Eine Skulptur aus Radiergummis und ein Wandbehang aus Linealen: In der Ausstellung "Out of Office" finden sich Dinge, die einen jahrelang im Büro begleitet haben, auf einmal im Museum wieder.
Anzeige
Out of Office: Kunst im Büro
Über 18 Millionen Deutsche gehen täglich ins Büro. Dass ihr Arbeitsplatz auch Kunst sein kann, vermuten wohl die wenigsten. Doch die Ausstellung "Out of Office. Büro-Kunst oder das Büro im Museum" beweist genau das.
Bild: VG Bild-Kunst/Hubert P. Klotzeck
"Büropflanze"
Gummibaum, Birkenfeige oder Grünlilie: Eine Büropflanze darf nicht viel Ansprüche stellen. Mal lebt sie in einer gläsernen Architektur, mal im dunklen Großraumcontainer. Manche werden gehegt und gepflegt andere wuchern unbemerkt vor sich hin. Diesen Kontrast aus Wildwuchs und den Regularien der Arbeitswelt dokumentiert Saskia Groneberg in ihrer Schwarz-Weiß-Fotografie.
Bild: Saskia Groneberg
"Burnout machine"
Mittels einer Kurbel lässt sich Beate Engls "Burnout machine" vom mannshohen Sockel aus hochdrehen, zurück nimmt sie dann wie von selbst Fahrt auf und dreht sich in ihre Ausgangsposition zurück. Mit ihrer interaktiven Installation will die Künstlerin die Stressspirale der modernen Arbeitswelt mit dazugehöriger Maschinerie darstellen.
Matten Vogel beschäftigt sich in seinen Arbeiten mit dem Thema "Zeit". In seinem Wandkalender markieren Rechtecke die einzelnen Tage des Jahres. Anders als üblich sind aber weder Zahlen noch Monate verzeichnet. Stattdessen malte der Künstler die Tage farbig aus, an denen er sich im Atelier aufhielt - und schuf so seinen ganz persönlichen Zeitmesser.
Bild: VG Bild Kunst, Bonn 2018 /H.P. Klotzeck
"Sundowner at the Beach"
Hier fällt das Urlaubsfoto eines Sonnenuntergangs am Meer einem Aktenvernichter zum Opfer. Treibholz vom Strand dient als Gestell. Lilly Lulays Werk spiegelt die Sehnsucht nach Erholung im stressigen Arbeitsalltag und den Wunsch wider, endlich einmal "Out of Office" zu sein. Stattdessen werden die Erinnerungen an den letzten Urlaub im Büroalltag gnadenlos zerstört.
Bild: Frithjof Kjer
"Münchener Kritzelmatrix"
Ignacio Uriarte hat die alltäglichen Bürokritzeleien, die etwa bei einem Telefonat entstehen, zur Minimal Art-Kunst erhoben. Der gelernte Betriebswirtschaftler war lange Zeit als Angestellter für große Konzerne tätig und versteht sich als Bürokünstler. Seine Serie von zwölf Kritzeleien hat er mit handelsüblichen Kugelschreibern geschaffen, wie sie tausendfach auch im Büro zum Einsatz kommen.
Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2018 Foto: Hubert P. Klotzeck
"Schreibmaschine für reduzierte Systeme"
Thomas Neumaier hat die Tastatur des mechanischen Schreibgeräts radikal auf wenige Buchstaben reduziert. Derart bereinigt lassen sich kaum noch Informationen, Vorschriften oder Dienstanweisungen schreiben. Es bleibt nur ein Wort: O R D N U N G. In der Einfachheit der Neumaier'schen Schreibmaschine ist all das zusammengefasst, was - bis heute - Ziel und Aufgabe eines jeden Verwaltungsapparats ist.
Bild: VG Bild-Kunst/Hubert P. Klotzeck
"Das Prinzip von Copy & Paste"
Ein gelber Post-it-Block gehört zur Grundausstattung jedes Büros. Denise Winter hat aus dessen Blättern Rechtecke ausgeschnitten, die mit jedem einzelnen Post-it kleiner werden, so dass der Eindruck räumlicher Tiefe entsteht. Eine Tiefe, die man den kurzen Notizen, die normalerweise auf einem post-it-Blättchen stehen, gar nicht zugetraut hätte.
Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2018/H.P. Klotzeck
"Am Ende der Langeweile"
Dirk Krecker bedient sich hier einer Technik, die im digitalen Zeitalter längst überholt scheint: dem sogenannten Typewriter Drawing. "Die altmeisterliche, handwerklich perfekte Zeichnung war für mich keine Option - der Gegenentwurf, das gewollt Wilde, das Krakelige und Unperfekte aber genauso wenig", so Krecker. Die Lösung für ihn lag im Griff zur Schreibmaschine, mit der dieses Werk erstellte.
