Tanztheater Pina Bausch: Heftiger Streit um Intendantin
Petra Lambeck
9. Juli 2018
Nach nur einer Spielzeit fordert die Geschäftsführung die Absetzung der Intendantin des berühmten Tanztheaters. Die Tänzer sind entsetzt und bangen um die Zukunft der Compagnie. Diese Woche soll eine Entscheidung fallen.
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Internationale Weltklasse: Das Tanztheater von Pina Bausch
Als Choreografin hat Tänzerin Pina Bausch die Tanzwelt revolutioniert. Ihre berühmte Tanz-Compagnie startete mit der künstlerischen Leiterin Adolphe Binder nochmals einen Neuanfang.
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Das Erbe von Pina Bausch
Die Tanz-Expertin Adolphe Binder hat im Mai 2017 die künstlerische Leitung des berühmten Ensembles am Wuppertaler Tanztheater übernommen. Nach Stationen an der Deutschen Oper und der Komischen Oper in Berlin leitete sie fünf Jahre lang die Göteborger Danskompani. Ihren Antritt als neue Intendantin hat sie mit einem klaren Neuanfang der Tanz-Compagnie verbunden, das "neuen Sauerstoff" verdiene.
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Revolution des Tanztheaters
In der Anfangszeit von Pina Bausch hätte keiner gedacht, dass ausgerechnet das Tanztheater von Wuppertal, einer nordrhein-westfälischen Provinzstadt, eines Tages weltweit Erfolg haben würde. Die Tänzerin und begabte Choreographin Bausch entwickelte etwas völlig Neues, was die Tanzszene so noch nirgendwo gesehen hatte. Ihre Kompanie entfachte eine Revolution der Bewegung, die Tanz neu definierte.
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Radikaler Ausdruckstanz
Pina Bausch engagierte nur Tänzer, die in ihren Augen außergewöhnlich waren. 1973 gründete sie das Tanztheater Wuppertal, das bis heute weltweit für seinen radikalen Ausdruckstanz bekannt ist. Nur wenige Tänzer können Bauschs Stücke tanzen. Ihre Choreographien waren immer speziell auf die Tänzerpersönlichkeiten der Wuppertaler Compagnie zugeschnitten.
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Tänzerischer Alptraum
Die radikalen Stücke der jungen Pina Bausch gingen den Zuschauern in den 1970er Jahren an die Nerven und gegen den Strich. Ihre experimentellen, oft sperrigen Tanzvisionen sprengten damals alle Konventionen. Während der ersten Vorstellungen im Wuppertaler Opernhaus verließen Zuschauer empört und unter lautstarkem Protest den Raum. Sogar Beschwerdebriefe und Drohungen soll es gegeben haben.
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Tanz neu erfinden
Die Tänzer bei Pina Bausch tanzten nicht einfach nur: Sie rannten, sprachen, sangen, weinten oder lachten, während die Choreographie ihnen höchste Konzentration abverlangte. Sie intepretierten Tanz völlig neu. Tänzer und Choreographen in der ganzen Welt fragten sich: Wo haben die Tänzer gelernt, sich so zu bewegen? Sind sie nun Sänger, Schauspieler oder Tänzer? Das war neu.
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Keine Solisten
Die Stücke von Pina Bausch (im Bild) lebten von ihrer Ehrlichkeit und getanzten Innerlichkeit. Das erreichte die Choreographin durch eine intime Zusammenarbeit mit ihren Tänzern. In ihrer Kompagnie gab es keine herausragenden Solisten, keine Hierarchien. Alle Tänzer des Ensembles waren gleichberechtigt und sollten mit den Choreographen auch eigene Ideen in den Tanz und die Inszenierung einbringen.
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Zusammengeschweißtes Team
Wer in Bauschs Tanztruppe eintrat, blieb lange – manchmal für immer. Die Tänzer des Wuppertaler Tanztheaters entwickelten sich bald zu einer eingeschworenen Compagnie, die bis heute weltweit einzigartig ist. Alle sind unkündbar. Auch nach Pina Bauschs Tod 2009 tanzten sie die Stücke der legendären Choreographin weiter. Inzwischen gehören dem Tanztheater 38 Tänzer verschiedener Altersgruppen an.
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Das Repertoire des Ensembles
Nach Pina Bauschs Tod übernahmen der Tänzer Dominique Mercy und der Theatermacher Robert Sturm die Künstlerische Leitung. Mercy ist eines der ältesten Mitglieder des Tanzensembles. Sein Ziel war es, das Repertoire von Pina Bausch so lange wie möglich zu erhalten. In 36 Jahren hat Bausch 46 Stücke geschaffen. Einige davon sind zu Klassikern geworden. Im Bild tanzt Mercy in Wim Wenders Film "Pina".
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Oscarverdächtige Tanzgeschichte
Regisseur Wim Wenders hat mit seinem Dokumentarfilm "Pina" einen filmischen Nachruf auf Pina Bausch gedreht - und eine Hommage an ihre Heimatstadt Wuppertal. Eine Stadt im Westen Deutschlands, die neben Pina Bauschs Tanzcompagnie vor allem für ihre Schwebebahn bekannt ist. Der 3D-Film mit dem Wuppertaler Tanztheater wurde 2012 für einen Oscar in der Kategorie "Bester Dokumentarfilm" nominiert.
