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"Talibanisierung" der afghanischen Justiz?

Abdul Hakim27. September 2012

Die Auspeitschung eines afghanischen Mädchens wegen "unerlaubter Beziehung" zu einem Jungen hat im In- und Ausland Empörung ausgelöst. Beobachter warnen vor einer "Talibanisierung" der afghanischen Justiz.

Protest in Kabul ggen Scharia-Urteile gegen Frauen (Foto: DW)
Bild: DW

Die sechzehnjährige Sabera wurde am 16.09.2012 ohne ordentliches Gerichtsverfahren von drei Geistlichen im Bezirk Dschaguri in der südlichen Provinz Ghasni zu 100 Peitschenhieben verurteilt. Am Montag (24.09.) demonstrierten Hunderte von Studentinnen und Studenten und Bürgerrechtler in Kabul gegen die sogenannten "Wüstentribunale" der Taliban und der lokalen Geistlichkeit. Sie forderten die Regierung auf, gegen diese Art von Selbstjustiz vorzugehen. Am Dienstag meldeten die afghanischen Behörden die Festnahme von fünf Personen im Zusammenhang mit der Auspeitschung, man wolle den Hauptverantwortlichen für die Tat ermitteln, hieß es.

Shafiqa, die Schwester von Sabera, war auch unter den Demonstranten von Montag. Sie berichtet über die Vollstreckung der Strafe gegen ihre Schwester: "Niemand traute sich, die Strafe mit Peitschenhieben vorzunehmen, bis der lokale Polizeichef beteuerte, dies solle auf seine Verantwortung ausgeführt werden. Danach führte einer seiner Beamten die Anordnung aus."

"Naive Erwartungen von Gerechtigkeit"

Shafiqa berichtet weiter, sie habe versucht, die zuständigen Justizbehörden in den Fall der Auspeitschung ihrer Schwester einzuschalten. Dort habe man sie für naiv gehalten: "Man hat mir sinngemäß nur gesagt, was ich denn glaube, wenn ich Gerechtigkeit erwarte?"

Auch Parastu Yari, eine der Demonstrantinnen in Kabul, sieht die staatliche Justiz in der Pficht zu handeln: "Wir wollen, dass die Betreiber der 'Wüstentribunale' vor Gericht gestellt werden. Die Regierung muss hier aktiv werden und solche Eigenmächtigkeit verbieten."

Demonstration in Kabul gegen Gewalt an Frauen und für eine ordentliche JustizBild: DW

Auch Shahgul Rezai, Abgeordnete aus der Provinz Ghasni im afghanischem Parlament, hatte sich den Demonstranten angeschlossen, um ihre Solidarität mit dem misshandelten Mädchen zu bezeugen. Sie sagte die Entsendung einer parlamentarischen Untersuchungsdelegation in den Bezirk Dschaguri zu.

Von Frauenrechten nie gehört

Amnesty International begrüßte die Entscheidung des afghanischen Parlaments, den Fall zu untersuchen. Die Organisation kritisierte allerdings die afghanische Regierung und ihre Justizbehörde dafür, in der Vergangenheit in solchen Fällen nichts unternommen zu haben. Die Straflosigkeit für Gewalt gegen Frauen sei in Afghanistan weitverbreitet, sagt Huria Musadiq von Amnesty International. In der afghanischen Verfassung hätten Männer und Frauen gleiche Rechte, aber in der Praxis würden die Frauen diskriminiert:

Musadiq zitiert einen Bericht der UN-Mission in Afghanistan (UNAMA) von 2011. Demnach haben nur die wenigsten Richter und Staatsanwälte in Afghanistan überhaupt Kenntnis von diesem Gesetz zur Gleichberechtigung. "Die Diskriminierung der Frauen reicht von der Familie über das Justizwesen bis in die Spitzen der Regierung", so die Expertin von Amnesty International.

Scharia in fortschrittlichem Umfeld

Bemerkenswert ist, dass die Auspeitschung im als fortschrittlich geltenden Bezirk Dschaguri stattfand, wo die Taliban nicht aktiv sind und auch keine Anhängerschaft haben. Die Regierung hat dort weitgehend die Kontrolle über die innere Sicherheit und Verwaltung.

Afghanistan-Expertin Huria Musadiq von Amnesty International befürchtet eine "Re-Talibanisierung" der afghanischen Justiz. "Wir beobachten im öffentlichen Leben Selbstzensur und einen Rückzug von Frauen. Ein Vorfall wie der in Dschaguri könnte ein Indiz dafür sein, dass die Menschen die Rückkehr der Taliban befürchen und sich darauf einstellen, indem sie beispielsweise ihre Beachtung der Scharia demonstrieren wollen."