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Politik

Taurus-Abhöraffäre: Ist eine Lieferung an Kiew vom Tisch?

6. März 2024

Dann hätte Putin sein Ziel erreicht, sagen die einen und fordern: Taurus jetzt erst recht. Die anderen, darunter Kanzler Scholz, sehen sich in ihrer Ablehnung wegen einer Verwicklung Deutschlands in den Krieg bestätigt.

Blick auf die Unterseite eines fliegenden Kampfflugzeugs mit Marschflugkörpern unter den Tragflächen
Mit dem Marschflugkörper Taurus (dunkel unter den Tragflächen) ließen sich auch Ziele in Moskau treffenBild: MBDA Deutschand/abaca/picture alliance

Der Abhörskandal scheint die unterschiedlichen politischen Positionen zu Taurus kaum zu verändern, sondern eher zu verfestigen.

Der Bundeskanzler steht in jedem Fall blamiert da. Denn er hat seine Ablehnung für eine Lieferung der Marschflugkörper an die Ukraine damit begründet, nur deutsche Soldaten könnten die Ziele für die Hochleistungswaffe programmieren. In dem Gesprächsmitschnitt sagen aber Luftwaffenchef Ingo Gerhartz und drei weitere Offiziere, nach einer mehrmonatigen Ausbildung könnten das auch ukrainische Soldaten tun.

Sogar Mitglieder der Berliner Koalitionsregierung aus SPD, Grünen und FDP machen sich gar nicht erst die Mühe, den offensichtlichen Widerspruch zu überdecken. So sagte die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann im ZDF, mit dem abgehörten Gespräch sei "das Argument des Kanzlers für sein Nein zur Lieferung an die Ukraine tatsächlich dahin".

Für die Bundeswehr ist das abgehörte Gespräch hoher Luftwaffenoffiziere eine Peinlichkeit ersten RangesBild: Christian Ohde/CHROMORANGE/picture alliance

Sie rief gleichzeitig zur Geschlossenheit auf: "Wir müssen ein bisschen aufpassen, dass wir jetzt nicht alle übereinander herfallen." Doch genau das tat sie mit ihrer Bemerkung im Grunde selbst. Strack-Zimmermann war auch die einzige Abgeordnete der Koalition, die kürzlich einem Antrag der CDU/CSU-Opposition zur Lieferung von Taurus an die Ukraine zugestimmt und sich damit offen gegen Scholz gestellt hatte. Ihr Parteikollege Wolfgang Kubicki sagte jetzt in einem Zeitungsinterview, bei einem neuen Taurus-Antrag der Union würden sich dem wohl noch mehr FDP-Abgeordnete anschließen.

Jetzt erst recht oder jetzt auf keinen Fall

Keinerlei Zurückhaltung legt sich dagegen der Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter von der CDU-Opposition auf. Die von Scholz vorgebrachten Gründe seien "Scheingründe", schreibt Kiesewetter der DW. "Es gibt weder technische noch rechtliche Gründe, die gegen eine Lieferung von Taurus sprechen. Insofern ist es nun höchste Zeit, dass der Kanzler die Lieferung nach zehnmonatiger Verzögerung endlich freigibt." Andernfalls, glaubt Kiesewetter, bediene man das Narrativ Putins.

Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter fordert die Taurus für die Ukraine schon seit langemBild: Jean MW/Future Image/IMAGO

Die umgekehrte Schlussfolgerung zieht man am linken und rechten Rand des Parteienspektrums. Die Linken-Vorsitzende Janine Wissler sagte dem "Spiegel": "Inhaltlich zeigen die Gespräche noch einmal sehr deutlich, dass die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern brandgefährlich wäre und mögliche Angriffe bis nach Moskau eine beispiellose Eskalationsspirale auslösen könnten." Björn Höcke von der in Teilen rechtsextremen AfD wandte sich auf X an Scholz: "Gehen Sie nicht in die Geschichte ein als der Mann, dessen Entscheidung, Marschflugkörper zu liefern, den Dritten Weltkrieg ausgelöst hat!". 

Misstraut Scholz der Ukraine?

Olaf Scholz sieht auch nach dem Lauschangriff keine Veranlassung, von seiner Position abzurücken. "Es kann nicht sein, dass man ein Waffensystem liefert, das sehr weit reicht und dann nicht darüber nachdenkt, wie die Kontrolle über das Waffensystem stattfinden kann", sagte Scholz bei einer Diskussionsveranstaltung. "Und wenn man die Kontrolle haben will und es nur geht, wenn deutsche Soldaten beteiligt sind, ist das für mich ausgeschlossen." Und als müsste das extra betont werden, fügte er hinzu: "Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das."

