Das Multitalent
11. Mai 2009Ulrich Tukur ist auf den deutschen Theaterbühnen präsent, er singt, ist Entertainer, er schreibt - und gehört schon seit Jahren zu den verlässlichen Stars des deutschen Films. Tukur (Jahrgang 1957) stand 1982 für "Die weiße Rose" über die Geschwister Scholl erstmals vor Filmkameras. Einem breiteren Publikum wurde er aber erst vier Jahre später in der Rolle des Andreas Baader in Reinhard Hauffs Justiz-Drama "Stammheim" bekannt.
Tukur verleiht seinen Figuren gerne etwas Unberechenbares, leicht Ironisches, kann dabei ebenso den eiskalten Stasioffizier (wie im oscarprämierten Stasidrama "Das Leben der Anderen") wie einen eitlen Nazireporter (jüngst im Bergsteigerfilm "Nordwand") spielen.
Surreales Leben in Venedig
Im Interview redet Ulich Tukur nicht nur über Kunst, Kino oder Theater. Auch gehobener Smalltalk macht ihm Spaß. Der gebürtige Hesse lebt heute in Venedig. Lange habe er gedacht, so Tukur, er befinde sich in einem sonderbaren Traum: "Es ist ein sehr surreales Leben. Ich bin ja ein Zugvogel. Ich hab mich da mal kurz niedergelassen. Was habe ich da eigentlich zu suchen? Ich habe immer das Gefühl, dass jeden Moment die Carabinieri an die Tür klopfen und sagen: 'So jetzt haben Sie hier lange genug die schöne Aussicht gehabt und jetzt RAUS!'".
Erfolg mit John Rabe
Für die Titelrolle in "John Rabe" hat er jetzt den deutschen Filmpreis in der Kategorie "Beste männliche Hauptrolle" bekommen. Er spielt dort einen aufrechten Deutschen in Nanking (China), der 1938 über 250.000 Chinesen das Leben rettete. Selbstkritisch räumt der Schauspieler ein, dass er das bombastische Finale des Films nicht unbedingt gebraucht habe. Die Rolle des John Rabe wäre übrigens fast an ihm vorbeigegangen, erzählt er, ursprünglich sei dafür Ulrich Mühe vorgesehen gewesen.
Freundschaft mit Ulrich Mühe
Mit Mühe war Tukur befreundet. So nahm er die Rolle erst an, als sicher war, dass der schwer krebskranke Freund sie nicht mehr spielen konnte. Gerührt hat ihn dabei vor allem der Satz Mühes: "Dann bleibt von dem Projekt wenigstens mein Vorname." Ulrich Mühe starb im Juli 2007 im Alter von 54 Jahren. Tukur bezeichnet Ulrich Mühe heute als sein ostdeutsches Gegenüber: "Er war sehr viel trauriger. Ich bin ja eher leichtfüßig und er war eher schwergängig." Richtig befreundet waren die beiden "Ullis" seit den Dreharbeiten in Rumänien zum Costa-Gavras Film "Der Stellvertreter" nach Rolf Hochhuth (2002). Der Erfolg dieses Films hat dann die Karriere Tukurs international beflügelt.
Hollywood, Deutschland und Frankreich
Der amerikanische Regisseur Steven Soderbergh bot dem Deutschen 2002 eine kleine Rolle an der Seite von George Clooney in "Solaris" an. Aber auch in Frankreich hat er wiederholt gedreht und gerade im Februar mit "Séraphine" die wichtigsten Césars, die französischen Oscars, gewonnen. Ulrich Tukur über seine Rolle in "Séraphine": "Es ist eine platonische Liebesgeschichte von einem homosexuellen deutschen Kunstkritiker, der auch noch Jude war und sich in Paris ansiedelte. Er lebte für die Avantgardekunst seiner Zeit."
Singen, Tanzen und Schreiben
Im Herbst kommt "Séraphine" in die deutschen Kinos. Wer nicht mehr so lange warten mag, kann ja bis dahin noch Tukurs Kurzgeschichten lesen oder sich seine Musik anhören. Als Sänger der Band "Die Rhythmus Boys" ist er schon auf Tournee gegangen. Und Schreiben kann Ulrich Tukur auch. Seine venezianischen Geschichten hat er "Die Seerose im Speisesaal" genannt. Ein Rezensent schrieb beim Erscheinen des Bandes: "Ach, wenn sich Tukur doch entscheiden würde weiterzuschreiben. Das wären schöne Aussichten ...". Ulrich Tukur ist ein Mann mit vielen Talenten.
Autor: Jörg Taszman
Redaktion: Jochen Kürten