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PolitikTansania

Tansania: Steinmeiers Entschuldigung ein erster Schritt

Philipp Sandner | Katharina Kroll Songea | Sudi Mnette
2. November 2023

In Tansania ist die Entschuldigung von Bundespräsident Steinmeier für Deutschlands koloniale Verbrechen positiv aufgenommen worden. Doch es wird noch mehr erwartet.

Frank-Walter Steinmeier bei Gedenkzeremonie für Opfer deutscher Kolonialherren im Memorial Park von Songea in Tansania (01.11.2023)
Bundespräsident Steinmeier und Nachfahren von Kolonialopfern in Songea (am Mittwoch)Bild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Als Deutschlands Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an den Gräbern von Chief Songea Mbano und 66 weiteren Maji-Maji-Kämpfern innehält, ist die Geschichte auf einmal ganz präsent. 117 Jahre sind vergangen, seit sie hier in Songea im Süden Tansanias von den deutschen Kolonialherren gehängt wurden, nachdem sie sich gegen die Fremdherrschaft aufgelehnt hatten.

"Ich trauere mit Ihnen um Chief Songea und um die anderen Hingerichteten", sagt Steinmeier. Und dann kommen Sätze, auf die Menschen hier lange gewartet haben: "Ich verneige mich vor den Opfern der deutschen Kolonialherrschaft. Und als deutscher Bundespräsident möchte ich um Verzeihung bitten für das, was Deutsche hier Ihren Vorfahren angetan haben."

Der Maji-Maji-Krieg war eine der brutalsten Episoden in der deutschen Kolonialgeschichte: Bis zu 300.000 Menschen starben - ausgehungert von den Kolonialtruppen. Die deutschen Soldaten verbrannten ihre Felder, um den Menschen die Lebensgrundlage zu nehmen.

Es ist ein historischer Moment: Zum ersten Mal erkennt ein deutsches Staatsoberhaupt mit so klaren Worten die Kolonialverbrechen an.

Vergebung als Anfang der Aufarbeitung

"Es ist nicht menschenwürdig, Menschen zu erhängen und zu enthaupten - und das wissen sie", sagt der tansanische Historiker Mohammed Said im DW-Interview zur Geste des Bundespräsidenten. Die Botschaft sei mit der Vergangenheit abzuschließen. "Darum ist er gekommen, uns um Vergebung zu bitten, und wir haben akzeptiert, wir haben vergeben."

Gedenkzeremonie für Opfer deutscher Kolonialherren im Memorial Park von Songea (am Mittwoch)Bild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Doch das sei nicht genug, findet Said. Er erinnert an die zahlreichen Gebeine und Schädel, die noch in deutschen Museen lagern. Sie waren einst nach Deutschland verschifft worden, um rassistische Theorien pseudowissenschaftlich zu unterfüttern. "Sie sollten die Überreste mit allen Ehren zurückgeben, damit sie gemäß der Tradition beerdigt werden können", fordert Said.

Hunderte Schädel warten auf die Rückkehr

"Das sind die Gebeine unserer Vorfahren und es ist unser Brauch, den ganzen Körper zu begraben, bevor wir die Trauerzeit beenden können", sagt in Songea John Makarius Mbano, ein direkter Nachfahr von Chief Songea Mbano: "Wir werden nicht aufhören, zu weinen, bis wir unsere Ahnen begraben können. Das ist unsere Mission!"

Auf die gleiche Weise gelangte einst auch der Schädel von Chief Songea nach Deutschland. Hinter verschlossenen Türen verhandelte Präsident Steinmeier mit den Nachfahren des Nationalhelden und versprach, alles zu tun, damit auch Songeas Schädel ausfindig gemacht und zurückgeführt werden könne.

Grundsätzlich zeigte sich Deutschland schon in der Vergangenheit zur Rückgabe der Gebeine bereit. Erst vor zwei Monaten verkündete die Humboldt-Stiftung, dass ein Schädel durch genetischen Abgleich lebenden Nachfahren zugeordnet werden konnte - eine kleine Sensation, Stiftungspräsident Hermann Parzinger sprach von einer "Nadel im Heuhaufen". Doch der Prozess ist langwierig und die Datenmengen zu groß, um den Vorgang unbegrenzt zu wiederholen.

