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Taiwans Wirtschaft nimmt Kurs zu neuen Ufern

11. Januar 2024

Nicht nur das angespannte Verhältnis zu China prägte den Wahlkampf in Taiwan. Auch der künftige Wirtschaftskurs beschäftigt die Menschen - besonders seit die Konjunktur schwächelt.

Taiwan Flagge
Invasion vom Festland als Dauerbedrohung: Übung der Marine Taiwans Bild: MANDY CHENG/AFP/Getty Images

Taiwans Wirtschaft ist längst nicht mehr so dynamisch, wie man es lange gewohnt war. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) - also die Wirtschaftsleistung - ist von 6,6 Prozent im Jahr 2021 und 2,6 Prozent im Jahr 2022 im gerade abgelaufenen Jahr auf nur noch 1,4 Prozent zurückgegangen. Kein Wunder, dass die Frage nach dem künftigen Wohlstand auf der Insel eines der zentralen Themen bei den Wahlen am 13. Januar ist. Es wird zwar über die Höhe des Verteidigungshaushalts debattiert, aber die militärische Bedrohung durch die Volksrepublik sei nicht das Hauptthema, betont der Politologe Chung Min Tsai.

"Etwas weniger als die Hälfte der Wähler sorgen sich Umfragen zufolge über einen Krieg in den nächsten fünf Jahren", schreibt Chung Min Tsai in einem gemeinsamen Meinungsbeitrag mit dem kanadischen Asien-Experten Yves Tiberghien im Australian Financial Review vom 7. Januar. Die beiden forschen gemeinsam an der Taipei School of Economics and Political Science. Über die Jahre, so ihre Analyse, sei es bei den meisten Taiwanern zu einem gewissem Gewöhnungseffekt gekommen. Dagegen seien "Ängste über die wirtschaftlichen Aussichten und Einkommen, steigende Mieten, Energieunsicherheit und Ungleichheit" bei vielen Wählerinnen und Wählern wichtigere Themen.

Stark steigende Mieten machen auch in Taiwan den Menschen das Leben schwerBild: Ampersand

Industrieproduktion im Rückwärtsgang

Gerade technologielastige asiatische Volkswirtschaften wie Südkorea oder Taiwan bekommen die gesunkene Nachfrage auf dem Weltmarkt deutlich zu spüren. Während auch Südkoreas Industrie zuletzt schwächelte, schrumpfte in Taiwan im Dezember 2023 die Industrieproduktion den neunzehnten Monat in Folge, wie Reuters unter Berufung auf aktuelle Einkaufsmanager-Indizes (PMI) meldete.

Dass die wirtschaftliche Dynamik Taiwans an Tempo verliert, geht vor allem auf das Konto der lahmenden Exporte und der mauen Nachfrage in China nach Vorprodukten Made in Taiwan. Und während die Investitionen in Taiwan ebenfalls zurückgingen, sorgte wenigstens der wieder stärkere private Konsum nach der Pandemie für einen Lichtblick, erklärt Min-Hua Chiang. Die Wissenschaftlerin aus Taiwan arbeitet für diverse US-Thinktanks, darunter die Heritage Foundation und das East-West Center.

Neben den konjunkturellen gibt es aber auch strukturelle Probleme. Taiwan teilt die typischen Herausforderungen anderer Industriegesellschaften: Eine immer ältere Bevölkerung muss versorgt werden, die Kosten für Sozialleistungen steigen immer weiter an.

Feier von Pflegern und Bewohnern eines Altenheims in Taoyuan am Nationalfeiertag am 10. Oktober 2023 Bild: Ann Wang/REUTERS

Ältere Gesellschaft, immer höhere Sozialausgaben

Obwohl Taiwans Inflationsrate mit zuletzt 2,7 Prozent im Vergleich zu den meisten Industrieländern relativ niedrig ist, mussten Taiwans Arbeitnehmer Reallohn-Verluste hinnehmen. Jetzt rächt sich, dass die Inselrepublik vor allem auf niedrige Löhne und Gehälter gesetzt hat, um ihre Exportwirtschaft wettbewerbsfähig zu halten.

Den Frust der Menschen versucht die Regierung seit vielen Jahren mit steigenden Transferleistungen zu dämpfen. Der Anteil der Sozialausgaben an den Staatsausgaben hat sich seit 1994 von neun Prozent auf 27 Prozent im Jahr 2022 verdreifacht, rechnet Min-Hua Chiang in einer aktuellen Analyse vor, die sie am 4. Januar im Fachmagazin East Asia Forum veröffentlichte.

Militärausgaben sollen wieder steigen

Dazu kommt, dass Taiwans rasch alternde Bevölkerung die öffentlichen Finanzen zusätzlich belasten wird. Nach UN-Schätzungen wird der Anteil der Bevölkerung über 65 Jahren von 15 Prozent im Jahr 2019 auf 35 Prozent im Jahr 2050 ansteigen. Wegen der steigenden Sozialkosten sind in den letzten Jahrzehnten die Militärausgaben der von Peking bedrohten Inselrepublik immer weiter zurückgefahren worden. Zuletzt waren es 2,6 Prozent des BIP - in früheren Jahrzehnten gab Taiwan bis zu zehn Prozent und mehr seines BIP für das Militär aus. Zum Vergleich: Die Staaten des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses NATO haben das Ziel, zwei Prozent ihres BIP für Militärausgaben einzusetzen.  

