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Taliban destabilisieren den Süden Afghanistans

26. Juli 2005

In Afghanistan soll am 18. September ein Parlament gewählt werden - erstmals seit dem Sturz der radikalislamischen Taliban. Die Gewalt im Land nimmt wieder zu. Vor allem in den ehemaligen Hochburgen der Taliban.

Taliban: Selbsternannte "Gotteskrieger"Bild: AP


Die Taliban, die der von einem internationalen Bündnis gestützten Regierung Karsai den Krieg erklärt haben, versuchen seit Monaten, die für den 18. September geplanten Parlamentswahlen zu verhindern - zum Beispiel, indem sie einflussreiche und angesehene Persönlichkeiten ermorden: In der südafghanischen Provinz Kandahar wurde ein hoher Richter auf dem Weg in die Moschee umgebracht. Im Bezirk Schawalikot kam der örtliche Verwaltungschef durch einen ferngezündeten Sprengsatz ums Leben. Ein Sprecher der Taliban erklärte, seine Rebellenorganisation sei für beide Taten verantwortlich.

Zugänglich für Argumente? Stammesführer bei einer Versammlung mit dem Gouverneur der Provinz Kandahar

Regierungstreue Geistliche ermordet

Mufti Latifullah Hakimi, bekannt als Sprecher der Taliban-Milizen, hatte an die Adresse der afghanischen Geistlichen zum wiederholten Mal eine klare Botschaft gesandt: Die Führung der Taliban werde jeden Geistlichen durch ihre Milizen ermorden lassen, der sich in seinen Predigten für die Wahlen, für die Regierung oder für die "Internationale Koalition" einsetze. Seit Anfang Juli wurden drei hohe Geistliche ermordet, die ihre Unterstützung für Staatspräsident Hamid Karsai erklärt hatten.

Mit der gezielten Ermordung gemäßigter Geistlicher des Landes will die Taliban-Führung die traditionellen Mullahs des Landes, die eher der afghanischen Regierung nahe stehen, einschüchtern. Darüber hinaus wollen die Gotteskrieger die für den 18. September geplanten Parlaments- und Provinzwahlen in Afghanistan sabotieren, indem sie die geistlichen Verbündeten des Systems töten.

Große Kluft zwischen Geistlichen und Taliban

Verhaftete mutmaßliche Taliban-Kämpfer aus PakistanBild: AP

Es ist der zweite groß angelegte Versuch der Taliban zur Destabilisierung des Landes, nachdem es ihnen nicht gelungen war, die Präsidentschaftswahlen im Oktober 2004 zu sabotieren. Die jüngsten Gefechte haben die Taliban jedoch stark geschwächt, sagt der Kommandeur der US-Truppen in Afghanistan, General Jason Kamiya. Mehr als 500 Taliban wurden seit März getötet. Ihre Kommandostruktur sei zerrissen, weshalb sie zu keinen koordinierten Angriffen mehr in der Lage seien, so Kamiya. Dessen ungeachtet erwarte er aber, dass die Taliban versuchen würden, ihre Angriffe bis zu den Wahlen im September noch zu steigern. "Taliban und El Kaida fühlen, dass das ihre letzte Chance ist, noch zu verhindern, dass Afghanistan eine Nation wird", vermutet der General.

Die Taliban seien inzwischen so verzweifelt, dass sie Kinder rekrutierten. In einigen Gebieten würden die Familien gezwungen, einen Sohn für die Kämpfe abzustellen. Mit ihren jüngsten Terrorakten haben die Taliban bislang allerdings nur erreicht, dass die Rufe der gemäßigten Mullahs nach Sicherheit und Schutz lauter geworden sind. Gleichzeitig sind sich die Geistlichen des Landes jedoch in ihrer politischen Haltung näher gekommen, das heißt, die Kluft zwischen ihrem Denken und dem der radikalen Taliban-Milizen hat sich vergrößert.

Tolerante Islam-Auslegungen

Der Islam in Afghanistan hat viele Gesichter. Es gibt Traditionalisten, die keine ausgeprägten politischen Ambitionen haben. Sie sind konservativ und halten sich an das, was ihnen die politischen und religiösen Autoritäten vorgeben. Darüber hinaus sind in Afghanistan mystische Richtungen des Islam - wie der Sufismus - stark vertreten. Diese sind in ihrer Islam-Interpretation sehr tolerant und agieren politisch traditionell konsensorientiert.

Afghanistans Witwen sind auf internationale Hilfe angewiesen - sie durften unter den Taliban nicht arbeiten und haben daher weder Geld noch VorsorgeBild: AP

Der Islam der einfachen Afghanen wiederum ist ein facettenreicher Volksislam, der abergläubische Elemente enthält, Stammestraditionen, vorislamische Sitten, wie natürlich auch islamische Wertvorstellungen. Der radikale Islam mit seinem politischen Alleinvertretungsanspruch und dem Leitbild Herrschaft Gottes auf Erden, ist in Afghanistan neueren Datums und als solcher etwas Fremdes.

Der radikale Islam als etwas Fremdes

Das Islamverständnis der Taliban-Bewegung, die von Pakistan ihren Ausgang nahm und vor allem von Saudi-Arabien großzügig finanziell unterstützt wurde, wurde schon von Beginn an in Afghanistan als ein Importartikel angesehen, der mit dem toleranten Volksislam am Hindukusch nicht korrespondierte. Dass die Taliban im September 1996 dennoch triumphierend in Kabul einziehen konnten, lag daran, dass die Mudschahidin-Führer wie Hikmatjar und Rabbani das Land völlig ruiniert und ausgeblutet hatten, und die Menschen einfach froh waren, dass jemand dem mörderischen Treiben des Warlords ein Ende machte. Aber mit ihrer Politik der verbrannten Erde, der Geschlechterapartheid, des kultureller Vandalismus und ihrer Strategie der religiösen und ethnischen Säuberung haben die Taliban-Milizen in ihrer vierjährigen despotischen Herrschaft am Hindukusch großes gesellschaftliches Unheil angerichtet und religiöse und ethnische Konflikte heraufbeschwören.

Said Musa Samimy / arn

Nomaden vor dem zerstörten Königspalast in AfghanistanBild: AP
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