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Politik

Wie gefährlich sind Elektroschockpistolen?

Nina Werkhäuser | Naomi Conrad
5. August 2019

Immer mehr deutsche Polizisten nutzen Elektroschockpistolen. Eigentlich sollen sie die Getroffenen nur kurz außer Gefecht setzen. Doch Todesfälle nach dem Taser-Beschuss lassen Zweifel aufkommen. Eine DW-Recherche.

Symbolbild | Elektroschock-Pistolen | Taser
Bild: picture-alliance/dpa/A. Arnold

"Es sind fünf schreckliche Sekunden", beschreibt ein Berliner Polizist den Moment, als ihn der Schuss aus einer Elektroschockpistole traf. Zwei kleine Pfeilelektroden bohren sich in die Haut oder Kleidung des Beschossenen, dann fließt Strom mit einer Spannung von 50.000 Volt. "Es tut weh wie ein Krampf", erinnert sich der Hauptkommissar, der sich zu Übungszwecken beschießen ließ. Durch den Stromschlag verlieren die Getroffenen die Kontrolle über ihre Muskeln und stürzen zu Boden.

Dieses Erlebnis vergisst auch Thomas Schilken nicht mehr, Polizeitrainer aus Rheinland-Pfalz. Er ließ sich ebenfalls einen Stromstoß mit dem Taser verpassen: "Auf einer Schmerzskala von eins bis zehn ist das eine Neun, vielleicht sogar eine Zehn", erzählt er der Deutschen Welle. Nach wenigen Sekunden lässt der Schmerz nach und der Getroffene kann wieder aufstehen. Trotzdem wolle er das nicht noch einmal erleben, betont der Polizist. "Ich war bedient."

Taser für die Streifenpolizei

Die Selbstversuche der beiden Polizisten haben einen Grund: In Deutschland werden immer mehr Streifenpolizisten mit Elektroschockpistolen ausgerüstet. Sie tragen die gelb-schwarzen Geräte am Gürtel, wenn sie durch die Straßen patrouillieren oder zu einem Einsatz gerufen werden. Die Elektroschocker, die pro Stück etwa 1400 Euro kosten, werden nach dem US-amerikanischen Erfinder und Hersteller auch "Taser" genannt. Inzwischen hat sich die Firma, die unangefochtener Weltmarktführer ist, in "Axon" umbenannt. Axon unterhält ein Büro in Frankfurt am Main und wirbt bei der deutschen Polizei offensiv für die Anschaffung von Tasern: Sie könnten Leben retten, da ein kurzer Stromstoß viel harmloser sei als ein Schuss mit der Waffe oder ein Hieb mit dem Schlagstock.    

Das hat einige Länder-Innenminister überzeugt: Als erste Bundesländer haben Hessen und Rheinland-Pfalz Elektroschockpistolen bei der Streifenpolizei eingeführt, in Bremen und in der Hauptstadt Berlin laufen Testphasen. Nach Ansicht der Befürworter schließt der Taser eine Lücke: Wenn das Pfefferspray nicht weiterhilft, der Einsatz einer Schusswaffe aber zu riskant ist, dann kann die Elektroschockpistole gezogen werden. Gerade bei Menschen, die durch Alkohol, Drogen oder psychische Probleme "im Ausnahmezustand" seien, sagte der Sprecher des rheinland-pfälzischen Innenministeriums der DW, könne der Taser das Mittel der Wahl sein.        

"Deeskalierende Wirkung"

Oft genüge schon das Zeigen des Tasers, berichtet ein Polizist der Deutschen Welle, um die Lage zu beruhigen. "Viele Leute haben Youtube-Videos von Taser-Einsätzen gesehen und ziehen es vor, das nicht selbst zu erleben." Für die Polizisten geht es auch um Selbstschutz: Werden sie bedroht, können sie sich mit dem Taser Respekt verschaffen oder den Angreifer abwehren. Einsatzkräfte loben daher die "deeskalierende Wirkung" des Tasers. Tatsächlich zeigt die Einsatzpraxis, dass deutsche Streifenpolizisten den Schuss aus der Elektroschockpistole wesentlich häufiger androhen als anwenden. 

