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Gesellschaft

Taiwan kurz vor Homo-Ehe

Klaus Bardenhagen
30. November 2016

Als erstes Land in Asien könnte Taiwan bald die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare öffnen. Doch christliche Gruppen wollen die Reform verhindern. Beide Seiten demonstrieren vor dem Parlament.

Pro-Homo-Ehe-Demonstrant in Taiwan (Foto: Klaus Bardenhagen)
Bild: Klaus Bardenhagen

Zuversichtlich winkten die Abgeordneten in die Kameras und schwenkten Regenbogen-Fähnchen. Ende Oktober präsentierte Yu Mei-nu, Abgeordnete von Taiwans regierender Demokratischer Fortschrittspartei (DPP), ihre Gesetzesinitiative zur "Ehe für alle". Statt "Mann und Frau" soll das Gesetz nur noch auf "beide Seiten" Bezug nehmen. Der Weg zur gleichberechtigten gleichgeschlechtlichen Ehe wäre in Taiwan damit frei.

Für Taiwans "LGBT"-Gemeinde, wie die Homo-, Bi- und Transsexuellen sich auch hierzulande bezeichnen, gab es viel Grund zum Optimismus. Nicht nur, dass laut Meinungsumfragen mehr als 50 Prozent der Taiwaner kein Problem mit einer Öffnung der Ehe hätten – diesmal signalisierte auch eine Mehrheit der Abgeordneten in Taiwans 113-köpfigem Parlament von vornherein Sympathie.

Seit dem letzten Reform-Vorstoß, der vor drei Jahren an der damaligen Mehrheit der Kuomintang-Partei gescheitert war, ist Taiwans Gesellschaft von Protestbewegungen kräftig durcheinandergewirbelt worden. Seit den Wahlen im Januar stellt die weniger konservativ eingestellte DPP nicht nur die Präsidentin, sondern erstmals auch eine Mehrheit im Parlament. Ihren Erfolg verdankte sie vor allem jungen Wählern - und je jünger, desto selbstverständlicher ist für Taiwaner auch die Gleichstellung von Homosexuellen.

Etwas mehr als einen Monat später ist aus Euphorie jedoch Ernüchterung geworden, der Gesetzgebungsprozess stockt. Das liegt vor allem an einer kleinen, aber einflussreichen Minderheit: Taiwans evangelikale Christen haben sich den Kampf gegen die Homo-Ehe auf die Fahnen geschrieben. Zwar sind weniger als fünf Prozent der Bevölkerung Christen, doch sie sind gut organisiert.

Vor drei Jahren hatten kirchlich unterstützte Organisationen mit Massendemonstrationen die Stimmung gedreht und die damalige Gesetzesinitiative zu Fall gebracht. Das wollen sie nun wieder versuchen.

Unterstützer der Homo-Ehe vor dem Parlament in TaipehBild: Klaus Bardenhagen

Christliche Demonstranten vor dem Parlament

Etwa 20.000 weiß gekleidete Demonstranten zogen vor zwei Wochen vor das Parlament. Während drinnen ein Ausschuss über den Gesetzentwurf von Yu Mei-nu beriet, setzten sich die Demonstranten draußen nach bewährtem taiwanischem Protest-Muster auf eine Straße, skandierten Parolen und sangen Lieder. Redner betonten, dass zur Ehe selbstverständlich Mann und Frau gehörten. Einige drangen an der Polizei vorbei auf den Hof des Parlaments ein und drohten mit einem Sitzstreik.

Anders als in der Vergangenheit halten die christlichen Aktivisten sich diesmal mit offen schwulenfeindlichen Parolen zurück. Ihre Botschaften kreisen um den Erhalt der traditionellen Familie und Sorgen über die Entwicklung von Kindern. Ihre Hauptforderung ist es, das Eherecht nur per Volksentscheid zu ändern.

Einige bei dem Protest verteilten Flugblätter enthielten allerdings auch reichlich wirre Argumente: Fällt die Mann-Frau-Voraussetzung fort, hieß es da etwa, könnten Männer sich als Transsexuelle ausgeben und Frauen auf der Damentoilette belästigen. Oder: Lesben könnten mit der Ehefrau Ehebruch begehen, ohne dass der Mann etwas dagegen unternehmen könnte.

