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PolitikAsien

Taliban versuchen Medien auf Linie zu bringen

4. April 2022

Hardliner der Taliban setzen ihre Linie nicht nur gegen Frauenrechte, sondern auch in der Medienpolitik durch. Allerdings mit Ausnahmen und Schlupflöchern.

Afghanistan Taliban Medien Banafsha Binesh
Journalistinnen im Newsroom von TOLO TV in Kabul im Februar 2022Bild: Hussein Malla/AP Photo/picture alliance

Die Radiojournalisten können weiterhin arbeiten, unter der Bedingung, dass sie keine Musik mehr senden. So lautete die Bedingung, die Sicherheitsleute der Taliban Ende März den zuvor festgenommenen Redakteuren von vier Lokalsendern südlich von Kandahar stellten. Die gingen auf die Vorgabe ein und wurden freigelassen. Ein Vorfall, über den die Organisation Human Rights Watch (HRW) auf ihrer Internetseite berichtete. Ebenfalls im März hatten die Taliban drei leitende Abgestellte des Senders Tolo News verhaftet, sie wurden einige Stunden später wieder freigelassen.

Das Medienunternehmen Moby Group, zu dem TOLO TV gehört, geht Medienberichten zufolge davon aus, dass die Verhaftungen eine Reaktion auf die Berichterstattung des Senders über das Verbot ausländischer Serien im afghanischen Fernsehen war.

Taliban-Polizist bedroht einen Reporter am Rande einer Frauen-Demo in KabulBild: Bulent Kilic/AFP/Getty Images

Generell wächst der Druck auf die Medien: So berichtete HRW über Aussagen afghanischer Journalisten, denen zufolge Taliban-Milizen sie bedrohen, festhalten und schlagen. Viele Journalisten sähen sich demnach gezwungen, nur noch über offizielle Erklärungen und Veranstaltungen zu berichten. Auch gegenüber ausländischen Medien wächst der Druck. Ende März untersagten die Taliban Kooperationspartnern von Voice of America, der BBC wie auch der Deutschen Welle, deren Angebote auf Pashto, Farsi und Usbekisch weiterhin zu verbreiten.

Mediensterben

Die Machtübernahme der Taliban hat für inländische Medien einschneidende Konsequenzen. Allein in den ersten vier Monaten ihrer Herrschaft, berichtet die Organisation "Reporter ohne Grenzen", sahen sich gut 230 Medienunternehmen gezwungen zu schließen, gut 6400 Journalisten verloren ihre Arbeit. Dies gehe allerdings nicht allein auf die restriktive Politik der Taliban zurück, sondern auch auf mangelnde Finanzierung, sagt Thomas Ruttig, Mitbegründer des unabhängigen Think Tanks Afghanistan Analysts Network. Den Stopp der westlichen Finanzhilfe bekämen auch die lokalen Medien zu spüren, die ihre Mitarbeiter nicht mehr bezahlen könnten.

Die aus der Provinz Bamian berichtende Reporterin Nargis Amini hat wegen Drohungen der Taliban das Land verlassen Bild: privat

"Dennoch gibt es ja sehr viele Möglichkeiten, an Informationen zu kommen und die sind den Afghaninnen und Afghanen auch bekannt", sagt Ruttig. Denn nur ein kleiner Teil der afghanischen Bevölkerung informiere sich vorrangig übers Fernsehen. Stattdessen nutzten die meisten Afghanen die digitalen Medien, etwa Messenger, Twitter, Instagram. "Ein Wendepunkt wäre erreicht, wenn die Taliban irgendwann beschließen, das Internet zu sperren oder zu filtern. Dann ginge es in Sachen Informationsfreiheit wirklich an die Substanz."

Selbstzensur

Den Kurs für Journalisten hatte Anfang Februar der Sprecher der Taliban, Sabihullah Mudschahid vorgegeben. Journalisten sollten "nationale Interessen, islamische Werte und die nationale Einheit" berücksichtigen, bevor sie etwas veröffentlichen, berichtet der in Kabul ansässige Radiosender Salam Watandar. 

Was das im Einzelfall bedeutet, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Als die Taliban vor einigen Tagen ankündigten, Mädchen dürften nach der sechsten Klasse keinen Unterricht mehr besuchen, hatten private Medien darüber berichtet und Afghanen interviewt, die gegen den Beschluss demonstrierten. "Es gibt also noch private Sender, die über derartige Entwicklungen berichten", sagt Afghanistan-Experte Ruttig. "Sie tun das allerdings nur eingeschränkt, teils auch mit einem gewissen Anteil an Selbstzensur. Die Journalisten haben eben Angst, von den Taliban erlassene Vorgaben zu verletzen, die häufig nicht sonderlich konkret sind und bei denen man nicht genau weiß, wo die Linien verlaufen."

Frauenstimmen im Radio unerwünschtBild: Mohammad Jan Aria/Imago Images

Diese unklare Linie sprachen afghanische Journalisten auf einer von Radio Salam Watandar Anfang Januar ausgerichteten Konferenz an. So etwa hätten die Taliban in einigen Provinzen erklärt, auch Frauen dürften für Radiosender arbeiten. Erklinge aber eine weibliche Stimme im Programm, würden die Sendungen unterbrochen, berichtet "Reporter ohne Grenzen" von der Konferenz.

Probleme bereiten Journalisten auch die im September 2021 erlassenen "Elf Regeln" für die Berichterstattung. Die wenig präzisen Formulierungen lassen weite Deutungsspielräume zu. "Angelegenheiten, die zum Zeitpunkt der Ausstrahlung oder Veröffentlichung nicht von offizieller Seite bestätigt wurden, sollten mit Vorsicht behandelt werden", besagt etwa die siebte Regel. Und die achte fordert, "Angelegenheiten, die sich negativ auf die Einstellung der Öffentlichkeit auswirken oder die Moral beeinträchtigen könnten, sollten bei der Ausstrahlung oder Veröffentlichung sorgfältig behandelt werden".

Staatsfernsehen ohne großen Einfluss

Ihre eigenen Vorstellungen, allen voran die religiösen, versuchen die Taliban vor allem über das Fernsehen zu propagieren. Entsprechende Programme seien einfach herzustellen, sagt ein Redakteur dem englischen Guardian: "Ein Mann, ein Mullah, sitzt in einer Ecke und spricht über den Islam und über Traditionen." Das Probleme der Taliban sei aber, dass sie mit diesen Programen nur wenige Menschen erreichten, sagt Thomas Ruttig. "Da gibt es mit RTA, Radio Television Afghanistan, so eine Art Staatsrundfunk, der aber mit Blick auf den Marktanteil ziemlich schwach ist. An ihm orientieren sich wenige Menschen, weil das immer letztlich ein Propagandasender war, welche Regierung auch immer da an der Macht war."

Moderne Technologie mit reaktionärem Inhalt: Twitter-Account von Taliban-Sprecher MudschahidBild: Getty Images/AFP/W. Kohsar

Insgesamt gebe es zwar noch gewisse Freiräume der Berichterstattung. In manchen Sendungen dränge Kritik an den Taliban zwischen den Zeilen durch, was nicht ohne Risiko für die Programmmacher sei, berichtet Ruttig. "In manchen TV-Sendungen werden Taliban-Vertreter durchaus kritisch befragt. Und ein Sender wie Tolo TV ließ nach dem Beschluss der Schließung weiterführender Schulen seine Journalistinnen auch Interviews auf der Straße durchführen.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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