Mit regelmäßigen Übungen und Manövern übt Taiwans Armee den Ernstfall Bild: Sam Yeh/AFP

Seit den 1990er Jahren florierte Taiwans Wirtschaft durch den Export technologieintensiver Industriegüter nach China. Chinas Reformen und die Entspannung im Verhältnis zu den USA gaben der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Taiwan und der Volksrepublik einen gewaltigen Schub.

Doch nach 30 Jahren geht auch diesem Erfolgsmodell zunehmend die Puste aus. Der Handelskonflikt Pekings mit den USA unter Donald Trump hat sich unter Präsident Joe Biden weiter verschärft. Die ungelöste Immobilienkrise, der lahmende private Konsum, überschuldete Gebietskörperschaften und Provinzen haben zusammen mit den Folgen von Pekings knallharten Corona-Maßnahmen Chinas Wachstumsdynamik ausgebremst.

Weniger Exporte, weniger Investitionen 

Eine Entwicklung, auf die Taiwan bereits reagiert hat. Während der Anteil Chinas und Hongkongs an Taiwans Gesamtexporten von 44 Prozent im Jahr 2020 auf 35 Prozent im Jahr 2023 zurückging, stiegen die Exporte in die USA, Europa und in die Länder des südostasiatischen Staatenbündnisses ASEAN um sieben Prozent.

Gleichzeitig gingen Taiwans Investitionen in China zwischen Januar und Oktober 2023 um 17 Prozent auf 2,5 Milliarden US-Dollar (2,29 Mrd. Euro) zurück. Im selben Zeitraum investierten Taiwans Unternehmen 9,6 Milliarden US-Dollar (8,78 Mrd. Euro) in den USA und 2,3 Milliarden US-Dollar (2,1 Mrd. Euro) in Singapur.

Und ganz gleich, wer die Wahlen am 13. Januar gewinnt - alle drei Kandidaten wollen diese regionale Diversifizierung weiter voran treiben. Ganz so leicht dürfte das allerdings nicht werden, meint Alicia Garcia Herrero vom französischen Vermögensverwalter Natixis: "Eine weitere Diversifizierung wird nicht einfach sein, nachdem Taiwan bei regionalen Handels- und Wirtschaftsabkommen wie RCEP, CPTTP und dem von den USA geführten IPEF jedes Mal außen vor geblieben ist."

Dominiert Taiwans Wirtschaft wie kein zweites Unternehmen: TSMC Bild: David Chang/dpa/picture alliance

Chip-Champion als Risikofaktor?

Auch eine andere Art der Diversifizierung wird nicht einfach werden für die Inselrepublik: Die Vormachtstellung des Halbleiter-Riesen TSMC. Kein anderer Konzern dominiert die Wirtschaft Taiwans so sehr wie die weltweit wichtigste Chip-Schmiede. Mehr als ein Viertel, zuletzt knapp 27 Prozent der Marktkapitalisierung aller an der Börse Taiwans gelisteten Aktienunternehmen entfällt auf TSMC. 

Die Abhängigkeit von der Halbleiterindustrie ist gewaltig. Der Exportanteil von Halbleitern ist in den vergangenen zehn Jahren um fast zehn Prozent auf zuletzt 42 Prozent geklettert. In Zukunft sollen verstärkt Chips in den Werken von TSMC in den USA und in Europa (zum Beispiel in Dresden) produziert werden, was den Anteil an den Exporten Taiwans automatisch reduzieren wird. Allein in Phoenix im US-Bundesstaat Arizona entsteht ein neues TSMC-Werk im Wert von 40 Milliarden US-Dollar (36,58 Mrd. Euro).

Wie viel TSMC in seinen 70-Prozent-Anteil des geplanten deutschen Werks in Dresden investieren wird, in dem zusammen mit den Partnern Bosch, Infineon und NXP ab 2027 Halbleiter produziert werden sollen, ist noch nicht entschieden.

Die Meinung von TSMC-Gründer Morris Chang hat in Taiwan noch immer großes GewichtBild: Walid Berrazeg/SOPA/Zuma Wire/picture alliance

Für den Ökonomen Alexander Sandkamp vom Kiel Institut für Weltwirtschaft heißt das aber nicht, dass damit TSMC China den Rücken kehrt.  "Aus Sicht taiwanesischer Unternehmen wie TSMC ist es sinnvoll, ihre Produktion zu diversifizieren. Man sollte (aber) nicht vergessen, das TSMC auch Fabriken in China betreibt. Sollte es zu einer Entkopplung zwischen China und dem politischen Westen kommen - auch ohne militärische Eskalation - so könnte das Unternehmen beide Parteien unabhängig voneinander mit Chips versorgen", so der Kieler Forscher gegenüber der DW. "Aus betriebswirtschaftlicher Sicht könnte das eine sinnvolle Strategie sein."

Nächster 30-Jahre-Zyklus

"Taiwan steht am Wendepunkt seiner wirtschaftlichen Entwicklung", unterstreicht Min-Hua Chiang. Durch den Export von Konsumgütern in die USA sei Taiwans Wirtschaft 30 Jahre lang stark gewachsen. Als sich danach die Volksrepublik wirtschaftlich öffnete, profitierte Taiwan weitere 30 Jahre lang davon, Vorprodukte nach China zu exportieren, um sie dort fertig zusammenbauen zu lassen, erklärt die Forscherin. Jetzt sei es an der Zeit, "mit einem neuen Wachstumsmodell weitere 30 Jahre in Angriff zu nehmen".

Thomas Kohlmann Redakteur mit Blick auf globale Finanzmärkte, Welthandel und aufstrebende Volkswirtschaften.
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