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Technokratin oder Heldin der Nation?

Astrid Prange (z. Zt. Rio de Janeiro)21. Juni 2014

Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff will weitere vier Jahr im Amt bleiben. Im Oktober finden die Präsidentschaftswahlen statt. Doch die zweitmächtigste Frau der Welt polarisiert die brasilianische Gesellschaft.

Dilma Rousseff Präsidentin Brasilien mit dem WM-Pokal (Foto: AP Photo/Eraldo Peres)
Bild: picture alliance/AP Photo

Schon im Mai hat sich ihre Partei informell für sie entschieden. Jetzt ist es aber auch offiziell: Am Samstag (21.06.2014) wurde Dilma Rousseff als Kandidatin ihrer Partei "Partido dos Trabalhadores", kurz PT (Arbeiterpartei) bestätigt. Doch die brasilianische Präsidentin steht seit Monaten in der Kritik.

Die 67-Jährige ist nicht nur Brasiliens erste Präsidentin. Sie ist auch das erste Staatsoberhaupt, das bei einer WM-Eröffnung öffentlich verunglimpft wurde. Beim Auftaktspiel Brasiliens gegen Kroatien am vergangenen Donnerstag (12.06.2014) entlud sich im Stadion von São Paulo der geballte Volkszorn gegen die angeschlagene Amtsträgerin in Buhrufen und Beschimpfungen.

Kämpfernatur

Seitdem streitet ganz Brasilien über das Verhalten der Fußballfans. Sind die verbalen Entgleisungen ein Zeichen von Frauenfeindlichkeit? Ist der mangelnde Respekt gegenüber öffentlichen Amtsträgern eine nationale Schande? Oder gehört die vulgäre Kraftmeierei schlicht zum Umgangston in Fußballarenen?

Dilma Rousseff gab sich nach dem Vorfall gegenüber der einheimischen Presse betont kämpferisch: "Ich lasse mich nicht einschüchtern", erklärte sie. "Ich habe in meinem Leben schon ganz andere Angriffe überstanden, auch beinahe unerträgliche körperliche Aggressionen. Ich habe mich dennoch nicht von meinem Lebensweg abbringen lassen."

Pfiffe gegen Rousseff (rechts) beim WM-EröffnungsspielBild: Reuters

Die unerträglichen Aggressionen erlitt Rousseff 1970 in den Folterkellern der brasilianischen Militärdikatur (1964 - 1985), im sogenannten "Zentrum für Information und Investigation" (OBAN) in São Paulo. Die Tochter eines bulgarischen Immigranten studierte damals Volkswirtschaft an der Universität von Belo Horizonte und schloss sich Ende der 60er Jahre der Guerilla-Gruppe "Vanguardia Armada Revolucionaria Palmares" (Bewaffnente Revolutionäre Avantgarde Palmares) an.

Vom Gefängnis in den Regierungspalast

Dass Dilma Rousseff 40 Jahre später in den Regierungspalast einziehen würde, war damals unvorstellbar. Doch nachdem Gewerkschafter Luiz Inácio Lula da Silva, Gründungsvater der brasilianischen Arbeiterpartei PT, im Oktober 2002 zum Präsidenten gewählt wurde, war die Bahn frei. "Lula" holte die Volkswirtin als Energieministerin in sein Kabinett. 2005 erhob er sie zur Kabinettschefin. Und als er nach dem Ende der zweiten Amtsperiode nicht mehr kandidieren durfte, schlug er sie als Kandidatin vor und verhalf somit ihr und seiner Partei "Partido dos Trabalhadores" 2010 erneut zum Sieg.

Auch wenn Dilma Rousseff als Technokratin und Dogmatikerin gilt - ihre Kämpfernatur beeindruckt Brasiliens Bevölkerung. Als bei ihr mitten im Wahlkampf Lymphdrüsenkrebs diagnostiziert wurde, zog sie sich nur für eine kurze Zeit zurück. Schon wenige Wochen nach ihrer Operation tourte sie erneut durchs Land, bestritt Fernsehauftritte mit Perücke und gewährte den brasilianischen Medien Einblicke in die Abgründe ihrer Chemotherapie.

Als erstes weibliches Staatsoberhaupt Brasiliens räumte Dilma Rousseff mit den Klischees über Land und Leute auf. Sozialprogramme statt Samba, UN-Friedensmissionen statt Karneval - Rousseff setzte den Kurs ihres Vorgängers Luiz Inácio Lula da Silva fort und platzierte Brasilien als Global Player auf der internationalen Bühne.

Schweres Erbe

Doch der Segen von Übervater "Lula" erwies sich im Nachhinein als Fluch. "Das Erbe von Lulas bombastischem Regierungsstil ist schwer wie Blei", urteilte Ex-Präsident Fernando Henrique Cardoso (1995 - 2002) in einer Kolumne für die brasilianische Tageszeitung "O Globo". "Die Korruptionsskandale und Populismus der PT haben das Land in eine moralische Krise gestürzt", schreibt Cardoso.

Die beiden mächtigsten Frauen der Welt: Angela Merkel (rechts) zu Besuch in BrasilienBild: Reuters

Vor allem besserverdienende Brasilianer sind von Rousseff enttäuscht. Nach der jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts "Datafolha" nehmen 48 Prozent von ihnen die Regierung der Präsidentin als mangelhaft oder ungenügend wahr.

"Es gibt heute zwei Präsidentinnen in Brasilien, eine geliebte und eine ungeliebte", beschreibt der brasilianische Politikwissenschaftler Paulo Celso Pereira die Situation in seinem Land. Die Regierung habe die Gesellschaft polarisiert, weil sie mit ihrem Diskurs von "wir" und "den anderen" zur Verstärkung von politischen Feindschaften beigetragen habe. Wenige Monate vor den Präsidentschaftswahlen am 5. Oktober scheint Dilma Rousseff in einem Strudel von Korruptionsskandalen ihrer Regierung und schlechten Wirtschaftsaussichten gefangen zu sein.

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