Tansanias hartes Durchgreifen: Zerreißt es Ostafrika?
6. Juni 2025
Ende Mai sorgte eine ungewöhnliche Bitte des kenianischen Präsidenten für Diskussion: Am "nationalen Gebetstag" bat William Ruto in Anwesenheit einer Delegation tansanischer Abgeordneter: "Unsere Nachbarn aus Tansania, wenn wir euch in irgendeiner Weise Unrecht getan haben, vergebt uns."
Die Bitte um Vergebung löste in Kenia unterschiedliche Reaktionen aus. Manche fanden sie angebracht, viele andere empörend. Der Grund: Keine Woche zuvor war der bekannte kenianische Fotojournalist und Aktivist Boniface Mwangi sichtbar geschwächt nach Kenia zurückgekehrt - nach fünf Tagen Haft in Tansania. Mwangi und die ugandische Aktivistin Agather Atuhaire waren zuvor nach Tansania gereist, um den inhaftierten Oppositionsführer Tundu Lissu zu unterstützen, der wegen des Vorwurfs des Hochverrats vor Gericht steht. Lissu hatte mit seiner Partei für Demokratie und Entwicklung (Chadema) gefordert, die tansanische Verfassung noch vor den für Oktober angesetzten Wahlen zu reformieren.
Brutales Vorgehen oder Schutz der "politischen Kultur"?
Anfang der Woche traten Mwangi und Atuhaire vor die Presse und erhoben schwere Vorwürfe. Sie seien in ihrem Hotel verhaftet und später brutal gefoltert und vergewaltigt worden. Mwangi schilderte zahlreiche Details, die er auch auf der Social-Media-Plattform X veröffentlichte. "Wir wurden schlimmer behandelt als Hunde", sagte der Aktivist nach seiner Rückkehr in Nairobi.
Der tansanische Regierungssprecher Gerson Msigwa bestätigt, dass Mwangi und Atuhaire des Landes verwiesen wurden. Doch alle anderen Vorwürfe streitet er ab. "Haben sie (Mwangi und Atuhaire) Beweise für diese Grausamkeiten? Sie können nicht einfach anfangen, das Land mit Behauptungen zu beschmutzen, für die sie keine Beweise haben. Sie sind ins Land eingedrungen und haben die Ordnung verletzt. In diesem Land gibt es Gesetze und Regeln." Stattdessen greift er die Aktivisten an: "Niemand sollte hierherkommen und versuchen, Tansania die politische Kultur seines Landes aufzuzwingen."
Stagnierende Wirtschaft und Angst vor "Gen-Z-Protesten"
Für den kenianischen Ökonomen James Shikwati ist das Motiv für das Handeln der tansanischen Regierung klar: "Was sich hier zeigt, ist die Angst vor dem, was sich in Kenia im Juni letzten Jahres ereignete, als junge Menschen demonstrierten und bis zum Parlamentsgebäude vordringen konnten", so Shikwati, der die Denkfabrik Inter Region Economic Network (IREN Kenya) leitet. Mit den oft als "Gen-Z-Proteste" benannten Demonstrationen reagierten junge Kenianer auf einen Gesetzentwurf, der die Bevölkerung mit hohen Steuern belastet hätte. "Ich denke, das hat unsere Nachbarn sehr dünnhäutig gemacht gegenüber Personen, die die Fähigkeit besitzen, Menschen zu mobilisieren."
Das alles spiele sich vor dem Hintergrund einer schwierigen Wirtschaftslage ab, so Shikwati im DW-Interview: "Einkommen und Arbeitsmöglichkeiten schrumpfen, die globale Dynamik verändert sich, die globale Wirtschaft wird militarisiert. Das heißt, die gewohnten Handelsmuster greifen nicht mehr und das wenige, was diese Länder an Einnahmen hatten, verschwindet über Nacht." Internationale NGOs ziehen sich zurück, und die durch US-Präsident Donald Trump veranlassten USAID-Einsparungen treffen Ostafrika hart. Zudem bekomme die Region die Wirtschaftseinbußen des Exportgiganten Kenia deutlich zu spüren, sagte der Experte.
Martha Karua: "Menschenrechte haben keine Grenzen"
Was bedeutet die aufgeheizte Stimmung in Tansania für die Ostafrikanische Gemeinschaft, die 2000 von Kenia, Uganda und Tansania gegründet wurde? Eigentlich dürfen Bürger mit ihrem nationalen Pass frei zwischen den Mitgliedsstaaten reisen, eine Regelung, die bis in die 1960er Jahre zurückreicht. Viele in der Region nutzen diese Freiheit, um in Nachbarländern zu arbeiten oder zu studieren. Doch inzwischen wächst vor allem unter Kenianern die Angst, nach Tansania zu reisen.
Tatsächlich waren auch einige Aktivisten und Menschenrechtler, die Tundu Lissu unterstützen wollten, an der Einreise gehindert worden - unter ihnen Kenias frühere Justizministerin und Anwältin Martha Karua. Sie steht auch im Kontakt mit Ugandas inhaftiertem Oppositionspolitiker Kizza Besigye und setzte sich erfolgreich für bessere Haftbedingungen für ihn ein. Karua äußerte sich gegenüber der DW zu beiden Fällen und erklärte: "Menschenrechte haben keine Grenzen."
Unter den Regierenden herrscht Harmonie
Auf Regierungsebene erwartet Shikwati keine größeren Verstimmungen. Die Äußerungen Rutos am nationalen Gebetstag senden für ihn eine klare Botschaft: "Man konnte sehen, wie die kenianische Regierung versucht, sich zu distanzieren und zu sagen: Seht her, wir gehören nicht zu den Aktivisten." Er erwartet, dass hinter verschlossenen Türen nach Lösungen für den Umgang mit den grenzüberschreitenden Protesten gesucht wird.
Für Shikwati zeigen die Ereignisse, wie wenig die bisherigen Vorstellungen von der Wirtschaftsgemeinschaft der Realität entsprechen. Ostafrika habe zwar auf gute Zusammenarbeit der Regierungen gesetzt, aber man habe nicht bedacht, dass auch die Opposition die Gemeinschaft nutzen könnte, um ihre eigenen Ziele voranzutreiben.
Ungeachtet aller Unterstützung von außen sieht sich Präsidentin Samia Suluhu Hassan auch innerhalb Tansanias großem Gegenwind ausgesetzt. Denn die Vorstellungen, was Tansanias "politische Kultur" ausmacht, weichen teils stark von der Regierungsdarstellung ab. So formulierte der bekannte Bischof einer Erweckungskirche, Josephat Gwajima, selbst Parteimitglied der Regierungspartei Chama Cha Mapinduzi (CCM), schon Ende Mai: "Ich möchte euch die Wahrheit sagen: Entführungen sind nicht unsere tansanische Kultur." Menschen sollten nur auf Grundlage des Gesetzes verhaftet werden, betonte er.
Gwajimas Kirche wurde vergangenen Montag geschlossen. Die Registerstelle für Zivile Gesellschaften in Tansania begründete die Entscheidung damit, dass die Kirche gegen das Gesetz verstoßen habe, weil sie in einer Weise gepredigt habe, die die Bürger gegen die Regierung aufbringe. Vom Bischof selbst fehlt jetzt jede Spur.
Mitarbeit: Thelma Mwadzaya (Nairobi), Florence Majani