Chief Mkwawa (Archiv): Identifizierung von Knochen eines seiner BeraterBild: Carola Frentzen/dpa/picture alliance

Steinmeiers Entschuldigung jedenfalls sorgte bei Songeas Nachfahren für Aufatmen. "Es ist ein Moment der Heilung für unsere Gemeinschaft: für die Familie von Mbano und die gesamte Gemeinschaft von Songea", sagt Makarius Mbano. "Wir begrüßen die Entschuldigung."

Rufe nach Entschädigung für Tansania

Auf den Social-Media-Seiten der DW gab es Lob von Usern für die Geste des Bundespräsidenten. "Sich für Dinge zu entschuldigen, die falsch waren, ist Weisheit", kommentierte Isaya Sambo Mpenda Amani einen Facebook-Eintrag des Kisuaheli-Angebots der DW zum Thema: "Große Klasse, Steinmeier!" Auch Hassan Mlacha nannte den Schritt eine gute Entscheidung - fügte aber hinzu: "Wir Tansanier sollten uns nicht zu sehr an den Schädeln festhalten. Lasst uns mit Deutschland verhandeln, damit sie uns helfen, unser Elektrizitätsproblem zu lösen!"

Historische Zeichnung von deutschen Kolonialsoldaten (1894)Bild: Heinz-Dieter Falkenstein/Zoonar/IMAGO

Weitaus kritischer äußerte sich User Jafety Mandera: Die Kolonialisierung des afrikanischen Kontinents halte an - wenn auch "auf ausgefeiltere Weise". Den deutschen Staatsbesuch kommentierte er mit den Worten: "Lasst sie Entschädigung zahlen für die Billionen, die sie aus Tansania herausgeholt haben. Eigentlich sollten sie es sein, die uns Geld schulden."

Schleppende Aufarbeitung in Kenia

In den Augen von Historiker Mohammed Said sind das berechtigte Forderungen: "Wenn Sie jemand geschadet haben, muss die Person entschädigt werden", so Said. Das sei auf der ganzen Welt so. Eine Zusage gab es dazu vom Bundespräsidenten auf seinem dreitägigen Staatsbesuch nicht. Doch immerhin einen Pfad in die Zukunft: "Ich möchte Ihnen versichern, dass wir Deutsche mit Ihnen nach Antworten suchen werden auf die offenen Fragen, die Ihnen keine Ruhe lassen", sagte Frank-Walter Steinmeier.

Anti-Charles-Demo von früheren Freiheitskämpfern in Nairobi (am Montag) "Ein brutaler Monarch"Bild: Luis Tato/AFP

Auf ein derart klares Zugeständnis zur Aufarbeitung warten die Menschen in Tansanias Nachbarland Kenia bisher vergeblich - auch beim Besuch vom britischen König Charles III., der heute zu Ende geht. In den 1950er-Jahren hatten Freiheitskämpfer, bekannt als Mau-Mau, einen Guerilla-Krieg gegen die britischen Besatzer geführt. Das Vorgehen war auf beiden Seiten von Brutalität geprägt. Eine Entschuldigung von Großbritannien hat es bis heute nicht gegeben.

Dies könne an den anderen Vorzeichen des Konflikts liegen, sagt Historiker Said: "Die Mau-Mau haben britische Siedler getötet. Es war ein blutiger Krieg. Vielleicht fühlen auch die Briten sich immer noch verletzt." Der unterschiedliche Umgang mit dem kolonialen Erbe ist für Mohammed Said auch ein Appell für einen entschlossenen Umgang mit der eigenen Geschichte. "Wir haben eine Geschichte mit diesen Kolonialherren, die wir kennen und unseren Kindern weitererzählen müssen", so der Historiker. "Sie sollte nicht vernachlässigt werden." Aktuell beobachte er aber genau dies: So bleibe Kenias Umgang mit seinen Kolonialhelden ambivalent, und auch in Tansania warteten viele Figuren der Kolonialgeschichte weiter auf eine angemessene Ehrung.

Adaption aus dem Englischen.

Bitte um Verzeihung – Bundespräsident in Tansania

04:59

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