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Copyright Pina Bausch
Die Stücke von Pina Bausch sind urheberrechtlich geschützt und dürfen nur vom Wuppertaler Tanztheater aufgeführt werden. Früher waren sie deshalb monatelang mit Gastspielen in der Welt unterwegs. Den Tänzern stehen 40 Werke zur Auswahl. Dazu gehört das berühmte Stück "Kontakthof" (im Bild). Bis 2013 wurden die Klassiker von Pina Bausch nur so gezeigt, wie es vertraglich vereinbart worden war.
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Behutsamer Kurswechsel
2013 übernahm der Tänzer und Tanzprofessor Lutz Förster die Künstlerische Leitung des berühmten Tanztheaters. Förster war langjähriges Ensemblemitglied bei Pina Bausch und später Professor an der Essener Folkwang Universität der Künste. In seiner Leitungszeit visierte er eine behutsame Neuorientierung der renommierten Tanzcompagnie an. Seit Mai 2017 ist Adolphe Binder künstlerische Leiterin.
Bild: privat
Pina Bauschs Erbe
In den 1970er Jahren revolutionierte sie von Wuppertal aus die Tanzwelt: 2015 wäre die große Choreographin Pina Bausch 75 Jahre alt geworden und hätte sicher nicht mit dem Tanz aufgehört, wenn sie nicht erkrankt wäre. Ihr international bedeutsames Wirken wurde im Jahr 2015 mit einer Sonderbriefmarke geehrt - und ist damit Teil der Deutschen (Kultur)-Geschichte.
Für die Tänzer war es ein Schock. Sie befinden sich derzeit auf Gastspielreise, während die Nachrichten in Wuppertal sich überschlagen. Mitte letzter Woche berichteten die lokalen Zeitungen, dass der Beirat des Tanztheaters Pina Bausch über die Absetzung der Intendantin Adolphe Binder diskutiert hätte. Die Entscheidung wurde letztendlich vertagt, die Beziehung zwischen Binder und dem Geschäftsführer Dirk Hesse aber gilt als zerrüttet.
"Es ist schrecklich traurig", sagte die spanische Tänzerin Nazareth Panadero, die seit fast 40 Jahren Mitglied der Pina Bausch Kompanie ist, am Sonntag (8.7.) im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Sie sei sehr betroffen. Wenn Binder gehen müsse, sei das eine "schreckliche Kastration".
Das Erbe bewahren, ohne "ein Museum zu werden"
Adolphe Binder hat ihren Posten als Intendantin und künstlerische Leiterin des weltberühmten Tanztheaters erst im Mai 2017 angetreten. Ihr Vertrag läuft offiziell noch bis 2022. Unter ihrer Leitung studierte das 36-köpfige Ensemble erstmals abendfüllende Arbeiten anderer Choreographen ein.
Bis dahin hatte die Compagnie, die 1973 gegründet wurde, ausschließlich Werke von Pina Bausch gezeigt. Nach ihrem Tod im Jahr 2009 führten die Tänzer ihre Arbeit fort und zeigten die Stücke der berühmten Choreographin weiterhin in der ganzen Welt. Die neuen Inszenierungen sollen das Repertoire der Kompanie ergänzen. Und das sei auch gut so, meint Nazareth Panadero. Schließlich wolle man kein Museum werden. Man müsse neue Kreationen schaffen und zugleich das Erbe von Pina Bausch bewahren. Sie könne nicht für die ganze Compagnie sprechen, aber sie selbst hoffe sehr, dass Adolphe Binder bleibe.
Streit um den neuen Spielplan
Einer der Vorwürfe, die gegen Adolphe Binder erhoben werden, ist, dass sie es noch nicht geschafft habe, einen Spielplan für die kommende Saison 2018/2019 vorzulegen. Ob das nun daran liegt, dass ihr Entwurf mangelhaft war oder schlicht an den Meinungsverschiedenheiten zwischen ihr und dem Geschäftsführer Dirk Hesse, lässt sich von außen nur schwer beurteilen. In jedem Fall gab es wohl einen Spielplan, bestätigt auch Nazareth Panadero, "nur war der von der Geschäftsführung nicht akzeptiert".
Das Thema beschäftigt inzwischen auch die Politiker in Berlin. Der Bund unterstützt das für 2022 geplante "Pina-Bausch-Zentrum". In einer Pressemitteilung erklärte Helge Lindh, SPD-Bundestagsabgeordneter und Mitglied des Ausschusses für Kultur und Medien, dass es falsch sei, einen solchen Konflikt in der Öffentlichkeit auszutragen. Die gegen die Intendantin erhobenen Vorwürfe müssten von den zuständigen Gremien beurteilt und aufgeklärt werden. "Weder das Tanztheater, noch das geplante Zentrum oder der Name 'Pina Bausch' dürfen in diesem Prozess Schaden nehmen", so Lindh.
Der Beirat der Tanz-Compagnie soll diese Woche erneut tagen. Für die Tänzer heißt es indes erst einmal weitermachen. Noch bis zum 12. Juli treten sie mit dem Stück "Nefés" im Théâtre des Champs-Élysées in Paris auf.