Die meisten Taiwaner sind offen für Homo-Ehe und die LGTB-BewegungBild: picture-alliance/dpa/R. B. Tongo

Verbindungen in die USA

Im heutigen Taiwan falle solche Ansichten auf wenig fruchtbaren Boden. Der kanadische Journalist J. Michael Cole belegte schon vor Jahren Verbindungen zwischen einigen Kirchen in Taiwan und fundamentalistischen christlichen Organisationen in den USA. Der Verdacht, dass auch Geld zur Finanzierung solcher Kampagnen fließen könnte, liegt nahe.

In jedem Fall haben die Gegner der gleichgeschlechtlichen Ehe teure Zeitungsanzeigen geschaltet und durch massenhafte Anrufe die Büros von Parlamentariern lahmgelegt. Mit Erfolg: Statt den Gesetzentwurf zur Lesung ins Plenum zu schicken, lenkte der Ausschuss ein und setzte zwei weitere öffentliche Anhörungen an.

Diese Veranstaltungen und die neu entfachte Aufmerksamkeit nutzten nun Gegner und Befürworter der Reform als Bühne für ihre Anliegen. Von der ersten Anhörung vergangene Woche blieb vor allem eine ehemalige Abgeordnete der chinahörigen New Party in Erinnerung, die Parallelen zwischen der Zahl von Homosexuellen und von Kakerlaken zog ("Wenn man eine sieht, gibt es tatsächlich Hunderte.")

"Das ganze Volk soll entscheiden": Forderung der ReformgegnerBild: Klaus Bardenhagen

Massenprotest mit Regenbogenflaggen

Bei der zweiten Anhörung vergangenen Montag trommelte Taiwans LGBT-Gemeinde zur Großkundgebung. Mit etwa 20.000 erreichten sie etwa die Zahl der christlichen Demonstration und versammelten sich ebenfalls vor dem Parlament. Das Bild war ein bunteres, dominiert von Regenbogenfahnen und einem heiteren Trotzgefühl. "Ich bin schwul und seit sieben Jahren mit meinem Freund zusammen", sagte ein zufällig herausgegriffener Teilnehmer unerschrocken dem westlichen Reporter. "Natürlich hoffe ich, dass wir heiraten können."

Da Taiwans Politik trotz gelegentlicher Rangeleien im Parlament im Grunde noch immer auf allseitige Gesichtswahrung und Kompromisssuche ausgelegt ist, wird nun ein Kompromiss viel diskutiert: Keine Öffnung der Ehe für alle, sondern eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft, nach deutschem Vorbild über ein eigenes Gesetz geregelt. Der Justizminister und der DPP-Fraktionschef bevorzugen diese Lösung, Präsidentin Tsai Ing-wen hat sich bislang nicht geäußert.

Die LGBT-Parade in Taiwan (hier Ende Oktober 2016) ist die größte in Asien Bild: picture-alliance/dpa/R. B. Tongo

Ablehnung der bloßen Lebenspartnerschaft

Vor einigen Jahren noch hätten Taiwans Homosexuelle so ein Angebot wohl sofort ergriffen, doch spätestens seit auch in den USA der Oberste Gerichtshof die Ehe für alle geöffnet hat, gibt man sich damit nicht mehr zufrieden. Eine Sonderlösung nur für Homosexuelle wäre auch nur eine Form der Diskriminierung, heißt es, und würde viele Probleme nicht lösen. "Ich kann keine Kinder bekommen, weil ich lesbisch bin", sagte Aktivistin Chien Chih-chieh. "Laut Gesetz ist eine künstliche Befruchtung nur bei Verheirateten erlaubt."

Dass eine Reform kommen wird, scheint sicher. Mit einem Gesetz zur Lebenspartnerschaft würde Taiwans Regierung sich Zeit erkaufen, aber die Debatte für völlige Gleichberechtigung würde, wie auch in Deutschland, weitergehen. Auf jeden Fall würde Taiwan schon mit dem Kompromiss Geschichte schreiben, weil noch kein anderes Land in Asien einen solchen Schritt gegangen ist.

 

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