Bild: VG Bild Kunst, Bonn 2018Foto: Hubert P. Klotzeck
"Zwischenmaß"
Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass hier Lineale die Protagonisten eines Kunstwerks sind. Normalerweise schaffen es nur die Zeichnungen, bei deren Entstehung Lineale der akkuraten Ausführung dienten, in ein Kunstmuseum. Die Objektkünstlerin Tina Haase wollte das ändern und hat die Hilfsobjekte aus dem Büro zur bunten Wandarbeit verarbeitet.
Bild: Eberhard Weible
"Vier Aktenordner kombiniert"
Gängige Büroartikel wie Heftklammern, Ablagesysteme und Aktenordner haben es dem Schweizer Künstler Beat Zoderer angetan. Er entführt sie aus dem Büro in die Welt der Kunst, drapiert sie neu und hinterfragt so die Ordnungsprinzipien des Alltags. Gleichzeitig fordert er damit die Kunstwelt mit einem kritisch-ironischen Augenzwinkern heraus, die sich selbst gern zu ernst nimmt.
Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2018 Foto: Hubert P. Klotzeck
"Papierknüllaktion"
Auch im Computer-Zeitalter verschwinden nicht alle Dokumente in virtuellen Ordnern. Immer noch drucken Büroangestellte Papier um Papier aus und heften es ab. Irgendwann landet es dann zerknüllt im Papierkorb. Diesen Akt des Entsorgens stellt der Künstler Florian Lechner bei der Ausstellungseröffnung in der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen am 20. Januar in einer Papierknüllaktion nach.
Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2018, Foto: Hubert P. Klotzeck
11 Bilder1 | 11
Rund 18 Millionen Menschen, mehr als 40 Prozent aller Erwerbstätigen, arbeiten in Deutschland in Büros, und die Tendenz ist, vor allem im IT-Bereich, steigend. Die meisten Angestellten verschönern sich ihren Arbeitsplatz auf ganz individuelle Weise. Ein Bild an der Wand, ein Foto der Familie, die Kaffeetasse mit dem Aufdruck "Der beste Papa, die beste Mama der Welt", ein Kalender mit außergewöhnlichen Fotografien.
Seinen Arbeitsplatz selbst als einen Ort der Kunst zu verstehen, kommt dabei wohl kaum jemandem in den Sinn. Und so stehen die Besucher der Ausstellung in der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen überrascht vor den Utensilien, die sie seit Jahren tagaus, tagein begleiten und die sie hier im ganz neuen Kontext wiederfinden.
Das Büro als Fundgrube
Neu ist die Idee der von der Konzeptkunst beeinflussten Bürokunst nicht: Schon in den 1960er Jahren experimentierte der Objektkünstler Peter Roehr mit industriell hergestellten Massenmaterialien. Er liebte Postaufkleber wie Schnellsendungen oder Einschreibe-Einlieferungszettel, Etiketten und Holzlineale und montierte Lochkarten seriell nebeneinander auf Karton. Dabei entwickelte er ein Ordnungsprinzip, das die Stereotypen der Massengesellschaft zum Ausdruck bringen sollte.
Mittlerweile entdecken immer mehr Künstler das Büro als Materialfundgrube. Unter ihnen auch Ignacio Uriarte, der lange Zeit als Angestellter in großen Konzernen arbeitete und nebenbei beim Telefonieren so einiges zusammenkritzelte. 2003 hing er seinen Job an den Nagel und verstand sich fortan als Bürokünstler - auch seine zwölfteilige Serie "Münchener Kritzeleien" ist in der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen zu sehen. Angefertigt wurde sie mit einem Kugelschreiber, wie er in Büros tausendfach zum Einsatz kommt.
Ebenso wie weitere alltägliche Büroutensilien, die im Zeitalter der Digitalisierung zu verschwinden drohen: Papier, Locher, Büroklammern, Ordner, Hängeregister… Die Künstler der Ausstellung widersetzen sich dem Vergessen.
Der Verwaltungsapparat als Unterdrückungsmechanismus
Sie zeigen das Büro aber auch als Hort der Ordnung und als Sinnbild für Regulierung, Verwaltung und Bürokratie, sogar für Herrschaft und Machtausübung. Immer wieder thematisieren sie, dass der behäbige Verwaltungsapparat sich trotz eines tiefgreifenden Strukturwandels kaum verändert oder gar verschlimmert hat. Anschaulich illustriert das die interaktive "Burnout machine" von Beate Engl.Über 100 Werke und Installationen der Konkreten- und Konzeptkunst von insgesamt 25 Künstlerinnen und Künstlern sind vom 20. Januar bis zum 8. April 2018 in der Schau "Out of office. Büro-Kunst oder das Büro im Museum" zu sehen. Dabei offenbart sich die ganze Spanne inzwischen fast schon verlorener Technologien und Materialien bis hin zur Abwesenheitsnotiz des Email-Zeitalters: "Out of Office".