Mit 19 Jahren hatte sie ihren einzigen Hit: Die düstere Ballade "Twist In My Sobriety" machte Tanita Tikaram 1988 berühmt. Wir stellen ihr neues Album vor und erinnern an musikalische Weggefährtinnen der 80er Jahre.
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Frauen, die was zu singen haben
Tanita Tikaram & Co zeigen: Es gibt Singer-Songwriterinnen, die nicht nur hübsch aussehen und ein bisschen singen können, sondern mit ihrer Musik und ihren Texten auch härtere Themen als Liebe und Party anpacken.
Tanita Tikaram
Tanitas Eltern kommen aus Südostasien und haben eine Zeitlang in Deutschland gelebt. Dort, in Münster, ist die Sängerin zur Welt gekommen. Aber eigentlich ist sie Britin. Melancholisch, mit dunkler Stimme trägt sie ihre Lieder vor. Ihr Song "Twist in my Sobriety" ist wohl einer der traurigsten Hits der 1980er Jahre. Mit ihrer Musik gehört sie damals zu den erfolgreichsten Singer-Songwriterinnen.
Bild: Imago/Leemage
Suzanne Vega
"Luka": ein Song aus der Sicht eines misshandelten Jungen. Harter Tobak, verpackt in einem vermeintlich locker-flockigen Popsong: "Ich bin Luka, ich wohne genau über dir, und wenn du mich fragst, wie es mir geht, dann sage ich, ich bin gegen den Türrahmen gelaufen." Suzanne wählte Dur-Harmonien, weil sie die klischeehafte "Kombination aus Moll und einem leidgeprüften Jungen wütend machte".
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Tracy Chapman
"Don't you know - they're talkin' about a revolution" - Merkst du es nicht? Sie reden über Revolution! Tracy Chapman verzaubert die Popwelt 1988 mit ihrem Debütalbum und Songs, die das allgegenwärtige Unrecht zwischen Arm und Reich leise in die Welt hinausschreien. Zusammen mit Tanita Tikaram und Suzanne Vega bereitet sie den Boden für die Singer-Songwriterinnen der 90er.
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Alanis Morissette
"Ironic": Wenn du 10.000 Löffel findest, aber unbedingt ein Messer brauchst... Der Song über Dinge, die nerven und grundsätzlich schiefgehen, erschien 1995 auf dem Erfolgsalbum "Jagged little Pill". Auf der selben Platte: "You Oughta Know". Eine verlassene Frau, eifersüchtig, wütend, verletzt, weggeworfen. Ihre ganze Verzweiflung packt Alanis in diesen Song. Intensiver geht's kaum.
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k.d. lang
"Constant Craving": Ein Popsong über das Tapfersein selbst in der dunkelsten Stunde. Das ist 1992 ihr einziger Hit in Deutschland, aber in den USA und ihrer Heimat Kanada sind ihre Platten preisgekrönt. Ihre Kompositionen klingen zwar gefällig, bergen aber stets harmonische Überraschungen. Dazu hat sie eine weiche Altstimme. Sie ist bekennende Lesbe.
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Melissa Etheridge
"Like the Way I do": Liebt sie dich genau so wie ich es tue? Kann sie dich genau so fesseln, berühren und reizen? Melissa beschreibt deutlich, dass lesbische Liebe nicht anders läuft als eine heterosexuelle Beziehung. Auch, wenn sie zerbricht. Melissa Etheridge nimmt kein Blatt vor den Mund und ist auch Gallionsfigur der homosexuellen Bewegung. Ihre Offenheit kommt selbst im prüden Amerika gut an.
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Shawn Colvin
"Sunny came home": Eine Hausfrau und Mutter kommt nach Hause, hat eine Riesenliste abzuarbeiten, verspürt im Innern nur eine endlose Leere und will weg. Der Song brachte Shawn 1998 zwei Grammys. Sie war Ende der 80er Backgroundsängerin von Suzanne Vega, nebenbei tourte sie schon mit eigenem Programm. Kritiker verehrten sie, die breite Masse konnte sie bis zu ihrem Erfolgssong nicht erreichen.
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Tori Amos
"Me And A Gun": Es waren ich, eine Pistole und ein Mann hinter mir. Ich sang "holy, holy" als er seine Hose aufknöpfte. In diesem Lied versucht Tori, mit ihrer Vergewaltigung fertig zu werden. Die tanzende Elfe am Klavier erregt mit ihrem Debüt "Little Earthquakes" 1992 großes Aufsehen. Den bekanntesten Song aber lieferte sie später mit "Cornflake Girl". Thema: Genitalverstümmelung bei Mädchen.
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Ina Deter
"Neue Männer braucht das Land!" - 1982 geht dieser musikalische Aufschrei durch Deutschland. Schon 1974 redet die Liedermacherin im Song "Ich habe abgetrieben" Tacheles. Ina ist stark in der Frauenbewegung engagiert, macht Liebe, Partnerschaft und Soziales zu ihren Themen. Sie teilt das Schicksal vieler Feministinnen: Sie wird für lesbisch gehalten, ist es aber nicht.