Nach Taser-Einsatz kollabiert

Doch ganz so ungefährlich, wie manche Befürworter behaupten, ist der Einsatz der Taser nicht. Das zeigt ein dramatischer Fall, der sich Mitte Januar in der Kleinstadt Pirmasens im Südwesten Deutschlands abspielte: Ein psychisch kranker Mann sollte aus seiner Wohnung ins Krankenhaus gebracht werden. Weil er sich mit Händen und Füßen dagegen wehrte, versetzte ein Polizist ihm einen Stromstoß mit einem Taser. Davon erholte der 56-Jährige sich nicht wieder: Im Polizeiwagen kollabierte er und starb kurz darauf in der Notaufnahme des Krankenhauses.

Spezialkräfte der Frankfurter Polizei trainieren den Einsatz des Tasers - zu Übungszwecken allerdings ohne StromBild: picture-alliance/dpa/Bildfunk/B. Roessler

Ungeklärte Fragen zu vier Todesfällen

Die Staatsanwaltschaft untersucht noch, ob ein Zusammenhang zwischen dem Taser-Einsatz und dem plötzlichen Tod des Mannes besteht. Die Ermittlungen seien "komplex und äußerst vielschichtig", teilte die zuständige Staatsanwaltschaft der Deutschen Welle mit. Der tragische Fall in Pirmasens ist nicht der einzige, der Fragen aufwirft: Im Mai starb im Raum Frankfurt ein Mann, nachdem er von einem Polizisten "getasert" worden war. Zuvor hatte er sich aggressiv gegen die Einnahme dringend notwendiger Medikamente gewehrt.

Hinzu kommen zwei weitere Todesfälle, in denen Taser-Schüsse durch Sondereinsatzkommandos der Polizei eine Rolle gespielt haben könnten, einer in Bayern, einer in Hessen. Für die Spezialkräfte der Polizei gehört der Taser schon länger zur Grundausstattung. Oppositionspolitiker wie der hessische Linken-Abgeordnete Hermann Schaus fordern nun, auf den Einsatz dieser "gefährlichen Waffen" solange zu verzichten, bis "zweifelsfrei geklärt ist, ob die Todesfälle auf Taser-Einsätze zurückgehen".

"Tod durch Stürze und Feuer"

Auch der Hersteller räumt ein, dass der Einsatz der Taser nicht frei von Risiken ist. Seit der Erfindung des Geräts vor einem Vierteljahrhundert habe es "26 Todesfälle durch Stürze und Feuer" gegeben, erklärte Axon der Deutschen Welle in einer schriftlichen Stellungnahme. Damit meint die Firma Fälle, in denen ein Sturz nach dem Stromschlag tödliche Folgen hatte oder die Kleidung des Getroffenen durch den Taser-Beschuss entzündet wurde. Nach der Lesart von Axon ist also kein einziger Todesfall auf die Folgen des Elektroschocks für das Herz-Kreislauf-System des Opfers zurückzuführen.      

Ein ganz anderes Bild ergeben die Zahlen, die die Nachrichtenagentur Reuters zusammengetragen hat: Demnach starben in den Vereinigten Staaten in den vergangenen 20 Jahren mehr als 1000 Menschen nach einem Taser-Beschuss durch die Polizei. In mindestens 153 Fällen war der Taser die alleinige Todesursache oder trug nachweislich zum Tod mit bei, wie Obduktionsberichte und Prozessakten belegen.

In vielen Fällen konnte die Todesursache jedoch nicht eindeutig geklärt werden. Nach den Recherchen von Reuters liegt das auch daran, dass der Hersteller in den USA gezielt Einfluss auf medizinische Gutachten nehme. Axon pflege Beziehungen zu jenen Fachleuten, "die entscheiden, ob ein Taser-Schock an einem tödlichen Unfall schuld ist oder nicht", so der Befund der Nachrichtenagentur.