Manche spekulieren, hinter Scholz' Ablehnung stecke etwas anderes, nämlich Misstrauen gegenüber der Regierung in Kiew, dass sie die Marschflugkörper vielleicht doch auf Ziele in Russland abfeuern könnte. Sie haben eine Reichweite von rund 500 Kilometern und könnten damit von der Ukraine aus auch Ziele in Moskau treffen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (rechts) verspricht dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj weitere Waffenhilfe, hier Mitte Februar in Berlin, Taurus ist aber nach wie vor nicht dabeiBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Misstrauen wäre aber fehl am Platz, meint Kiesewetter: "Die Ukrainer haben sich bislang an alle Verträge gehalten und alle Vorgaben und Konditionen bei den Waffenlieferungen eingehalten. Es wäre auch strategisch extrem unklug, das Vertrauen der Partner zu zerstören, auf die die Ukraine in Bezug auf Waffenlieferungen angewiesen ist."

SPD sieht sich als Friedenspartei

Scholz' Taktieren hat in jedem Fall viel mit Ausrichtung und Tradition seiner SPD zu tun. Der zurückhaltende Kurs des Kanzlers wird in der SPD nicht nur breit unterstützt, die Kanzlerpartei fordert ihn geradezu. Treiber ist dabei der starke linke Flügel in der Partei. Es sind jene Kräfte bei den Sozialdemokraten, die traditionell Friedenspolitiker waren und sind. Gute Beziehungen zu Russland waren für sie bis zum 24. Februar 2022 selbstverständlich und eine Friedensordnung in Europa ohne Russland unvorstellbar. Man ging davon aus, dass man das Land durch gute Beziehungen einbinden und sogar beeinflussen und verändern könnte. Dass das ein Fehler war, ist in der SPD inzwischen Konsens. Doch die Verfechter einer antimilitaristischen politischen Linie sind nach wie vor stark.  

Scholz könnte versuchen, im nächsten Bundestagswahlkampf als Kanzler des Friedens aufzutretenBild: Björn Trotzki/IMAGO

Angesichts der schlechten Umfragewerte der SPD ist es zudem durchaus möglich, dass sich die Sozialdemokraten mit Blick auf die Bundestagswahl 2025 bessere Chancen mit einem Friedenswahlkampf ausrechnen. Damit hatte die SPD schon einmal Erfolg. 2002 erkämpfte sich der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder mit einem Nein zum Irak-Krieg eine zweite Amtszeit. Ein Video, das Olaf Scholz kürzlich veröffentlichte, klingt ähnlich: "Keine deutsche Kriegsbeteiligung! Um es klipp und klar zu sagen: Als deutscher Bundeskanzler werde ich keine Soldaten unserer Bundeswehr in die Ukraine entsenden. Das gilt. Darauf können sich unsere Soldatinnen und Soldaten verlassen. Und darauf können Sie sich verlassen." 

In der Taurus-Frage scheint er die Mehrheitsmeinung in Deutschland zu treffen. In einer YouGov-Umfrage äußern sich 58 Prozent gegen eine Lieferung der Marschflugkörper, nur 28 Prozent sind dafür. Von den 58 Prozent Gegner wiederum lehnen mehr als die Hälfte, nämlich 31 Prozent, sogar jedwede Unterstützung der Ukraine ab.

Kein absolutes Nein von Scholz

So felsenfest scheint Scholz' Weigerung aber doch nicht zu sein. Jedenfalls glaubt das der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid. "Die technischen, verfassungsrechtlichen und auch die strategischen Hürden sind höher als bei anderen Waffensystemen. Aber das schließt nicht aus, dass die Regierung in der Zukunft zu einer anderen Abwägung kommt und sich doch zu einer Lieferung entscheidet", sagte Schmid den Zeitungen der Mediengruppe Bayern.

Der Marschflugkörper Taurus kann meterdicke und mehrstöckige Betonanlagen zerstörenBild: Luftwaffe

Strenggenommen ist Scholz' Nein auch nicht absolut. Er sagte: "Wenn man die Kontrolle haben will und es nur geht, wenn deutsche Soldaten beteiligt sind, ist das völlig ausgeschlossen." Das könnte bedeuten, dass eine Lieferung möglich ist, wenn deutsche Soldaten nicht beteiligt sind. So hat sich Scholz ein Türchen offengehalten.

Der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter hält die Marschflugkörper ohnehin für längst überfällig: "Es muss klar sein, wenn Putin nicht in der Ukraine gestoppt wird, erhöht sich die Kriegsgefahr für uns alle massiv! Deshalb schwächt dieses Verhalten des Kanzlers deutsche und europäische Sicherheit. Beschwichtigung, Toleranz und Verhandlungsangebote werden von Russland als Schwäche gesehen, als Anreiz, weiterzumachen."

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