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Julia "Jule" Neigel
"Schatten an der Wand" - mit dem Lied erobert die zierliche Sängerin mit Soulröhre und Lockenmähne 1988 die deutsche Rock-Popszene. Ihre Texte: Sehr persönlich. Es geht um Freundschaft, Liebe, ums Verletzen und Verzeihen. Ihre Band entpuppt sich später als sehr unfair; nachdem sie auseinanderbricht, gibt es einen jahrelangen Streit um Urheberrechte, der Julia über Jahre das Leben zur Hölle macht.
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"More than twist in my sobriety, more than twist in my sobriety...", sang halb Europa im Herbst 1988 mit ernstem Gesicht und einem gewissen Hang zur Dramatik - Tanita Tikaram drückte mit diesem Song ihren ganzen Seelenschmerz darüber aus, nicht verstanden zu werden. Es geht um emotionale Isolation und die Leere im Kopf auf der Schwelle zum Erwachsensein. Mit dunkler Stimme, die manchmal an ihrem eigenen Leid zu zerbrechen droht, haucht die damals 19-Jährige den Song ins Mikro, dazu kommt ein Video in düsteren Sepia-Tönen, in dem Menschen mit traurigen Blicken in die Ferne schauen.
Das Album "Ancient Heart" war ein Erfolg für die junge Singer-Songwriterin - eine leise Platte, mit ein wenig Pop, ein wenig Jazz und vielen Balladen. Drei Millionen Exemplare verkaufte sie. Dann wurde es ruhiger. Ihre folgenden Platten waren keine nennenswerten Erfolge. Das hielt sie allerdings nicht davon ab weiterzumachen. Immer wieder veröffentlichte sie Alben und machte kleinere Touren und immer weiter wandte sie sich dem Blues und Jazz zu.
Tanita Tikaram Anfang der 1990erBild: Imago/Leemage
Musikalischer Neustart
Mit ihrem aktuellen Album "Closer To The People" hat sie tatsächlich wieder viel mehr Menschen erreicht: ein Publikum, das auf feines Songwriting mit jazzigen Arrangements steht - und das Tanita Tikaram nicht vergessen hat. Mit Recht. Ihre Stimme scheint wandelbarer. Insgesamt wirkt die mittlerweile 46-Jährige frischer und jünger als zu Beginn ihrer Karriere. Die Schwermut ist weg, den Melodien nimmt man ihre Fröhlichkeit tatsächlich ab. Schon der erste Song "Glass Love Train" kommt mit frühlingshafter Leichtigkeit daher, im Refrain säuselt ein Backgroundchor um Tikarams tiefe Stimme herum - das macht gute Laune.
"Wie eine Pralinenschachtel…"
Einen Ausflug in die 50er macht sie mit "The Way You Move" - das Stück spielt mit Mambo- und Cha Cha Cha-Elementen. Seltsam sperrig wirkt der Titelsong "Closer To The People", er wirkt fast wie Collage. Auch "Gris Gris Tales" klingt ungewöhnlich, fast experimentell, aber nicht unangenehm. Kein Stück auf der Platte ist wie das andere; man könnte es glatt mit den berühmten Worten aus dem Film "Forrest Gump" beschreiben: Wie eine Pralinenschachtel, man weiß nie genau, was drin ist.
Natürlich hört man auch hier wieder sehr traurige Lieder - wie den Blues "Food on my table", eine Ballade über eine frisch verlassene Frau. Aber das witzige Arrangement mit dezent eingesetztem Bläsersatz und einem eigenwilligen Schlagzeug nimmt dem Song die triefende Schwere, verleiht ihm aber gleichzeitig Nachdruck.
Das Cover der neuen CD "Closer To The People"Bild: Earmusic
Tanita Tikaram ist mit ihrem Publikum gereift
Wer Tanita Tikaram nach "Twist in my Sobriety" fast vergessen hat und gerne mal wieder was von ihr hören möchte (immerhin ist ja auch ihr Publikum seitdem fast 30 Jahre älter geworden), der sollte auf jeden Fall in diese Platte reinhören - sie ist die erste seit sieben Jahren, und sie birgt eine Menge durchaus verkraftbarer Überraschungen; das Album hat mit Paul Bryan ein erfahrener Produzent begleitet, der schon andere Musikerinnen wie etwa Aimee Mann betreut hat. Tanita Tikarams Band schließlich ist exzellent besetzt, die Musiker haben jahrzehntelange Erfahrung. Die einfallsreichen Arrangements und Tanitas melancholische Stimme bringen ihr nicht nur neue Fans (wie man zur Zeit auf ihrer Deutschlandtour sehen kann), sondern könnten auch ihre alten Fans wieder hinterm Ofen hervorlocken. Das Album "Closer To The People" ist seit dem 11. März im Handel.