Recherche von Reuters zu Todesfällen nach Taser-Einsätzen in den USA

Unter Umständen lebensbedrohlich

Wie gefährlich ist also ein plötzlicher starker Stromstoß für die Gesundheit, besonders für das Herz? Das hänge stark von der körperlichen Verfassung des Getroffenen ab, sagt der Kardiologe Thomas Deneke, Chefarzt an einer Herzklinik in Bayern. "Bei einem gesunden Menschen sollten da keine relevanten Probleme auftreten." Wenn aber jemand schon herzkrank sei, bestimmte Medikamente oder Drogen nehme, sei Vorsicht geboten: Dann könne ein Taser-Beschuss und der damit verbundene Stress "auch lebensbedrohlich sein". Nur sei eben nicht genau klar, welche Medikamente und welche Drogen das seien, betonte der Herzspezialist im Gespräch mit der DW. 

Genau hier liegt das Problem: Der Taser gilt als probates Einsatzmittel gegen Menschen, die sehr aggressiv oder in einem psychischen Ausnahmezustand sind, die sich gegen die Einlieferung in ein Krankenhaus wehren oder sich umbringen wollen. Diese Menschen haben aber oft Medikamente oder Drogen eingenommen, außerdem stehen sie stark unter Stress. All das erhöht das Risiko, dass der Stromschlag zu einem Herzinfarkt zumindest beitragen kann.

Etwa 144.000 Taser hat die Firma Axon bisher weltweit verkauft. Auch Deutschland ist potenziell ein großer Markt. Bild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

Rücksicht auf Risikogruppen

In ihrem Taser-Training, das in der Regel zwei bis drei Tage dauert, werden die Polizisten ausdrücklich für bestimmte Risikogruppen sensibilisiert. Sie würden angewiesen, den Taser "bei erkennbar Herzkranken, Schwangeren oder Kindern unter 14 Jahren" nicht zu benutzen, erzählt Polizeitrainer Thomas Schilken der DW. Er wendet aber ein: "Ich bin Polizist, kein Arzt". Die medizinische Vorgeschichte einer Zielperson kenne er natürlich nicht.

Grundsätzlich, betont der Trainer, gehe es um einen besonnen Umgang mit dem Taser. Zustände wie in den Niederlanden möchte man in Deutschland nicht: Dort war es bereits in der Testphase im Jahr 2017 zu einer so exzessiven Anwendung der Elektroschockpistolen gekommen, dass das "UN-Komitee gegen Folter" das Land ermahnte.

Niederländische Polizisten hatten den Taser oft im sogenannten "Kontaktmodus" angewendet, bei dem er direkt gegen den Körper gehalten wird. Das löst zwar keine Lähmung, aber starke Schmerzen aus. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) beklagt, dass sogar Menschen in Handschellen und Gefängniszellen "getasert" wurden, was gesetzlich verboten sei. "Die Polizeigewalt hat nach der Einführung des Tasers zugenommen", sagte AI-Sprecher Emile Affolter der DW. Viele Polizisten hätten mit dem Gerät einfach "herumexperimentiert". Erst nachdem das Training ausgeweitet und verbessert wurde, sei die Zahl der Taser-Einsätze erheblich gesunken.  

"Nichts unter den Teppich kehren"

In Deutschland deuten erste Zahlen auf einen zurückhaltenden Umgang mit dem Taser hin. Die Berliner Polizei  hat den Taser zwischen Februar 2017 und April 2019 genau dreimal eingesetzt: Zweimal zur Verhinderung von Selbstmorden, einmal bei häuslicher Gewalt.  

Dennoch werfen die vier Todesfälle nach Taser-Beschuss ein Schlaglicht auf die Probleme, die die neue Waffe mit sich bringt. So hat die Staatsanwaltschaft Nürnberg nicht weniger als vier Gutachten zu dem Todesfall in Bayern in Auftrag gegeben. Man wolle sich nicht dem Vorwurf aussetzen, erklärte eine Sprecherin der DW, "dass irgendetwas unter den Teppich gekehrt wird".

Die aufwändigen Ermittlungen zeigen auch, wie schwer der Zusammenhang zwischen einem Taser-Beschuss und einem Todesfall medizinisch zu belegen oder zu entkräften ist. Der Herzspezialist Thomas Deneke formuliert es so: Was letztendlich die Ursache für einen Infarkt war, "das steht am Herzen ja nicht dran".

Nina Werkhäuser Reporterin
Naomi Conrad Investigativ-Reporterin@NaomiConrad
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