Viel Gefühl wenig Information
17. Dezember 2010Nicht nur die Sendung am Donnerstagabend (16.12.2010), auch die Reise nach Afghanistan hatte bereits Tage vor der Talkshow-Ausstrahlung ein breites Medienecho ausgelöst und war von vielen Journalisten und Politikern als geschmacklose PR-Maßnahme kritisiert worden. Kerner gehe es um eine bessere TV-Quote, dem Verteidigungsminister um mediale Aufmerksamkeit und Eigenwerbung. Als wichtige "Maßnahme der Informationsarbeit" rechtfertigte das Verteidigungsministerium die Fahrt an den Hindukusch.
Besonders scharf wurde die Kritik, weil der Verteidigungsminister auch seine Frau auf die Reise nach Afghanistan mitnahm. Schon seit längerer Zeit sind die zu Guttenbergs ein Lieblingsthema vor allem der Boulevard-Medien. Der Verteidigungsminister ist laut Umfragen der beliebteste Politiker Deutschlands. Viele würden ihn gerne als zukünftigen Bundeskanzler sehen. Während die meisten Tageszeitungen und auch viele Oppositionspolitiker die Reise kritisierten, lobte die "Bild"-Zeitung die zu Guttenbergs und forderte: "Nörgler, Neider und Niederschreiber sollten einfach mal die Klappe halten!"
Wie das Leben wirklich ist
Die Sendung am Donnerstagabend war dann eher ein Magazin mit Gesprächseinschüben als eine Talkshow, unterbrochen von langen Werbepausen. Als Kulisse diente ein Zelthangar im Militärcamp Masar i Sharif mit rund 300 Soldaten als Zuschauern. Auf einem Podest sitzen auf Klappstühlen Talkmaster Johannes B. Kerner und seine Gäste. Angekündigt wurde die Spezialsendung von Kerner mit dem Anspruch: "Wir wollen vor Ort zeigen, wie das Leben der Soldaten im Krisengebiet tatsächlich ist." Allerdings wurde nicht beschrieben, welches falsche Bild die Sendung denn korrigieren wollte. Dass der Einsatz hart und lebensgefährlich ist, dürften die Deutschen längst verstanden haben, spätestens zu dem Zeitpunkt, als die ersten Bundeswehrsoldaten in Afghanistan gestorben sind.
Kerner zitierte zunächst ein Umfrageergebnis: 71 Prozent der deutschen Bevölkerung seien für den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Seine Schlussfolgerung: In Deutschland würde sich für den Einsatz niemand interessieren. Und so beteuerte denn auch der Verteidigungsminister, die wichtigste Aufgabe sei "Erklären, Erklären, Erklären", damit sich die Haltung der Deutschen ändert. Doch wirklich erklärt wurde kaum. Einspielfilme und Interviews rückten die Menschen anstelle politischer Inhalte ins Zentrum. Beschrieben wurden die Ängste von Angehörigen, die Tränen beim Abschied und die Erleichterung bei der Rückkehr der Soldaten. Auch das Schicksal eines traumatisierten Soldaten, der sich nach seiner Rückkehr im Leben nicht mehr zu Recht findet, wurde in einem kurzen Film gezeigt. Alles richtig, zu würdigen und ernst zu nehmen, doch Neues erfahren hat man bei dieser Show nicht.
Verschiedene Sichtweisen
Die Zeitschrift "Stern" spricht in ihrer Sendungskritik von "Intimisierung statt Information", das Wochenmagazin "Die Zeit" von "kübelweise Emotion und Betroffenheit". Medienexperte Jo Gröbel jedoch ist anderer Ansicht. Im Interview mit der Deutschen Welle betont er, die Sendung sei im Grunde eine gelungene Dokumentation gewesen. Außerdem dürfe man nicht vergessen, dass es hier nicht nur um die deutschen Zuschauer gehe. Die Sendung sei ein wichtiges Zeichen der Anerkennung gewesen für die deutschen Soldaten in Afghanistan.
Tatsächlich greift die Kritik an der Sendung als purer Werbeveranstaltung für Kerner wie für zu Guttenberg wohl zu kurz. Sie ist eben vieles: Eine emotionale Show, die dem Talkmaster Quote bringt und den Verteidigungsminister ins Licht der Öffentlichkeit rückt. Sie ist aber auch eine mediale Form, die mehr Menschen erreicht als nüchterne Zeitungsartikel, die Tote aufzählen und politische Hintergründe analysieren. Und die Sendung wird von den Soldaten in Afghanistan sicher als Anerkennung ihrer Arbeit verstanden. Aufklärung im Sinne der Vermittlung von Fakten und Zusammenhängen aber fand hier nicht statt. Allenfalls nimmt Afghanistan im Gefühl der Deutschen jetzt einen etwas größeren Raum ein. Die Aufklärung müsste noch kommen.
Autor: Günther Birkenstock
Redaktion: Conny Paul