tektonischen Platten aufeinander.

"Das Risiko, dass der Kernreaktor bei einem Erdbeben zerstört wird und Radioaktivität austritt, darf nicht unterschätzt werden. Der Unfall im japanischen Fukushima ist eine Warnung, die wir ernst nehmen müssen", sagt der 20-jährige Bürgervertreter Wu Ya-hsin. Am 11. März 2011 hatten ein Erdbeben der Stärke 9,0 und der vom Erdstoß ausgelöste Tsunami das japanische AKW Fukushima schwer beschädigt. Es kam zur Kernschmelze. Radioaktive Stoffe gelangten ins Meer und in die Atmosphäre.

Traumhafter Badestrand in unmittelbarer Nähe des AKWs Maanshan im Kreis PingtungBild: Daniel Ceng/Anadolu/picture alliance

Im Landkreis Pingtung an der Südküste Taiwans, wo sich das Kraftwerk Maanshan befindet, über dessen Zukunft jetzt abgestimmt wird, haben die dortigen Bewohner ernsthafte Sicherheitsbedenken. "Pingtung ist ein Kreis, der bekannt ist für seine Landwirtschafts- und Fischereiprodukte. Wir können uns das Risiko einer nuklearen Katastrophe nicht leisten", sagen lokale Atomgegner auf Kundgebungen. "Nach 40 Jahren sicherem Betrieb war das Kraftwerk schließlich stillgelegt worden. Nun soll das ganze Land darüber entscheiden, ob dieses AKW in unserem Kreis wieder in Betrieb geht. Die Einwohner von Pingtung halten diesen Schritt für völlig inakzeptabel."

Energiemix in Taiwan: Viel Kohle und Gas

2024 machte die Kernkraft 4,2 Prozent des Energiemix auf Taiwan aus, fossile Energieträger dagegen 81,6 Prozent, davon fast je zur Hälfte Kohle und Flüssigkeitsgas. Der Anteil an erneuerbaren Energieträgern beträgt circa zwölf Prozent.

Taiwan hatte sechs Reaktoren in drei AKWs. Der Betrieb war jeweils für 40 Jahren ausgelegt. Ab 2018 gingen sie nach und nach vom Netz, zuletzt der Reaktor Nummer 2 in Maanshan. Die regierende Demokratische Fortschrittspartei (DPP) hatte damit das Wahlversprechen eingelöst, den Atomausstieg bis 2025 umzusetzen.

(Archiv) Ein Ingenieur im Kontrollraum eines AKWs 2021Bild: Taiwan's Foreign Ministry

Doch nur wenige Tage nach der Abschaltung brachte die kleinere oppositionelle Taiwan People's Party (TPP) mit Unterstützung der viel größeren Kuomintang-Partei (KMT), ebenfalls in der Opposition, einen Gesetzentwurf über ein Referendum ins Parlament. In dem Referendum soll darüber votiert werden, ob das Kraftwerk Maanshan weiterbetrieben wird. "Die Behörden haben bestätigt, dass keine Sicherheitsbedenken bestehen", hieß es zur Begründung.

Jüngste Umfragen deuten darauf hin, dass mehr als 60 Prozent der Bevölkerung eine Wiederinbetriebnahme des Kraftwerks unterstützen. Die endgültige Entscheidung hängt jedoch von einer Sicherheitsbewertung der Regierung ab.

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In den letzten Jahren hatten die Taiwanesen schon zweimal über ähnliche Themen abgestimmt. 2018 befürwortete die Mehrheit die Verlängerung der Lauffrist von AKWs als Übergangstechnologie, bis mehr grüner Strom produziert werden kann.  Als 2021 die Wiederaufnahme des Baus eines stillgelegten Kernkraftwerks auf der Agenda stand, scheiterte das Referendum allerdings aufgrund niedriger Wahlbeteiligung.

Versorgungssicherheit

Taiwans Energieversorgung hängt stark von Importen ab. Kohle und Flüssigkeitsgas kommen aus Australien, Indonesien, den USA und zu einem kleinen Teil auch aus Russland. Dennoch spielt die Kernenergie in den Augen vieler Sicherheitsexperten eine wichtige Rolle im Falle eines militärischen Konflikts.

Atomstrom sei in Taiwan für die Energieunabhängigkeit und auch für die Verteidigung von großer Relevanz, meint Matt Pottinger, der zwischen 2019 und 2021 stellvertretender Nationaler Sicherheitsberater der USA war. "Die Kernenergie bietet ein hohes Maß an Unabhängigkeit, was in Krisensituationen hilfreich sein kann, da man Brennstoffe mehrere Jahre lang vor Ort lagern kann", sagt Dr. Martin Pache, Sprecher von Kerntechnik Deutschland e. V. im DW-Interview.

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Die Energieexpertin Tsaiying Lu von der taiwanesischen Technologie-Thinktank DSET betont jedoch, dass ein Nuklearkraftwerk in einem Kriegsszenario auch ein Sicherheitsrisiko darstelle. Sie begründet ihre Analyse mit dem jüngsten Vorfall im ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) fand Hinweise auf einen Drohnenangriff in der Nähe des AKWs, das seit 2022 unter russischer Kontrolle steht. Das AKW Saporischschja mit derzeit sechs abgeschalteten Reaktoren ist die größte Atomanlage Europas.

Lu schlägt eine Diversifizierung der Energieversorgung vor, einen breiteren Mix aus Flüssigerdgas (LNG) und Kohleimporten. So könne in Krisenzeiten ein "flexibler Versorgungsmechanismus" gewährleistet werden.

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Deutschland als Vorbild?

Die hitzige Debatte auf Taiwan spiegelt auch die Diskussion über einen Atomausstieg in Europa wider. Die EU sieht die Kernenergie als "nachhaltig" an, wenn der Atommüll sicher entsorgt wird. Während Frankreich fast 70 Prozent seines Energiebedarfs noch mit Atomkraft abdeckt, hat Deutschland die letzten drei Reaktoren im Jahr 2023 abgeschaltet. In Taiwan wie in Deutschland konnte bisher kein sicheres Endlager für Atommüll gefunden werden.

"Taiwan ist nicht Deutschland", sagt der oppositionelle KMT-Abgeordnete Weng Hsiao-ling während der zweiten öffentlichen Debatte in Taiwan. "Mehr als die Hälfe der Stromerzeugung in Deutschland stammt von erneuerbaren Energieträgern. Kann Taiwan wirklich mithalten?"

Die Regierung in Taiwan hatte sich zum Ziel gesetzt, den erneuerbaren Anteil der Stromversorgung von derzeit zwölf auf 20 Prozent im Jahr 2025 zu erhöhen. Offenbar kann dieses Ziel nicht mehr erreicht werden.

Mitarbeit: Tzu-Hsin Chou

 

Aus dem Englischen adaptiert von Dang Yuan

 

 

Yuchen Li Ostasien-Korrespondentin mit Schwerpunkt China und Taiwan
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