Mitten im Saisonhighlight Tour de France teilt das Team Katusha seinen Fahrern mit, dass sie sich neue Arbeitgeber suchen können. Die erfolglose Mannschaft löst sich wohl auf, die Zukunft des Personals ist ungewiss.
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Nils Politt fletscht wie üblich die weißen Zähne. Es ist das Markenzeichen des Kölners, der immer, wenn er sich anstrengt, ein Gesicht wie eine fauchende Raubkatze macht. Im Finale der fünften Etappe der Tour de France von Saint-Dié-des-Voges nach Colmar blitzt immer wieder sein roter Helm durch. Ohne Unterstützung seiner Teamkollegen sucht sich Politt einen Weg an die Spitze des rasenden Feldes. Der 25-Jährige Klassikerspezialist ist ein passabler Sprinter, doch gegen die Weltelite hat er an diesem Tag keine Chance. Hinter dem Sieger Peter Sagan, der damit sein Grünes Trikot verteidigte, rollt Nils Politt als Achter über den Zielstrich. Ein achtbares Resultat und wohl auch so etwas wie ein Lebenszeichen einer gebeutelten Mannschaft.
Denn die Fahrer des Katusha-Rennstalls haben offenbar eine unerfreuliche Nachricht erhalten, berichtet die in Radsportthemen üblicherweise gut informierte französische Sportzeitung "L'Equipe": Die 24 Fahrer der Mannschaft können sich neue Arbeitgeber suchen, habe das Management intern mitgeteilt, so die Informationen der Zeitung. Ein Paukenschlag während des Saisonhighlights.
Zwei Sponsoren sind bereits abgesprungen
Laut L'Équipe fand das Meeting am Dienstagabend statt. Im Gespräch mit der DW widerspricht Katusha-Pressesprecher Falk Nier: "Das kann ich nicht bestätigen. Letzten Freitag gab es schon ein Meeting, bei dem unser Management den Fahrern und auch dem ganzen Personal gesagt hat, dass dies eine sehr ernste Lage für das Team ist. Die beiden Sponsoren Alpecin und Canyon haben ihrer Verträge nicht verlängert", so Nier, der ergänzte: "In diesem Meeting wurde den Fahren mitgeteilt, dass es jedem frei steht, neue Optionen zu prüfen. Ich gehe davon aus, dass alle Fahrer daraufhin ihre Manager informiert haben."
Ist Team Katusha damit aufgelöst, wie es die L'Équipe schlussfolgert? Nein, widerspricht der Pressesprecher, das könne man so nicht sagen. "Die Verträge laufen aber erstmal weiter. Aber das kann das Aus bedeuten." Innerhalb der nächsten Tage wolle Eigentümer Igor Makarow das Team über die Zukunft informieren. Wann die Öffentlichkeit davon erfahren wird, konnte Falk Nier am Mittwochabend nicht sagen.
Wladimir Putin selbst soll an der Gründung beteiligt gewesen sein
Team Katusha-Alpecin fährt unter Schweizer Lizenz, ist aber russischen Ursprungs und wurde 2009 gegründet, um den russischen Radsport zu entwickeln. Geldgeber waren damals die Konzerne Gazprom, Itera (heute: Areti), Rostechnologii (heute: Rostec) sowie Rosnef, die Liaison soll durch Präsident Wladimir Putin persönlich erfolgt sein. Der Rennstall gehört dem russischen Milliardär Igor Makarow, der mit Öl und Gasgeschäften reich wurde. Nach zahlreichen Dopingfällen und sogar einem Fall eines offenkundig verschobenen Rennens verlor das Team 2013 zunächst seine Lizenz, konnte später aber mit teilweise neuem Personal und einem neuen Teamsitz einen Neustart einleiten. Durch die Sponsoren Alpecin (Shampoo-Marke) und Canyon (Fahrradhersteller) kam jedoch auch deutsches Personal und deutscher Einfluss ins Team. Und genau diese Flanke bricht nun also weg.
Längst machen Gerüchte die Runde: Katusha-Alpecin könnte entweder mit dem ebenfalls von Canyon ausgestatteten Corendon-Circus-Team fusionieren, das den Shootingstar des Frühjahrs, Mathieu van der Poel, unter Vertrag hat. Oder aber auch mit dem Team Israel Cycling Academy, ein ebenfalls zweitklassiger Rennstall der den Schritt in die Worldtour machen will. Nier wollte keines dieser Gerüchte bestätigen.
16 Verträge laufen zum Saisonende aus
Fraglich ist nun, was überhaupt noch von Katusha-Alpecin übrig bleiben wird. Topsprinter Marcel Kittel hatte bereits im Mai seinen Vertrag aufgelöst - wegen einer Formkrise, aber wohl auch wegen seines öffentlich ausgetragenen Zwists mit der Teamleitung. Die verbliebenen Kapitäne Ilnur Zakarin und Nils Politt werden in Medienberichten längst mit anderen Teams in Verbindung gebracht (Team CCC im Fall von Zakarin, Team Deceunicnk-Quickstep im Fall von Politt). Weitere Fahrer werden sich inzwischen auf die Suche gemacht haben. Nur acht Fahrer haben einen Vertrag bis Ende 2020, die restlichen 16 Fahrer besitzen nur einen Kontrakt bis zum Saisonende.
