Tansanias Oppositionsführer von Todesstrafe bedroht
10. Mai 2025
Kürzlich war Tundu Lissu Thema im EU-Parlament: Per Handzeichen forderten die Abgeordneten, Lissu "unverzüglich und bedingungslos freizulassen". Der Vorsitzende von Tansanias bedeutendster Oppositionspartei Chadema (Partei für Demokratie und Entwicklung) war vor einem Monat nach einer Wahlveranstaltung im Südwesten des Landes festgenommen worden. Er steht unter Anklage des Hochverrats. Ihm droht die Todesstrafe.
Dem populären Oppositionsführer wird vorgeworfen, die Tansanier zur Blockade der im Oktober geplanten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen aufgefordert zu haben. Auch habe er behauptet, Kandidaten seiner Partei seien schon bei den Lokalwahlen 2024 auf Geheiß von Präsidentin Samia Suluhu Hassan ausgeschlossen worden. Auch hätten Polizisten Wahlzettel manipuliert.
Nun verlangten die Parlamentarier in Straßburg von Tansania, "die willkürlichen Festnahmen, die Angriffe und die Schikanen gegen Mitglieder der Opposition, Menschenrechtsverteidiger und Organisationen der Zivilgesellschaft einzustellen".
Partei von Wahl ausgeschlossen
Vor Kurzem verkündete ein Regierungsmitarbeiter, die Chadema-Partei werde von den nächsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen ausgeschlossen. Der Grund: Sie weigere sich, einen "Verhaltenskodex" (code of conduct) mit Blick auf die Wahl zu unterzeichnen. Die Partei hatte Nachbesserungen an dem Kodex gefordert.
Hochverrat werde in der ostafrikanischen Nation zunehmend politisiert, sagt Fulgence Massawe, ein Rechtsexperte in Daressalam. Es sei "ernst für Tansania als Teil des Commonwealth", so Massawe: "Deshalb richten sich die Vorwürfe solcher Verbrechen oft gegen Politiker und politische Äußerungen von Oppositionellen."
Lissu signalisierte bereits, dass er gegen die Anklage kämpfen wolle - aber nur vor einem öffentlichen Gericht. Er weigerte sich, an einer Anhörung teilzunehmen, die im April virtuell per Videolink aus dem Gefängnis durchgeführt werden sollte.
"Es ist das Recht unseres Mandanten, vor Gericht gestellt zu werden", betonte Rugemeleza Nshala, Leiter von Lissus Rechtsteam, vergangene Woche. "In einem Strafverfahren kann man Angeklagte nicht in ihrem Haus oder anderswo vor Gericht stellen", so Nshala. "Da er das Gesetz kennt, hat sich unser Mandant geweigert, online teilzunehmen."
Sein Protest war erfolgreich: Das Gericht hat jetzt angeordnet, dass Lissus Fall am 19. Mai in der Öffentlichkeit gehört wird und er sich vor Gericht verteidigen kann.
Opposition fordert Reformen
Mit der Kampagne "No Reforms, No Election" setzte sich die Chadema für grundlegende Reformen des Wahlsystems in Tansania ein, weil dieses bisher die Regierungspartei begünstige.
Chadema-Chef Lissu hatte einen Anschlag 2017 nur knapp überlebt und war erst 2023 aus dem Exil in Belgien zurückgekehrt. 2024 gab es mehrere Vorfälle, bei denen Mitglieder von Oppositionsparteien verschwanden und später tot aufgefunden wurden, wie Medienagenturen berichteten.
Eigentlich hatte es vor einem Jahr ein Aufatmen in der tansanischen Opposition gegeben, nachdem die erste große Demonstration in der Wirtschaftsmetropole Daressalam seit Jahren ohne Probleme stattfinden konnte.
Präsident John Magufuli, der Tansania bis zu seinem Tod 2021 zunehmend autoritär regierte, hatte die Opposition weitgehend mundtot gemacht. Unter seiner Nachfolgerin Samia Suluhu Hassan weitete sich zunächst der Spielraum für politische Aktivitäten, 2023 wurde das von Magufuli eingeführte Versammlungsverbot aufgehoben.
Doch auch die aktuelle Regierung behauptet, die Ermutigung der Bürger, die Wahl zu blockieren, komme einem Akt der Rebellion gleich. Wie Lissu wurde auch John Heche, der Chadema-Vizevorsitzende, bereits mehrfach verhaftet, allerdings nicht angeklagt.
Heche besteht darauf, dass genau diese Rebellion das Mittel des Protests sei, wozu die Gründungsfigur Tansanias, Julius Nyerere, die Jugend ermutigt habe: "Nyerere sagte, dass tansanische Jugendliche gegen ein unterdrückendes System rebellieren sollten", so Heche. "Was ist das Problem mit der Rebellion gegen Menschen, die Wahlen stehlen, und gegen Wahlen, die gestohlen werden?"
Der langjährige Anwalt und Journalist Jenerali Ulimwengu bestätigt Heches Ansicht. Tansania - einst bekannt als Insel des Friedens inmitten des politischen Chaos seiner Nachbarn - habe lange versucht, eine Demokratie aufzubauen, so Ulimwengu. Jetzt allerdings habe es Schritte unternommen, um die zuvor erreichten kleinen Fortschritte umzukehren.
Keine "echten Wahlen"
Ulimwengu deutete an, dass die Regierung sich gegen "echte Wahlen" entschieden habe und stattdessen wohl überhöhte Prozentzahlen für die Wahlsieger verkünden werde. Laut Ulimwengu gab es bereits 2020 keine "echten Wahlen" in Tansania.
Die Internationale Demokratische Union (IDU), die sich für politische Freiheit, persönliche Freiheit, Chancengleichheit und wirtschaftliche Entwicklung einsetzt, gab kürzlich eine Erklärung ab. Sie zeigte sich darin "ernsthaft besorgt über die fortgesetzte Inhaftierung und die eskalierende politische Verfolgung" von Lissu, insbesondere "nach seiner Verhaftung im Zusammenhang mit einer friedlichen politischen Kundgebung in Mbinga".
Laut IDU ist "die Forderung nach Wahlreformen und freien Wahlen kein Grundverrat - sie ist das eigentliche Wesen der Demokratie". Die Union forderte Lissus sofortige und bedingungslose Freilassung und die Wiedereinführung von Chademas vollen politischen Beteiligungsrechten.
Eine ähnliche Aussage machte die Internationale Juristenkommission (ICJ). Sie forderte die tansanische Regierung auf, die Untergrabung der Rechtsstaatlichkeit zu beenden. Auch "die Rechte der politischen Parteien zu respektieren, sich für ihre Anliegen zu organisieren und das Recht der Menschen in Tansania zu respektieren, sich frei und friedlich zu versammeln, wie es das nationale, regionale und internationale Recht bietet."
Die ICJ forderte Präsidentin Samia Suluhu Hassan auf, "Führung zu demonstrieren und die Verpflichtungen zu erneuern, die sie bei ihrer Amtseinführung eingegangen ist, um das Land zurück in Richtung demokratischer Fortschritte zu führen".
Menschenrechtsaktivisten werfen Suluhus Regierung politisches Taktieren gegen die Opposition vor. Amnesty International verurteilte Lissus Verhaftung als eine "Kampagne der Repression" durch die Regierung und kritisierte die "schwerfällige Taktik, um Kritiker zum Schweigen zu bringen". Tansania weist alle Anschuldigungen zurück.
Aus dem Englischen adaptiert von Martina Schwikowski.