Bei vielen Teams ist die Kaderplanung für die kommende Saison bereits fortgeschritten, auch wenn Transfers erst ab Anfang August bekannt gegeben werden dürfen. Man könnte also durchaus nervös werden als Fahrer des Rennstalls Katusha-Alpecin. Nicht so Nils Politt, der die Entwicklungen so kommentierte: "Da gehe ich mit der kölschen Mentalität ran. Et hätt noch immer jot jejange."
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10 Enric Mas (Deceuninck-Quickstep)
Eingefallene Wangen, tiefsitzende Augen, spindeldürre Glieder und kurz geschorenes Kopfhaar - Enric Mas jagt manchem Betrachter einen Schrecken ein. Doch der 24-jährige Spanier ist kerngesund und extrem austrainiert. Als starker Bergfahrer wurde er 2018 überraschend Zweiter der Vuelta, fuhr in diesem Jahr aber bisher unauffällig. Prognose: Es reicht noch nicht für ganz vorne.
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9 Nairo Quintana (Movistar)
Ist die Zeit von Nairo Quintana schon vorbei? Von 2013 bis 2016 fuhr er bei Tour, Giro und Vuelta stets auf die Plätze eins bis vier, war am Berg eine Macht. Doch in letzter Zeit schwächelt der stille Kolumbianer, der Medientermine scheut und meist abgeschirmt wird, ausgerechnet bei den schweren Anstiegen. Es dürfte seine letzte Chance als Kapitän bei der Tour sein. Prognose: Er nutzt sie nicht.
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8 Romain Bardet (Ag2r La Mondiale)
Die Hoffnungen wiegen schwer auf den schmalen Schultern des Romain Bardet. Der schlaksige Kletterer soll die lange Durststrecke der Franzosen bei der Tour beenden. In den letzten Jahren sah es so aus, als käme er diesem Ziel näher. Doch aktuell fährt Bardet, der einen Uni-Abschluss in Management besitzt, seiner Form und den Gegnern hinterher. Prognose: Verliert im Zeitfahren zu viel Zeit.
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7 Adam Yates (Mitchelton-Scott)
"Wir haben unterschiedliche Wege genommen, sind uns aber sehr nah und sprechen täglich miteinander", sagt Adam Yates über seine Beziehung zu seinem Zwillingsbruder Simon. Beide sind talentierte Anwärter auf das Gesamtklassement. In Frankreich wird Simon, der beim Giro Kapitän war, wohl für Adam fahren. Der ist in den Bergen gut, im Zeitfahren solide. Prognose: Kann mitspielen, aber nicht gewinnen.
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6 Emanuel Buchmann (Bora-Hansgrohe)
Vom talentierten Mitfahrer zum Podiumskandidaten - Emanuel Buchmann hat bei den Vorbereitungsrennen einen starken Eindruck hinterlassen. Am Berg zählt der stille Schwabe inzwischen zu den Besten, im Zeitfahren hat er sich gesteigert. Was dem 26-jährigen noch fehlt, ist der Punch und das Selbstvertrauen für einen großen Sieg. Prognose: Seine Kurve geht weiter nach oben.
Das Double aus Giro und Tour hat sich in den letzten Jahren stets als zu anspruchsvoll erwiesen. Auch dem erfahrenen "Hai aus Messina" wird man die Strapazen der Italienrundfahrt, die er auch wegen eines taktischen Fehlers verlor, noch anmerken. Doch mit seiner Konstanz und Leidensfähigkeit wird der 34-Jährige punkten. Prognose: Dem Hai fehlen ein paar Zähne für einen kraftvollen Biss.
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4 Thibaut Pinot (Groupama-FDJ)
Die Angst vor den Abfahrten ist besiegt, an seiner Zeitfahrschwäche hat er gearbeitet - ist Thibaut Pinot nun endlich bereit für mehr als eine gute Platzierung? Fast. Der Franzose wählte einen kontinuierlichen Aufbau und fokussiert sich erstmals wieder auf die Tour. Sein Team ist gut, aber andere sind besser. Prognose: Pinot wird angreifen, seine Gegner aber nicht alle abschütteln können.
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3 Geraint Thomas (Ineos)
Der Titelverteidiger hatte bei der Tour de Suisse eine Schrecksekunde: Nach einem schweren Sturz schien bereits der Traum vom zweiten Toursieg ausgeträumt. Doch der 33-jährige Waliser kann starten. Seine Vorbereitung lief nicht ideal - ihm wird die Leichtigkeit des Vorjahres fehlen. Prognose: Aber zum Podium reicht es dennoch.
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2 Jakob Fuglsang (Astana)
Jahrelang stand der Däne in Diensten anderer Top-Fahrer: Jakob Fuglsang fuhr schon für die Schleckbrüder als Helfer und stand auch bei Astana meist im Schatten. Nun ist er Kapitän und das zu Recht. In diesem Jahr war er der konstanteste der Tour-Kandidaten, hat sich am Berg noch einmal gesteigert. Prognose: Kommt dem Gelben Trikot sehr nah.
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1 Egan Bernal (Ineos)
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